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Leverkusens Amtsarzt zu Corona-Zahlen„Dann geht es wieder mit anderen Varianten los“

Lesezeit 4 Minuten
Martin Oehler Amtsarzt Lev

Dr. Martin Oehler leitet des Leverkusener Gesundheitsamt.

Leverkusen – Die Corona-Zahlen sind in Leverkusen auf extremen Höhen angelangt. Welche Ursachen hat das? Spielt Karneval eine entscheidende Rolle? Ist es gut, dass die meisten Corona-Beschränkungen bald fallen? Und ist nach der Omikron-Welle endlich einmal Schluss mit dieser Pandemie? Leverkusens Gesundheitsamtsleiter, Amtsarzt Dr. Martin Oehler, hat sich mit diesen Fragen beschäftigt. Die Antworten im Überblick:

Am 20. März fallen die meisten Corona-Regeln. Von den Bundesländern sollen regionale Schutzmaßnahmen beschlossen werden können. Wie ist das einzuschätzen?

Martin Oehler begrüßt im Gespräch mit dem „Leverkusener Anzeiger“ die gesetzliche Möglichkeit, je nach Situation vor Ort auch weiterhin Restriktionen zur Bekämpfung des Coronavirus zu installieren. Zum Beispiel für Leverkusen eigene Regeln zu erlassen, sei jedoch kaum möglich. „Die einzelnen Kommunen werden nur in sehr engen Grenzen Sonderregelungen in Kraft treten lassen können“, sagt der Mediziner.

Oehler plädiert dafür, jetzt nicht alle Vorsichtsmaßnahmen komplett fallen zu lassen. „Man sollte nie von einem Extrem ins andere fallen“, sagt er. „Wir sehen ja, dass die fünfte Welle keineswegs gebrochen war, wie viele ja schon meinten.“

Wie war der Fallzahlenrückgang vor Karneval zu bewerten?

Dieser sei nur ein vermeintlicher Rückgang gewesen. Schon durch das bloße Reden über PCR-Test-Knappheit und -Priorisierungen in den vergangenen Wochen und Monaten seien die PCR-Analyse-Aufträge an die Labore zurückgegangen. „Und wer hätte das gedacht: Dann hat man auch weniger Fälle gefunden“, sagt Oehler. „In Wahrheit ist die fünfte Welle weiter gerollt.“

Welche Rolle spielt Karneval bei den nun wieder steigenden Zahlen?

Martin Oehler spricht von einer „enormen Steigerung in den offiziellen Statistiken“. Weil die Nachverfolgung von Kontaktpersonen Infizierter aber nicht mehr stattfinde, gebe es dazu keine empirischen Daten. Aber: „Das muss man auch gar nicht empirisch belegen, weil es zwingend so ist.“ Auch er habe vorhergesagt, dass es so sein wird: „Omikron plus Alkohol gleich steigende Fallzahlen. Das ist zwingend.“

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Wer sich die Bilder vor Augen führe, vor allem aus Köln mit unglaublichen Menschenmassen, dem müsse klar sein, dass das nicht folgenlos bleibt. „Die Naturgesetze gelten auch für Karneval“.

Hätten Karnevalsfeiern verhindert werden sollen?

Auch wenn sie gesundheitlichen Schaden angerichtet haben, will Oehler nicht so weit gehen, dass Karnevalsfeiern hätten verboten werden sollen: „Man muss auch sehen, dass man nach zwei Jahren Pandemie das Bedürfnis der Bevölkerung, auch mal Brauchtum zu betrieben und sich am Leben zu erfreuen, nicht beliebig lange weiter ignorieren kann“, sagt der Leverkusener Amtsarzt. Hätte es die Brauchtumszonen nicht gegeben, mutmaßt er, hätte sich dieses Bedürfnis noch unkontrollierter und womöglich exzessiver Bahn gebrochen – „einfach weil die Frustrationstoleranz der Menschen nicht mehr gegeben war“, so Oehler.

Gibt es weitere Faktoren für die hohen Infektionsraten?

Oehler nennt im Gespräch noch eine zweite: So sei die Omikron-Variante mit dem Namen BA.2 inzwischen gegenüber der Variante BA.1 dominant. „Sie ist jetzt noch infektiöser“, sagt der Gesundheitsamtsleiter.

Welcher Umgang mit dem Coronavirus wird empfohlen?

Auch wenn die Zahl der schweren Verläufe bei Omikron deutlich niedriger sei als bei früheren Sars-Cov-2-Varianten, plädiert der Mediziner dafür, die Situation weiter ernst zu nehmen – „selbst wenn sie sich noch nicht in einer Überlastung der Intensivstationen bemerkbar macht.“ Es sei verstärkt zu beobachten, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern und Heimen ausfallen. Das prominenteste Beispiel: Das Kölner Uniklinikum. Hier befinden sich nach Karneval mehrere Hundert Angestellte in Quarantäne, weshalb Operationen nicht durchgeführt werden konnten.

„Wenn kaum noch Personal verfügbar ist, um den Betrieb aufrechtzuerhalten, ist das gesamtgesellschaftlich sehr bedenklich“, sagt Oehler. Deswegen appelliere er auch, nicht alle Vorsicht fahren zu lassen und in bestimmten Situationen auch künftig an der Maskenpflicht festzuhalten.

Wie werden sich die Zahlen nun weiter entwickeln?

Martin Oehler ist pessimistisch. Das bald anstehende Osterfest sorge vermutlich erneut dafür, dass die Infektionszahlen wieder merklich anziehen. Schließlich gebe es diese Erfahrung bereits aus dem vergangenen Jahr. „Diesen Sprung müssen wir auch dieses Jahr erwarten“, sagt Oehler.

Und wann ist endlich das Ende der Omikron-Welle gekommen?

„Die Zahlen werden dann wohl erst im Sommer deutlich runtergehen“, prognostiziert der Leverkusener Mediziner – aber er verbreitet keineswegs Optimismus. Mit den Reiserückkehrern aus den Schulferien zum Ende des Sommers seien erneut steigende Zahlen zu erwarten. „Und dann geht es womöglich wieder mit ganz anderen Varianten los, das können wir ja nicht vorhersagen“, so Oehler. Es sei nicht vorstellbar, dass es nicht immer weitere Virusvarianten geben wird, die ihren Weg nach Deutschland finden, „je nachdem wie evolutionär fit sie sind. Wir werden das Virus nicht mehr aus der Welt bringen.“