Leverkusener Sophie-Scholl-Biografin„Bin jedes Mal entsetzt über solche Vergleiche“
- Die Leverkusener Autorin Maren Gottschalk schrieb zwei Bücher über Sophie Scholl.
- Zuletzt verglich sich eine gegen Anti-Corona-Maßnahmen protestierende Querdenkerin mit der von Nazis ermordeten Widerstandskämpferin.
- Gottschalk ist „entsetzt“ - und versucht Gründe für derlei beschämende Vorfälle zu benennen.
Leverkusen – Frau Gottschalk, lassen Sie uns über Jana aus Kassel sprechen – eine so genannte Querdenkerin, die sich bei einer Kundgebung gegen Anti-Corona-Maßnahmen zuletzt mit der von den Nazis ermordeten Widerstandskämpferin Sophie Scholl verglich. Sie haben zwei viel beachtete Bücher über Sophie Scholl geschrieben. Das aktuelle mit dem Titel „Wie schwer ein Menschenleben wiegt“ zu Sophie Scholls 100. Geburtstag im kommenden Jahr kam gerade erst heraus. Was denken Sie über Jana?
Es ist ja leider nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Und ich bin jedes Mal entsetzt über solche Vergleiche. Sie sind einfach falsch und unangemessen. Es ist zudem bitter, wenn man darüber nachdenkt, dass es eine junge Studentin ist, die sich da mit Sophie Scholl vergleicht. Der Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie ist ja nun nicht so schwer zu verstehen. Und eigentlich sollte gerade jemand wie Jana das wissen. Vielleicht weiß sie es ja auch. Aber dann denkt sie womöglich nicht weit genug.
Was fehlt solchen Menschen, die nicht weit genug denken?
Kritisches Denken. Medienkompetenz. Und Bildung. In zweifacher Hinsicht. Es gibt ja die sachliche Ebene der Bildung. Und es gibt Herzensbildung. Und auch im Hinblick auf letztere haben wir offensichtlich Nachholbedarf im Land, wenn ich solch eine Kaltschnäuzigkeit sehe. Es ist doch völlig unangemessen, den Umgang mit Opfern des Nationalsozialismus, die ermordet worden sind, für seine eigenen kleinen Probleme der Art „Ich muss eine Maske tragen“ oder „Ich kann keine Kindergeburtstage feiern“ zu missbrauchen.
Sie sprechen es an: Jana ist Studentin. Ein junger Mensch also. Sie selber gehen häufig zu jungen Menschen in Schulen, um aus ihren Büchern über Sophie Scholl vorzulesen. Welche Erfahrungen machen sie dabei?
Ich habe tatsächlich schon sehr, sehr viele Lesungen in Schulen gemacht. Beziehungsweise: Das sind ja nicht nur Lesungen. Ich erzähle dort auch viel frei und zeige Bilder. Und ich wage zu behaupten, dass die Schüler, die ich besucht habe, nicht auf derlei Ideen kommen würden. Im Gegenteil. Die sind sehr betroffen von dem, was sie da erfahren. Das sehe ich an ihren Augen und höre es an ihren Nachfragen. Ich glaube, dass man nach eineinhalb Stunden Vortrag über Sophie Scholl bei mir weiß, dass unsere Wirklichkeit eine völlig andere ist als ihre.
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Müssen Sie als Autorin in Zukunft bei Schulbesuchen also nicht nur lesen, sondern auch darauf einwirken, dass der Geschichtsunterricht forciert wird?
Natürlich gehört das dazu. Aber ich denke, dass die Lehrerinnen und Lehrer selbst ganz genau wissen, wie wichtig Geschichte ist. Denen muss ich nichts erklären. Die Frage ist vielmehr: Inwieweit wird dem Geschichtsunterricht genügend Raum in den Lehrplänen eingeräumt? Da muss man vielleicht die Politik ansprechen. Oder auch schauen, vermehrt Autorinnen und Autoren in die Schulen zu holen. Ich bin ja nicht die einzige. Da gibt es ja noch viel mehr. Zudem geht es ja nicht nur um den Geschichtsunterricht.
Sondern?
Ein Problem heutzutage ist auch das Negieren von Fakten. Wissen Sie: Man kann ja über Corona-Regeln diskutieren. Das ist ja gar keine Frage. Aber man kann eben nicht über Fakten diskutieren, die wissenschaftlich, historisch bewiesen sind. Man kann nicht darüber diskutieren, ob wir in derselben Situation wie Sophie Scholl sind. Denn es ist klar, dass dem nicht so ist. Und das betrifft nicht nur den Geschichtsunterricht. Das betrifft auch andere Fächer. Und es betrifft Unis und damit Studierende wie Jana.
Würden Sie Jana je ein Exemplar ihrer Bücher zusenden?
Ja, klar. Darüber habe ich auch tatsächlich schon nachgedacht. Denn Lesen bildet bekanntlich. Man kann immer etwas dazulernen. Und ich hoffe, dass es ihr auch so geht. Dass sie merkt, auf wieviel Widerstand sie da gestoßen ist mit ihren Worten und dass sie sich vielleicht die Frage stellt: „Wer ist diese Figur, von der ich dachte, ich könnte mich mit ihr politisch identifizieren?“ Das wäre zudem besser, als nur auf sie draufzuhauen.