Bruno Bermes war 24 Jahre lang Leiter der Schlebuscher Gesamtschule. Im Interview erklärt er, warum er das gegliederte Schulsystem ablehnt.
Bruno Bermes geht in Ruhestand„In Leverkusen sollte es nur Gesamtschulen geben“
Herr Bermes, sie waren neun Jahre lang Leiter der Realschule am Stadtpark, bevor sie im Jahr 2000 zur Gesamtschule Schlebusch gewechselt sind. Warum sind sie aus dem gegliederten Schulsystem zum gemeinschaftlichen Lernen gewechselt?
Bruno Bermes: In dem gegliederten System wird eine vermeintliche Homogenität angestrebt. In Hauptschule, Realschule und Gymnasium werden die Schüler zu einem sehr frühen Zeitpunkt nach vermeintlicher Leistung sortiert und das führt oft dazu, dass viele Kinder frühzeitig als „leistungsstark“ oder „leistungsschwach“ klassifiziert werden. Ich habe gesehen, dass der Aufstieg innerhalb des Systems nur etwa einem von 100 gelungen ist, dafür aber 30 von 100 abgestiegen sind. Die Relation fand ich nicht so toll, dass ich sagen würde: In dem System willst du weiter arbeiten.
Was macht die Gesamtschule ihrer Meinung nach besser?
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Die Gesamtschule öffnet allen Kindern die Türen, und sie entscheiden nach Begabung und Leistung, welchen Weg sie gehen. Es gibt keine frühe Selektion, sondern ein längeres, gemeinsames Lernen. Dies ermöglicht es, die Schüler individuell zu fördern und sie nicht zu früh in Schubladen zu stecken. Wir bleiben vom ersten bis zum letzten Tag verantwortlich für sie. Dieses lange gemeinsame Lernen und die Möglichkeit, inklusiv zu arbeiten, haben mich überzeugt. Mittlerweile haben wir 112 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und das bereichert unsere Schule sehr.
Was bewirkt das gemeinsame Lernen bei den Schülern?
Einer der größten Vorteile der Gesamtschule ist die Heterogenität. Schüler mit unterschiedlichen Leistungsniveaus und sozialen Hintergründen lernen gemeinsam. Dies fördert nicht nur das soziale Lernen, sondern auch das gegenseitige Unterstützen. Schülerinnen, die in einem Fach stark sind, können anderen helfen und so ihre eigenen Kenntnisse vertiefen. Zudem entwickeln sie wichtige soziale Kompetenzen. Hier können sie das richtige Leben kennenlernen, dass eben jeder Jeck anders ist.
Wie haben Sie die Gesamtschule vor 15 Jahren vorgefunden und was hat sich seitdem verändert?
Die Schule war schon immer groß, aber die Klassengrößen sind kleiner geworden. Früher hatten wir 32 Schüler pro Klasse, heute sind es 27. Wir haben viele neue Räume geschaffen, Naturwissenschaftsräume modernisiert und digitale Ausstattung eingeführt. Heute haben fast alle Klassenräume interaktive Panels und die Lehrkräfte iPads. Es hat sich viel verändert, aber das grundlegende Prinzip der Schule für alle ist geblieben.
Was war Ihr größter Erfolg an der Schule?
Die Einführung des Inklusionsprogramms war ein großer Erfolg. Es war wichtig für mich, dass wir als Schule inklusiv arbeiten und jedem Schüler die bestmögliche Unterstützung bieten. Außerdem haben wir viele bauliche und technische Modernisierungen umgesetzt, wie die Sanierung der Naturwissenschaftsräume und den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Besonders stolz bin ich auf unsere individuellen Lernzeiten, die es den Schülern ermöglichen, selbstständig zu lernen und sich in Themen zu vertiefen, die sie interessieren.
Wie wichtig ist ihnen die Quote, wie viele Kinder sie zur Mittleren Reife oder zum Abitur bringen?
Die Quote an sich ist mir nicht so wichtig. Ich bin sehr zufrieden, dass wir in den Abiturjahrgängen immer Schülerinnen und Schüler dabeihaben, die mit Hauptschulempfehlung zu uns gekommen sind. Die wären im dreigliedrigen Schulsystem sehr wahrscheinlich nicht so weit gekommen. Besonders wichtig finde ich aber, dass die Anzahl der Schüler, die einen mittleren Abschluss machen, konstant geblieben ist. 90 Prozent unserer Schüler haben den mittleren Abschluss, davon haben mehr als die Hälfte die Qualifikation in die Oberstufe zu gehen. Die bleiben nicht alle bei uns, sondern gehen vielleicht auch zur Berufsschule. Wie viele Abitur machen, ist mir nicht so wichtig, die Schüler sollen ausbildungsfähig sein.
Sie müssen regelmäßig etwa der Hälfte der Kinder, die sich um einen Platz in der fünften Klasse bewerben, eine Absage schicken. Wie sehr schmerzt sie das?
Es tut mir immer sehr sehr leid. Aber auch das gehört zum Erwachsenwerden dazu, das ist auch eine pädagogische Aufgabe, die wir erfüllen. Wir losen, das ist leider so. Was mich eher bedrückt, ist, wenn Schüler an ihrer Schule unglücklich sind und zu uns kommen wollen, aus welchen Gründen auch immer. Ich würde manches Mal gerne den Kindern helfen. Aber dadurch, dass wir nicht selektieren, sind wir von Anfang an voll. Wenn einer mal wegzieht, zieht bestimmt auch jemand zu, den wir dann nehmen müssen. Ich würde mir wünschen, wir könnten so planen, dass wir in jeder Klasse ein bis zwei Plätze freihaben, damit wir sagen können: Wenn mal etwas passiert, dann kann jemand zu uns kommen. Aber das geht nicht, dann müssten wir noch mehr Kinder ablehnen.
Es gibt immer mal wieder die Rufe, eine weitere Gesamtschule in Leverkusen zu gründen. Was sagen Sie dazu?
Bin ich sofort dafür. Ich bin der Meinung, eigentlich dürfte es nur Gesamtschulen geben, dann gäbe es auch keine Überhänge mehr, dann würde man dahin gehen, wo man wohnt und gut isses. Aber eine zusätzliche Gesamtschule macht keinen Sinn. Es geht nur, wenn mindestens eine Realschule und auch mindestens ein Gymnasium geschlossen werden. Dann stimmt auch die Mischung wieder. Sonst habe ich eine Gymnasialschiene und eine Mittelschulschiene, das ist das Gleiche in Grün. Aber dass sich jemand traut, ein Gymnasium abzuschaffen, geht erst dann, wenn genug Gesamtschüler in der Regierung sind. Aktuell entscheiden die, die auf ein Gymnasium gegangen sind und das auch gut fanden. Da ist das nicht durchsetzbar.
Können Sie etwas zu Ihrer Nachfolge sagen?
Ja, es gibt eine Nachfolgerin. Sie heißt Eva Schönemann und war früher Schulleiterin in Troisdorf und zuletzt sechs Jahre lang im Auslandsschuldienst Jerusalem. Sie ist jetzt relativ frisch aus Israel zurückgekommen und wird unsere Schule sicher bereichern. Ich bin froh, dass es eine direkte Nachfolge gibt und ich noch eine Übergabe machen kann.
Wird es eine Abschiedsfeier für Sie geben?
Auf keinen Fall! Ich möchte das nicht. Ich habe hier einen Beruf ausüben dürfen, der mich sehr zufrieden gemacht hat und das ist Dank genug, wenn man einen Beruf hat, der einen erfüllt, der Sinn macht und wo man nachher sagen kann: Ich habe ganz vielen Menschen einen Weg bereitet. Nicht nur den Schülerinnen, sondern auch den Kolleginnen, die teilweise Karriere gemacht haben oder auch einfach nur zufrieden arbeiten konnten. Die Rückmeldung der Eltern, Kinder und Kollegen waren mir immer Dank genug. Bei emotionalen Reden würde ich nur den halben Abend heulen. Und die Eltern und Kollegen haben eh genug zu tun, die sollen sich lieber um die Kinder kümmern, als tagelang irgendwas für mich zu proben oder Geld zu sammeln.
Was haben Sie sich für ihren Ruhestand vorgenommen?
Ich will vor allem Zeit für mich haben. Ich habe immer eine 60-Stunden-Woche gearbeitet, die sich nie so angefühlt hat, weil die Arbeit sehr viel Spaß gemacht hat und so vielfältig war, dass die Stunden einfach vergingen. Ich habe nie auf die Uhr geschaut und gesagt: „Jetzt musst du langsam mal aufhören.“ Es war immer eine schöne Zeit. Aber jetzt möchte ich regelmäßig Sport machen, Zeit haben, Trompete zu üben. Ich war mal richtig gut und da will ich gerne wieder hinkommen. Meine Frau ist noch an der Schule und hat die ganzen Jahre als Teilzeitkraft viel mehr Hausarbeit gemacht, das wird sich jetzt umdrehen. Ein Ehrenamt werde ich mir erst einmal keines suchen, denn ich bin sicher, ziemlich bald findet das Ehrenamt mich.
Zur Person
Bruno Bermes, 62, fing als Lehrer an einer Schule in Solingen an. In der damals gerade einsetzenden Digitalisierung sei er schnell zur Assistenz der Schulleitung aufgestiegen. „Ich war jung und hatte keine Berührungsängste mit der neuen Technik“, sagt Bermes selbst. Im Jahr 2000 ist er als Schulleiter an die Realschule am Stadtpark gekommen und im Jahr 2009 an die Schlebuscher Gesamtschule gewechselt. Offiziell geht er zum 31. Juli in Ruhestand. Außerdem war er 20 Jahre lang Sprecher des Arbeitskreises der Schulleiterinnen und Schulleiter an den Weiterführenden Schulen der Stadt (AK SL LEV). Zu seinem Nachfolger wurde nun Luer Ebermann, Schulleiter des Berufskollegs für Wirtschaft und Verwaltung, gewählt.