Lebenshilfe„Team Wallraff“ hielt Aufnahmen zurück – „das ist grobe Fahrlässigkeit“
Leverkusen – Das Vertrauen ist dahin. Hass-Mails überfluten die Posteingänge. In sozialen Netzwerken wird Beschäftigten der Lebenshilfe-Werkstätten in Leverkusen Prügel angedroht. Auf der Straße werden auch Eltern angesprochen.
„Wie könnt ihr euer Kind dorthin schicken?“ Das „Team Wallraff“ hat eine Welle der Entrüstung ins Rollen gebracht. Am Montagabend wurden in der aktuellen Folge im Programm von RTL Aufnahmen aus der Lebenshilfe-Werkstatt in Bürrig gezeigt.
Darin ist zu sehen, wie eine junge Frau mit einer schweren geistigen Behinderung von ihren Betreuern schikaniert wird. „Lisa“ (Name geändert) wird geschubst und beschimpft.
Arbeitsrechtliche Schritte
Auf das Schärfste kritisierte am Dienstag die Geschäftsführung der Lebenshilfe-Werkstätten in Leverkusen das Verhalten zweier Mitarbeiter. Beide Gruppenleiter – eine Frau und ein Mann, die beide seit langem zur Belegschaft gehörten – wurden nach der Sendung mit sofortiger Wirkung von der Arbeit freigestellt.
Wie Harald Mohr, Geschäftsführer der Lebenshilfe-Werkstätten, ankündigte, werden arbeitsrechtliche Schritte eingeleitet. „Ihr Verhalten wird zu Recht skandalisiert. Es ist nicht entschuldbar.“
Mohr äußerte aber auch Zweifel an der Art der Berichterstattung. Das „Team Wallraff“, allen voran Reporterin Caro Lobig, die sich, als Praktikantin getarnt, in das Unternehmen eingeschleust hatte, hätte die Aufnahmen nicht so lange zurückhalten dürfen.
Die Bilder stammen teils vom Dezember 2015, weitere Videoaufnahmen wurden 2016 gemacht. In der Zwischenzeit konnten die betreffenden Mitarbeiter unbehelligt weiter wirken. Gegen sie habe es nie eine Beschwerde gegeben, sagte Mohr. Man habe es nicht kommen sehen.
Emotional aufgeladen war die kurzfristig einberufene Pressekonferenz. Eva Lux, Vorstandsmitglied und selbst Mutter eines autistischen Sohnes, zeigte sich tief betroffen und erzürnt.
Sie weigerte sich, den anwesenden RTL-Journalisten vor laufender Kamera ein Statement zu geben. „Darin sehe ich keinen Mehrwert“, sagte sie. „Wie kann man diese Bilder ein Jahr lang zurückhalten? Das ist grobe Fahrlässigkeit.“
Vorstand und Geschäftsführung demonstrierten Einigkeit. Mitarbeiter, die sich Schutzbefohlenen gegenüber übergriffig verhalten, dulde man nicht. Nun stehe man aber vor dem Dilemma, keine verwendbaren Fakten zu haben, um rechtlich gegen die Betreuer vorzugehen.
Aus der Sendung gehe nicht hervor, so erklärte es Harald Mohr, wann sich die Taten genau ereigneten. Die Verpixelung der Bilder sei ein weiteres Hindernis, Zeugen gebe es nicht. „Wir haben keine verwendbaren Fakten“, sagte Lux.
Anders, als im Fernsehbericht der Anschein erweckt wurde, habe die Geschäftsführung erst am 18. Januar 2017 von den Vorwürfen erfahren.
Klare Aussagen habe das Journalisten-Team nicht gemacht. 200 Heilerzieher und Ergotherapeuten beschäftigen die Lebenshilfe-Werkstätten Leverkusen/Rhein-Berg , davon etwa 60 in Bürrig. Am 31. Januar stellte Mohr Strafantrag gegen unbekannt bei der Staatsanwaltschaft Köln.
In der Sendung erkannt
Erst nach der Ausstrahlung konnten die Unternehmensverantwortlichen die Mitarbeiter identifizieren. Der Mann befindet sich derzeit in Erziehungsurlaub, die Frau meldete sich kurz nach Arbeitsantritt am Dienstag krank. Beiden wurde nun schriftlich mitgeteilt, dass sie freigestellt sind.
Für den Elternbeirat betonte Michael Rösgen, dass er sein volles Vertrauen in die Einrichtung setze. „Mir liegt viel daran, meinen Sohn weiter hierhin schicken zu können.“ Was mit Lisa geschah, rührte ihn zu Tränen. Schockiert war auch Lisas Familie.
Sie forderte, dass ihre Tochter nie wieder in Kontakt mit den Gruppenleitern kommt, und will Anzeige erstatten.