Der Leverkusener Tobias Sieben sammelt auf öffentlichen Flächen Früchte und Kräuter.
Mundraub nennt sich dieser Trend, der mittlerweile in ganz Deutschland verbreitet ist.
Doch was kann man verwerten, was wird wann geerntet und wie kann man sich vor Krankheitserregern schützen? Wir geben Antworten.
Leverkusen – Goji-Beeren, Açaí-Beeren, Mango und Maracuja gehören seit langem zu den Lieblingszutaten der ernährungsbewussten Deutschen. Kein Zweifel, die Superfoods und tropischen Früchte sind gesund und reich an Vitaminen. Doch gerade im Sommer und im Herbst gibt es auch in Deutschland genug Früchte, die sich als wahre Vitamin-Bomben präsentieren und sogar kostenlos geerntet werden können – auch in Leverkusen.
82.298 Mundräuber sind unterwegs
„Sanddorn hat zum Beispiel wahnsinnig viel Vitamin C“, sagt Tobias Sieben, der häufig und gerne draußen im Grünen auf der Suche nach essbaren Beeren, Obst oder Kräutern unterwegs ist. Sieben nutzt für seine saisonal-regionalen Streifzüge die Online-Plattform „Mundraub.org“, eine Webseite, die nach dem Open-Source-Prinzip funktioniert. Das heißt, man hat Einsicht in eine deutschlandweite Karte, auf der Nutzer eingetragen, an welchen Stellen was abgeerntet werden kann. Voraussetzung ist, dass es sich dabei um öffentliche Flächen und nicht um Privatgrundstücke handelt. Insgesamt 58 439 Fundorte sind bei Mundraub bereits kartiert und 82 298 „Mundräuber“ aktiv.
Auch in Leverkusen sind bereits Stellen zum Sammeln auf der Mundraub-Karte markiert worden, wie etwa einige Stellen in Schlebusch und Wiesdorf und der Spielplatz am Meckhofer Feld in Neuboddenberg. Hier soll es laut den Leverkusener Mundräubern Brombeeren, Äpfel und Pflaumen geben. Doch wer wie Tobias Sieben mit offenen Augen durch die Natur läuft, wird mit weiteren Funden belohnt. Neben den bereits kartierten Sträuchern und Bäumen entdeckt Sieben auch einige alte Birnenbäume, Brennnesseln, Weißdorn und einen Haselnussstrauch.
„Wenn man selber sammelt, bekommt man einen völlig anderen Bezug dazu, wo das Essen herkommt“, findet der Solinger, der Mitglied bei den Leverkusener Grünen ist und Biologie studiert hat. Aus dem Gesammelten macht er Liköre, Marmeladen und Kuchen oder kocht das Obst ein. „Im Sommer kann man Beeren auch gut dafür verwenden, Eis zu machen. Und wenn man zum Beispiel Äpfel entsaftet, kann man mit dem übrig gebliebenen Trester auch noch einen Apfelkuchen backen. Man kann also eigentlich alles verwerten“, erklärt er.
Sein Wissen hat er sich selber angeeignet – ein Biologiestudium braucht man dafür jedoch nicht. „Viel Wissen über Pflanzen ist leider über die letzten Jahre verloren gegangen“, bedauert der 37-Jährige. Gleichzeitig habe er jedoch auch das Gefühl, dass die Auseinandersetzung mit den heimischen Pflanzenarten wieder mehr im Kommen sei. „Gerade in den größeren Städten wie Köln oder Düsseldorf wird Mundraub viel genutzt“, sagt er.
Nur essen was man kennt
Doch auch Leverkusen hat großes Potenzial, ein üppiges „Mundraub-Gebiet“ zu werden. Wer hier auf einen Streifzug geht, sollte wie auch an anderen Orten die Mundraub-Regeln beachten. Das A und O sei der Respekt für Mensch und Natur, gleichzeitig sollten die Eigentumsrechte beachtet werden und behutsam mit Baum und Natur umgegangen werden, heißt es auf der Webseite. Zudem sollten die Entdeckungen geteilt und deren Fundorte kartiert werden, so dass auch andere Nutzer davon profitieren können. Die Organisatoren von Mundraub argumentieren, dass über essbare (Stadt-) Landschaften auch die Identifikation mit der Kommune gestärkt werde. Daher bietet Mundraub den Kommunen für die Kartierung eine Kooperation an. Zurzeit nehmen in Deutschland offiziell lediglich 16 Kommunen dieses Angebot wahr, unter anderem die Städte Bochum und Herford. In Leverkusen existiert eine derartige Kooperation zwar noch nicht, die Stadtverwaltung bestätigt jedoch, dass jeder Bürger legal und kostenlos für den Eigenbedarf auf die Obstbäume und Sträucher im öffentlichen Grün zugreifen darf. Sollten allerdings Zweifel bestehen, ob ein Baum oder Strauch tatsächlich auf einem öffentlichen Grundstück stehen, wird dazu geraten, keine Früchte zu ernten. Generell sollte nur gegessen werden, was man auch tatsächlich kennt.
Sieben verweist in diesem Kontext auf die App „Seek“, die auch er hin und wieder während seiner Streifzüge verwendet. „Seek“ funktioniert über eine Bilderkennungstechnik und kann damit Pflanzen und Tiere identifizieren. „Mit der heutigen Technik gibt es eigentlich fast keine Entschuldigung mehr, das Beeren- oder Obstsammeln nicht mal auszuprobieren“, findet Sieben. Doch er verlässt sich nicht nur auf die Technik, sondern recherchiert eigenständig oder liest in Büchern nach. Natürlich sei es einfacher, für den Kauf von Obst in den Supermarkt zu gehen. „Bei den meisten Sammelorten kann man nicht bequem mit dem Auto vorfahren. Aber das Erkunden der Natur ist ja auch das Spannende an der Sache“, sagt Sieben.
Schutz vor Krankheitserregern
Weit verbreitet ist noch immer die berechtigte Sorge vordem Fuchsbandwurm. Dabei handelt es sich um einen Parasiten, der Füchse als Wirt nutzt und über ihren Kot auf Beeren oder am Boden wachsenden Kräutern auch den Menschen infizieren kann. Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion ist jedoch gering – laut dem Robert-Koch-Institut wurden im Jahr 2018 in ganz Deutschland lediglich 49 Fälle gemeldet.
Um auf Nummer sicher zu gehen, sollten keine Beeren in Bodennähe gepflückt und vor dem Verzehr gründlich gewaschen werden, rät Sieben. Das gleiche gilt auch für Kräuter. Einfrieren, Trocknen und Erhitzen machen dem Parasiten außerdem den Garaus und liefern gleichzeitig einen guten Vorwand, einen leckeren Obstkuchen mit selbst gesammelten Brombeeren zu backen.
Das kann im Sommer geerntet werden
Im Juli Kirschen, Mirabellen, Aprikosen, Himbeeren, Johannisbeeren, Heidelbeeren.
Im August Kirschen, Mirabellen, Brombeeren, Himbeeren, Heidelbeeren, Sanddorn, Pflaumen, erste Apfelsorten und Birnen.
Auf mundraub.org kann die Karte eingesehen werden und es werden Tipps und Tricks für die Ernte sowie die Verwertung verraten.