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Ortstermin in SchlebuschWie Leverkusener Nachbarn um 40 Jahre alten Baum streiten

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Mehrere Personen stehen auf einem Steinweg. Rechts befinden sich Wohnhäuser, links Pflanzen und Bäume. Auf dem Boden kniet ein Mann und misst die Breite des Gehwegs.

Richter Stefan Müller-Gerbes ermittelt die Maße vor Ort. Links steht der Lebensbaum. 

Leverkusen – Die Besitzer eines 40 Jahre alten Lebensbaums schätzen den dichten Schatten im Sommer sehr, der Nachbar aber beschwert sich seit Jahren über das immergrüne Zypressengewächs. Wahrscheinlich gehört der Streit über Bäume, wie hier in der gutbürgerlichen Bungalowsiedlung an der Alfred-Kubin-Straße auf dem Leimbacher Berg, zu den häufigsten Gründen für Knatsch zwischen Nachbarn. Jetzt ist es darüber sogar zu einem Gerichtsprozess gekommen, am Freitagmorgen, kam ein Richter des Leverkusener Amtsgerichts zum Ortstermin.

Dem Kläger ist die Öffentlichkeit nicht geheuer

Die Thuja ist ein Einzelbaum, keine Hecke, wie es sie oft gibt, sie steht auf dem Grundstück der Eheleute Rothert ziemlich nah am Zaun. Ein Weg trennt die Grundstücke. Nicht ganz geheuer war dem Kläger dabei die anwesende Öffentlichkeit, ein Reporter und eine Nachbarin: „Sind Sie sicher, dass der Termin öffentlich ist?“ Die Frage galt dem Richter. Ja, fast alle Gerichtstermine sind öffentlich, darüber muss sich jeder Kläger klar sein. Die Baumbesitzerin Annelise Rothert kommt, gestützt auf einen Rollator, in Begleitung ihres Anwalts zum Termin auf der Grundstücksgrenze.

Rechts befinden sich Wohnhäuser, links Pflanzen und Bäume.

Links die sechs Meter hohe Thuja, rechts das Haus des Klägers.

Zwischen dem Baum und dem Haus des Klägers liegt ein 2,50 Meter breiter Weg, ein Fußweg, auf den lässt der Lebensbaum ständig kleine braune Schuppenblätter rieseln. Die muss der Kläger wegkehren, weil es in der Straße die Übereinkunft gebe, dass jeder die Blätter und Nadeln auf dem Abschnitt vor dem eigenen Haus entfernen müsse, sagt der Kläger.

Streit um einen Baum: Der Zollstock im Einsatz

Richter Stefan Müller-Gerbes holt einen Zollstock aus der Tasche und vermisst akribisch die Abstände: Die Breite des Weges, Grundstücksgrenzen, den Überwuchs des Baums über dem Weg, sieht nach Verkehrsschildern, peilt die Fluchten des Fußwegs, schätzt Abstände, kniet am Boden und misst die Breite des Wegs, prüft oben den lichten Raum unter dem Baum: 2,50 Meter reichen, der Weg ist keine Feuerwehrstellfläche, Autos fahren hier nicht. Alles spricht er in sein Diktiergerät ein.

Der Kläger wirft ein, dass das Ehepaar Rothert am Tag zuvor die Bäume im Garten von einem Gärtner beschneiden ließ, das Bild also nicht repräsentativ sei.

Die Baumbesitzerin wirft ein, der Gärtner komme jedes Jahr und er habe erst gestern Zeit gehabt. Der Richter möchte die Angelegenheit offenbar gütlich beenden: Der Baum sei beschnitten, dann sei doch eigentlich alles geregelt. Ob der Kläger seine Klage jetzt vielleicht noch zurückziehen wolle, schlägt er vergeblich vor.

Vorschlag zur Güte wird abgelehnt

Richter Müller-Gerbes baut dem sportlich wirkenden Kläger im jungen Rentenalter eine zweite Brücke und macht noch einen Vorschlag: Wenn die Baumbesitzer regelmäßig die Nadeln der Thuja wegkehren würden – ob ihm damit gedient sei und die Klage für erledigt gelten könne? Nein, das habe er dann ja nicht selbst in der Hand. Der Kläger bleibt dabei und besteht auf einer gerichtlichen Entscheidung: Er findet, der Baum auf Nachbars Grundstück soll am besten ganz weg, er stört ihn offensichtlich.

Der Baum nehme ihm das Licht in den Badezimmern und im Arbeitszimmer, sagt der Kläger. Der Blick des Richters bekommt für einen Moment einen ungläubigen Ausdruck: Der Baum stehe vom Haus aus gesehen im Norden und könne keinen Schatten werfen. Müller-Gerbes: „Sie haben doch da Gardinen vorm Fenster!“ Dennoch: Richter und Anwälte prüfen der Vollständigkeit halber das Tageslicht im Arbeitszimmer.

Ein Urteil wird auf Ortsterminen nicht gesprochen, das braucht etwas Zeit.