AboAbonnieren

Warnung vor Autobahn-AusbauDoppelt so viele Erkrankungen der Atemwege in Leverkusen

Lesezeit 5 Minuten
LE-Staustelle-1

An der vielbefahrenen Straße wurden Luftmessungen durchgeführt.

Leverkusen – Lungenfacharzt Dr. Norbert Mülleneisen weiß anschaulich und unterhaltsam vorzutragen, auch komplizierte Sachverhalte, um dann zu ganz einfachen Schlussfolgerungen zu kommen. Auf einer Veranstaltung des Regionalen Praxisnetz Leverkusen, einem Zusammenschluss Leverkusener Ärzte, Psychotherapeuten und Psychologen, die sich gemeinsam für eine Verbesserung der Patientenversorgung einsetzen und die sich um die Umweltverschmutzung in der Stadt sorgen, tat er dies überzeugend. Das Fazit seines öffentlichen Vortrags im Agamsaal des Forum: Autoabgase machen krank. Und: Jeder Mensch in Leverkusen sollte so viel wert sein wie eine Eidechse.

Nehmen wir seine Schlusspointe mit der Eidechse vorweg: Beim Ausbau der Bahnstrecke Stuttgart – Ulm wurde eine seltene Eidechsen-Population im Streckenverlauf entdeckt. Ehe gebaut werden durfte, mussten die bedrohten Reptilien umgesiedelt und in Sicherheit gebracht werden. Das kostete 86 Millionen Euro – 8600 Euro pro Eidechse. Mülleneisens Vergleichswert: Der Neubau der A1 in Leverkusen als Stelzenautobahn soll in diesem Abschnitt 300 Millionen Euro kosten, ein Tunnel in diesem Teil 260 Millionen Euro mehr. Die Mehrkosten umgerechnet auf die Leverkusener Bevölkerung: 1625 Euro pro Kopf. Ein Klacks im Vergleich zur Ulmer Eidechse.

„Wir müssen also seltene Tierarten an der Autobahn finden“, so die ebenso polemische wie nachvollziehbare Folgerung des Facharztes für eine Autobahn, die mitten durchs Stadtgebiet verläuft. Aber wehrlos hinnehmen solle man solch eine Planung nicht.

Vergleichende Studien

Wie sich der enorme Straßenverkehr und seine Abgase im Leverkusener Stadtgebiet auswirken, das hat Mülleneisen fachlich untersucht, seine Patientendaten mit denen seiner Facharztkollegen im Bereich Nordrhein verglichen: Rund doppelt so viele Atemwegserkrankungen in Leverkusen, fast dreimal so viele Asthmaanfälle. Die sonst für Raucher typische Atemwegserkrankung COPD hat er auch bei Patienten diagnostiziert, die nie geraucht haben. So bei einer 91-Jährigen – die aber im Eisholz wohnt, nur einen Steinwurf entfernt vom Leverkusener Kreuz, das täglich 235000 Fahrzeuge passieren, ein Viertel davon Lkw.

Über solche Zahlen wollte Mülleneisen mit dem Landesgesundheitsministerium reden und fuhr nach Düsseldorf. Dort war man platt. Vergleichszahlen kannte man nicht. „Die wollen jetzt Daten von mir, weil sie keine haben. Die Spezialisten brauchen uns, sonst sind sie dumm“, so seine erstaunte Erkenntnis vom Vortag. Immerhin ist auch beim Land bekannt, dass Leverkusen NRW-Spitzenreiter bei den gemessenen Werten von Stickstoffdioxid in der Luft ist, gemessen an der Gustav-Heinemann-Straße in Manfort – und deutlich über dem gesetzlichen Grenzwert. Doch gegen die Autobahn hilft auch keine Umweltzone.

Dr. Norbert Mülleneisen belegte den Leverkusenern, was für eine dicke Luft im Stadtgebiet herrscht – und welche Gesundheitsfolgen dies oftmals hat.

Topwerte auch beim Feinstaub, so gerade noch im politisch festgelegten Toleranzbereich, aber der entscheidende Ultrafeinstaub wird ja auch nicht gemessen. Und wo Grenzwerte überschritten werden, wird im Zweifelsfall das Gesetz geändert. Mülleneisen: „Was nutzt auch ein Gesetz, wenn ständig dagegen verstoßen wird?“ Gemeinsam mit 112 weiteren Ärzten aus Leverkusen – „wird sind sehr gut vernetzt und arbeiten hervorragend zusammen“ – hat Mülleneisen eine Resolution unterschrieben und sie dem Leverkusener Bundestagsabgeordneten Helmut Nowak (CDU) zur Übermittlung an die Bundesregierung überreicht. Darin fordert die Ärzteschaft eine deutliche Reduzierung der Belastung für die Leverkusener Bevölkerung durch den Straßenverkehr. Er persönlich favorisiere beim bevorstehenden Autobahnausbau eindeutig einen Tunnel, bekannte der Pneumologe, aber er sei eben kein Techniker und wolle keine Lösung vortragen, wohl aber als Arzt das erkannte, unübersehbare Problem sehr deutlich benennen. Ein Anliegen, das man dem Mann abnimmt, der eine persönliche Anzeige gegen den VW-Vorstand im Zuge des Diesel-Skandals gestellt hat.

Politiker blieben weg

„Auto stehen lassen, Radfahren und Sport treiben“, so sein Ratschlag an die Leverkusener – Letzteres aber nicht neben der Autobahn, wie es die Leistungssportler in dieser Stadt tun. Und sich wehren: „Seien Sie subversiv! Überlegen Sie sich was!“

Die Gesprächspartner aus der Politik, die das Praxisnetz der Ärzte zum Vortrags- und Diskussionsabend eingeladen hatte, glänzten durch Abwesenheit, hatten zumeist gar nicht erst reagiert. Allein Nowak stellte sich der Diskussion – und der auf ihn allein einhagelnden Kritik der Bürgerinitiativen, die überwiegend einen langen Rheintunnel forderten, wie er von Bund und Land von vornherein ausgeschlossen worden ist. Sein bisheriges Engagement sei enttäuschend, bekam Nowak zu hören. Enttäuscht zeigte sich aber auch ein Diskussionsteilnehmer darüber, dass der Agamsaal nur zur Hälfte gefüllt war. Erst habe die Leverkusener Politik jahrelang gepennt, jetzt bekomme die Bevölkerung den Hintern nicht hoch.

Kommentar: So bleibt der Protest im Saal

Lassen Sie das Auto stehen und fahren Sie Rad, treiben Sie Sport und schaffen Sie Ihr Dieselauto ab!“ Die ärztlichen Ratschläge, die der in Rheindorf praktizierende Lungenfacharzt Mülleneisen seinen Zuhörern im Forum gab, waren begründet, doch nicht jeder mochte sie hören. Wie das mit ärztlichen Ratschlägen oft so ist. Der Besuch seiner Veranstaltung blieb hinter den Erwartungen zurück. Die einschlägig Interessierten kamen in stattlicher Zahl, doch ein Publikumsmagnet wurde der Vortrag nicht.

Dass allerdings die persönlich eingeladenen Volksvertreter die Veranstaltung boykottierten, zeugt von Ignoranz. Nein, es war keine einseitige Propagandaschau des Bürgerlisten-Netzwerks gegen Lärm. Diesem wurde so nur fahrlässig die Bühne überlassen. Dass allein CDU-MdB Helmut Nowak den Schneid hatte, sich der Bürgerkritik zu stellen, ist bezeichnend. Karl Lauterbach (SPD) hatte sich immerhin entschuldigt und ein Gespräch angeboten. Wobei er als Arzt bestens um die Belastungen der Leverkusener durch ihre Autobahnen weiß. Doch wo waren die übrigen Volksvertreter?

Es ist ersichtlich, dass sich niemand das potenzielle „Verliererthema“ Autobahn allzu sehr zu eigen machen will. Wer sich aber aus vertrautem Schwarz-Weiß-Denken nicht mit anderen als den eigenen Erkenntnissen auseinandersetzen will, darf später nicht jammern, wenn er bei Wahlen die Quittung bekommt. Dass ein in der Autobahn-Frage völlig zerstrittenes Leverkusen weder Land noch Bund beeindruckt, lässt indes alle Hoffnung auf Gehör schwinden.