So ging es weiter: Giftmüllkippe in LeverkusenAltlast wurde spät als Gefahr erkannt
- Teil 2 der Geschichte der Dhünnaue beschäftigt sich mit dem Versuch der Sanierung.
- Finanziert wurde die mit "Staatsknete", aber auch Bayer musste in die Tasche greifen.
Leverkusen – Wenn in Artikeln von Dezember 1987 gelegentlich von der „Entdeckung der Altlast Dhünnaue“ geschrieben wird, ist das eigentlich ein Witz. Jeder Wiesdorfer kannte Geschichten über Staub, Gestank, schillernde Erde und farbige Seen auf der Kippe.
Allerdings: Was die FF, später die I.G., dann Bayer zunächst in die Wiesdorfer Sand- und Kieslöcher, später in die Dhünnaue in Massen gekippt und zum Teil mit einer Schicht Mutterboden bedeckt hatte, darüber lässt sich heute indirekt etwas durch Analyse von Bohrproben sagen. Dokumentiert hat man die exakten Lagerstätten für einzelne Chargen nicht genau, die Menge war aber bedeutend: 1955 rollten jeden Werktag bis zu 600 Lastwagen und sechs bis acht „Kipp-Bähnchen“ in die Dhünnaue. Als die ersten Müllberge gewachsen waren, dämmerte es den Fachleuten in Verwaltungen und bei Bayer, dass es so nicht weitergehen konnte. Um 1960 herum diskutierte man über Möglichkeiten, den Müll zu verbrennen und ihn anschließend sicherer und platzsparend zu lagern.
Das ist das heutige Konzept und wie wir nicht erst seit dem Explosionsunglück im August 2021 wissen, birgt auch die Verbrennung große Probleme.
Zweimal griff man erheblich in den Deponiekörper ein: in den 70er-Jahren, beim Bau des Spaghettiknotens, schichtete man auf der Kippe „Dhünnaue Nord“ laut einer Broschüre des Landschaftsverbands 600 000 Kubikmeter um. In dem Papier heißt es: „An den Gründungskörpern der Brückenbauwerke mussten besondere Maßnahmen zum Schutz gegen den chemisch verunreinigten, aggressiv wirkenden Untergrund getroffen werden.“
Der zweite große Eingriff zum Bau der neuen Rheinbrücke erfolgte immer in großen Zeltbauten. Bis auf eine erhebliche Geruchsbelästigung wurden beim zweiten Eingriff keine schwerwiegenden Probleme bekannt.
Im Dezember 1987 dagegen wurde es hektisch im noch relativ neuen Umweltdezernat der Stadt Leverkusen. Weil ein neuer Bebauungsplan „Dhünnaue-West“ aufgestellt werden sollte, hatte man Bodenuntersuchungen auf und in der Altlast Dhünnaue in Auftrag gegeben. Die Kippe benannte man zu der Zeit übrigens noch nicht mit dem wenig Vertrauen erweckenden Wort "Altlast". Sprechen Ingenieure heute über den Leverkusener Giftberg, sagen sie oft „Altablagerung“, das klingt weniger drastisch.
Alarmierende Ergebnisse
Die Untersuchungsergebnisse 1987 waren derart alarmierend, dass ein sofortiges Benutzungsverbot der Gärten und Rasenflächen erlassen wurde. Auf der Giftmüllkippe hatte die städtische Wohnungsbaugesellschaft Mehrfamilienhäuser gebaut. Kontakt mit dem Boden sei unbedingt zu vermeiden, hieß es nun. Das kam nicht ganz überraschend: Monate zuvor, im Mai 1987, hatte das Amt bereits vor dem Verzehr von selbst angebautem Gemüse gewarnt.
Die Verbote betrafen Anwohner der nördlichen Große Kirchstraße, ein Altenheim und Häuser an der Albert-Einstein-Straße sowie die heute nicht mehr existierenden Straßen Haldenweg und In den Kämpen. Außerdem stand dort ein Jugendzentrum. Alle auf der Kippe gebauten Häuser ließ die WGL-Vorgängerin GSG später abreißen. Weil sogar Pflanzen und der Oberboden belastet waren, kündigte der Umweltdezernent an, dass „Feldhüter“ die Verbote überwachen sollten. Die Kippe war zum bestimmenden Thema in Leverkusen geworden.
Der „Leverkusener Anzeiger“ berichtete damals, dass bei der Hälfte der getesteten Stellen die Müllschicht teils gar nicht mit unbelastetem Mutterboden abgedeckt worden war. In den Verträgen zwischen Werksdirektion und Stadt hatte man über die Dicke der Schicht gestritten: Man einigte sich auf 50 Zentimeter, weniger sollte es nicht sein.
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Es war ein sprichwörtlich heißer Dezember im Jahr 1987: Über Wochen beherrschten die nahezu täglichen Giftmüll-Nachrichten die Schlagzeilen. Trotzdem rechnete man bei der Stadtverwaltung zu der Zeit immer noch nicht mit dem Abbruch der Häuser an der Rheinallee. Man ahnt, unter welchem Druck die Stadtverwaltung gestanden hat: Nur eine Woche nach Erscheinen des ersten Artikels über die Analyse-Ergebnisse asphaltierten Straßenbauer die nackte Erde um die Häuser am Haldenweg. Im „Leverkusener Anzeiger“ schilderte eine frühere Bewohnerin der Häuser, dass dort sowieso nie Gras gewachsen sei.
Es dauerte Jahre, bis alle 800 Menschen von der Altlast in neue Häuser umgesiedelt waren. Die Häuser am Haldenweg brach man im Herbst 1988 unter staubbindender Berieselung ab; die Wohnblocks an der Rheinallee folgten Ende 1992. In mehreren Artikeln, auch im „Spiegel“, berichteten Bewohner von dem Verdacht, dass dort überdurchschnittlich viele Menschen jung an Krebs erkrankt seien. Im Lehrerkollegium an der ehemaligen Schule Adolfsstraße (heute Grünflächenamt) sollen in 15 Jahren 15 Lehrer Krebs bekommen haben. Fünf sollen gestorben sein.
Auffällige Veränderungen im Blutbild der Kinder
Eine Untersuchung der Schüler im Januar 1989 ergab bei 25 Prozent der Kinder auffällige Veränderungen im Blutbild. Die Diskussion kam in Fahrt, die Stadt lehnte dennoch und gegen den Rat eines Gutachters die Verlagerung der Schule ab. Nicht schnell gehandelt zu haben, war ein Fehler, denn später mussten die Kinder doch noch umziehen.
Der städtische Verwaltungsbericht 1989-1994 gab über das Ausmaß der Verseuchung Auskunft: Schon die Luftqualität war beeinträchtigt. Bäume und Büsche waren mit Chrom, Blei und Arsen vergiftet. Im Oberboden fanden sich hohe Konzentrationen an Schwermetallen wie Chrom, Blei, Cadmium sowie Chlorverbindungen und Arsen. Dioxin liegt in den tieferen Schichten, wo sich die anderen Schadstoffe in „extrem hohen Konzentrationen“ finden (es sollen 20, auch über 30 Gramm je Kilogramm gemessen worden sein). Und: In die Wände und die Fußböden der in den 1950er Jahren gebauten Häuser waren innerhalb weniger Jahrzehnte fast alle der genannten Schadstoffe eingezogen, besonders Chrom VI - Hochgiftige und krebserregende Stoffe; rotes, ätzendes Chromoxid schädigt das Erbgut.
Nachdem klar war, was in der Dhünnaue lag, forderten manche, dass man jetzt die Ärmel hochkrempeln und die Altlast komplett abräumen müsse. Die Vorstellung erledigte sich schnell. Zu teuer: Die Verbrennung des Mülls hätte Jahrzehnte gedauert.
Die Leverkusener müssen mit dem Gift leben. Eine Abdichtung war stets das maximale Ziel, zumal die Bayer AG wegen der alten Verträge höchstens auf freiwilliger Basis an der Sanierung ihrer Müllberge mitwirken würde. Was sie dann aber tat: Zur Linderung der Folgen der seit 1920 anhaltenden Umweltzerstörung gab Bayer Geld. Insgesamt kostete die Abdichtung 110 Millionen Euro. Die Stadt zahlte ein Viertel, Bayer drei Viertel.
Ein Park auf der Kippe
Im Mai 1992 steht der Sanierungsplan: Eine 3,6 Kilometer lange, bis 40 Meter tiefe Grundwassersperre mit einer Brunnenkette soll das durch die Abfälle stark belastete Grundwasser abschirmen. Gegen diese 80 Millionen Mark teure Investition hatte sich Bayer zuerst noch gesperrt. Aber übergeordnete Behörden hatten sich in das Verfahren eingebracht und Druck gemacht. Die Oberflächensanierung mit einer 2,5 Millimeter dicke Kunststoffbahn, eingebettet in Mineral- und Erdschichten. Der Endzustand sollte ein Rheinpark sein. Zunächst als zu teuer abgelehnt, sollte der Park mit der Landesgartenschau 2005 mit erheblichen Landesmitteln verwirklicht werden.
Die Leverkusener Berge haben es nach wie vor in sich: Bei Untersuchungen durch Straßen NRW im Jahr 2016 beförderte man mit 120 Probebohrungen über 250 Chemikalien an die Oberfläche. Mehr als 100 Sorten teerige Abfälle (PAK), über 80 verschiedene organische Chlorchemieabfälle, 14 Lösemittel und 60 Chemikalien, die unter „Sonstige“ gelistet werden. Auch das hochgiftige Dioxin. Viele der gefundenen Stoffe sind nicht genau zu identifizieren.
Das Fehlen der in solchen Prozessen für die Bevölkerung besonders wichtigen Transparenz wurde stets beklagt und war Anlass für Proteste. Bürger erhielten manchmal erst über den Klageweg Einblick in Analysen und Messergebnisse.
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