Musiker aus LeverkusenOzan Ata Canani ist die eine Stimme der vielen Gastarbeiter

Die Baglama ist seit der Kindheit sein Instrument, auf ihr begleitet Ozan Ata Canani seine Lieder über die Situation derer, die hierher kamen, um Arbeit zu finden und Träume zu verwirklichen.
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Leverkusen – Wann das bei ihm anfing mit der Musik, kann Ozan Ata Canani gar nicht so genau sagen. Er weiß nur, dass Musik für ihn immer schon viel mehr war als für andere Menschen. Bereits als Kind habe er in der Türkei die Baglama spielen gelernt – eine Art Laute. Damals, Anfang der 70er.
„Und tagsüber, wenn meine Freunde Fußball spielten, saß ich daneben unter einem Baum und machte auf der Baglama Musik.“ Hinterher seien die anderen immer zu im gekommen in ihren verdreckten Klamotten und schwitzend und hätten ihn aufgefordert etwas vorzutragen. Eine Belohnung für den Sieg oder ein Trostpflaster für die Niederlage. „Und dann haben sie zugehört und gesagt: „Weiter so! Nächstes Mal wollen wir ein neues Lied hören!“ Eine Aufforderung, die sich Ozan Ata Canani Zeit seines Lebens zu Herzen nahm.
Die Baglama als Schreibgerät
Er lernte nämlich viele Lieder. Schrieb irgendwann eigene. Und auch wenn der heute 57-Jährige Frührentner nie professioneller Musiker wurde, gelang ihm doch etwas Erstaunliches: Ata Canani wurde zum musikalischen Sprachrohr mehrerer Generationen. Wurde einer, der selbst von sich sagt: „Ich bin ein Botschafter.“ Und der damit vollkommen recht hat. Denn er ist tatsächlich Ozan Ata Canani, Botschafter der Gastarbeiter. Chronist deutscher Gesellschafts- und Sozialgeschichte. Ein Historiker, dessen Schreibgerät die Baglama ist.
Sechs dieser Instrumente hängen an der Zimmerwand seiner Wohnung in Leverkusen, wo er seit elf Jahren lebt. Auf ihnen spielt er seine Lieder, in denen er das Leben, Denken und Empfinden jener Gastarbeiter erzählt, die von den 60ern an nach Deutschland kamen. Sie wollten Geld verdienen, um sich Träume zu verwirklichen – und mussten um Anerkennung kämpfen. Eigentlich ist das bis heute so geblieben.
1971 hergekommen, immer geblieben
Ozan Ata Cananis Musik ist dabei eng mit der eigenen Biografie verknüpft: Sein Vater kam 1971 her, holte 1973 seine Frau nach – und 1975 ihn, den Sohn. „Und dann blieben wir für immer.“ Was nie der Plan gewesen sei. „Mein Vater wollte – wie viele andere – nur für ein paar Jahre herkommen und dann wieder zurück“, erinnert er sich.
Einzig: Er sollte es nie schaffen. Verbrachte mehr als die Hälfte seines Lebens in Bremerhaven und schließlich Köln. Als Schweißer. Was blieb von der Heimat war dieses leere, unerfüllte Credo: „Ich kehre zurück.“ Das habe er jedes Jahr nach dem Sommerurlaub in der Türkei bei der Heimreise gesagt, erinnert sich der Sohn. Ozan Ata Canani hörte genau hin. Und schrieb Lieder darüber. Und er tat das als erster türkischer Sänger auf Deutsch. Bis heute.
Eine Hochzeit als Wendepunkt
Die Idee zum Sprachwechsel sei ihm einmal während einer türkischen Hochzeit gekommen. „Ich trat dort mit meiner Musik auf, während die Gesellschaft aß.“ Am Ende kam ein deutsches Paar auf ihn zu und wollte wissen, von was er denn da singe. Die Gäste seinen ja so seltsam ruhig und ergriffen gewesen. „Von der Sehnsucht nach der Heimat“, antwortete Ata Canani und wurde gefragt: „Warum singst du das denn nicht auf Deutsch? Dann können das alle verstehen.“ Und das war eine gute Frage. Eine der wichtigste, die ihm im Leben je gestellt wurden. Denn er nahm sich ein Herz und tat genau das: auf Deutsch singen.
Und auch wenn der Erfolg anfangs auf sich warten ließ, weil „das der türkischen Gemeinschaft nicht passte und den meisten Deutschen die Musik zu orientalisch war“, wurde Ozan Ata Canani über die Jahre zu einer kleinen Ikone, einem Sprachrohr der Gastarbeiter. Songs wie „Deutsche Freunde“, „Warte, mein Land, warte“ oder „Alle Menschen dieser Erde“ sind wichtige musikalische Zeitzeugnissen und gesellschaftspolitische Statements.
Max Frisch als Impulsgeber
Sein Credo beim Schreiben ist bis heute ein Satz des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, den Ozan Ata Canani einst zu zu eigenen Berufszeiten in der Industrie in einer Zeitung der Gewerkschaft IG Metall las: „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen!“ Dieser Satz brachte das, was mit den aus der Türkei, Griechenland, Spanien, Italien oder Portugal nach Deutschland gekommenen Menschen passierte, auf den Punkt.
Insofern, sagt Ozan Ata Canani, seien seine Lieder immer auch ein Wink hin zu denjenigen gewesen, die hierzulande Politik betreiben, denn: „Gerade bei der ersten Generation von Gastarbeitern sprachen sie vorne herum von „Freunden“ – und hinter dem Rücken berieten sie, wie sie diese angeblichen Freunde schnell wieder loswerden könnten.“
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Ein Konzert in Leverkusen
Heute lebt die vierte Generation dieser Gastarbeiterfamilien in Deutschland – und Ozan Ata Canani ist vielleicht so erfolgreich wie nie: Auftritte führten ihn zuletzt nach Bremen, Hamburg, Berlin, in die Schweiz und nach Frankreich.
Und sie führten ihn 2021 sogar zur 60-Jahr-Feier der Ankunft der ersten Gastarbeiter hierzulande, bei der er vor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auftrat. Zudem nahm er seine alten Stücke jüngst noch einmal neu auf und veröffentliche sie auf dem Album „Warte, mein Land, warte“.
Was nun noch bleibt? Ozan Ata Canani weiß es. „Ein Konzert in Leverkusen“, sagt er. Denn: „Das hier ist jetzt seit elf Jahren meine Heimat, in der ich noch nie gespielt habe. Es wäre toll, wenn sich das noch ändert.“