Die Sprachnachrichten der Getöteten offenbaren das ganze Drama der Beziehung mit dem türkischen Angeklagten.
Tod in LeverkusenSchwester des Angeklagten überrascht Gericht im Rheindorfer Mordprozess
Es gab Tage, an denen lagen zwischen Liebesschwüren und Verwünschungen nur Stunden. „Ich bring Dich um“ – solche Ausbrüche gab es auf beiden Seiten. Das, was Jacqueline E. und Ali L. (Name geändert) sieben Monate lang führten, kann man nur als toxische Beziehung bezeichnen. Das wird am Dienstag so deutlich wie noch nie in diesem Prozess, der am Nachmittag zwei Überraschungen bereit hält: Alexander Fühling, der Vorsitzende Richter der 21. Großen Strafkammer, teilt mit, dass der Rheindorfer Angeklagte möglicherweise nicht wegen Mordes verurteilt werden könnte, sondern auch wegen Totschlag. Das würde eine deutlich kürzere Gefängnisstrafe bedeuten.
Die zweite Wendung: Verteidiger Gottfried Reims verliest ein Schreiben, das die Bluttat am 27. Oktober 2023 auf der Ilmstraße in Rheindorf-Nord in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt. Die Schwester von Ali L. teilt mit, dass sie von der Beziehung mit Jacqueline E. und auch der Schwangerschaft gewusst habe. Und: Sie habe das auch ihrer Mutter erzählt. Zuvor spielen die Richter über gut zwei Stunden Sprachnachrichten der schwangeren Frau vor, die am Abend des 27. Oktober erstochen wurde. Ali L. hat die Tat eingeräumt. Aber: „Es geht hier nicht nur darum, Strafen zu verteilen.“
Der Richter versucht alles
Alexander Fühling versucht am Mittag noch einmal, den Angeklagten zum Reden zu bringen. Der Richter will wissen, was im Detail passiert ist. Auch, „weil hier Menschen sitzen, die Fragen haben. Und wenn Sie nichts sagen, werden die immer unwissend bleibe. Das ist vielleicht eine zusätzliche Strafe“, so der Richter mit Blick auf die Mutter der Toten und ihre Halbschwester, die als Nebenklägerinnen am Prozess teilnehmen.
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Tatsächlich erscheint es rätselhaft, warum es an jenem Freitagabend zu dieser Tragödie gekommen ist. Jacqueline E. scheint nichts dazugetan zu haben. Die werdende Mutter äußert sich am frühen Abend kein bisschen aggressiv, das ist aus ihren Sprachnachrichten klar zu erkennen: „Ich möchte anständig irgendwo mit Dir reden gehen.“ Um 20.30 Uhr werde sie in Rheindorf-Nord ankommen. Das zeigt auch ein Screenshot der Fahrdienst-App. In dieser Situation ist nicht davon die Rede, dass Jacqueline die Mutter ihres Freundes einweihen will: darüber, dass die beiden ein Paar sind, dass sie schwanger ist.
Das Opfer war unsterblich verliebt – und sehr aggressiv
Für Ali L. war das eine Drohung: Die türkische Familie ist offenbar streng gläubig; ein uneheliches Kind mit einer Frau, die aus ihrer ersten Beziehung schon zwei Kinder hat – das geht überhaupt nicht. „Ich sage Deiner Mutter alles. Ich mache Dir das Leben zur Hölle.“ Auch das hatte Jacqueline E. immer mal wieder gedroht. Auch aus Verzweiflung darüber, dass sich der Mann, in den sie sich offenbar unsterblich verliebt hatte, sich nicht zu ihr bekannte. Aber: An diesem Tag, der für die 35-Jährige tödlich enden wird, ist die Stimmung nicht aggro, sondern aufgeräumt. Jedenfalls von ihrer Seite.
„Da ist eine Frau, die will vernünftig mit Ihnen reden. Am Schluss liegt sie da und ist tot. Wie konnte das passieren? Der Einzige, der uns das sagen kann, sind Sie“, dringt Richter Fühling in den Angeklagten. Der sitzt wiederum nur mit gesenktem Kopf da. Und weint. „Warum weinen Sie eigentlich? Ist das Selbstmitleid oder ist das wegen Jacqueline“, fragt Fühling. Und bekommt mal eine Antwort von dem Rheindorfer: „Wegen Jacqueline.“
Mehr passiert zunächst nicht, so sehr sich der Vorsitzende Richter auch bemüht. Er weiß, dass der Mann mit türkischen Wurzeln seine Scham überwinden muss. Und dass ihm das unglaublich schwer fällt. Aber es gebe im Leben Situationen, in denen man sich überwinden müsse, in denen „ein Mann sich gerade machen muss. Schaffen Sie das?“ Nach einer Pause wird klar: Er schafft es nicht.
Womöglich aber bringt die Schwester des Angeklagten ein bisschen Licht ins Dunkel. Sie wird für nächste Woche Donnerstag geladen. Dann wird der Prozess fortgesetzt.