Alte DorfschuleWiedereröffnung im Freilichtmuseum ist nun für 2022 vorgesehen
Lindlar/Hermesdorf – Historiker denken in anderen Kategorien – nicht nur zeitlich gesehen. Denn wer sonst kommt auf die Idee, ein inwendig marodes Bruchstein-Bauwerk aus dem 19. Jahrhundert, in dessen Gebälk zum Teil sogar der Hausschwamm gedeihen konnte, in tonnenschwere Stücke zu zersägen, diese auf Tieflader zu hieven und in einem rund 30 Kilometern Luftlinie entfernten Freilichtmuseum wieder aufzubauen, als handele es sich um einen Bausatz aus dem Spielzeugladen?
Die Macher des LVR-Freilichtmuseums in Lindlar hatten vor sechs Jahren diese Idee, genau genommen der Förderverein des Museums, der auch die immensen Kosten von rund einer halben Million Euro zusammentragen musste. 2015, so Museumschef Michael Kamp, habe es die ersten konkreten Überlegungen gegeben, die Alte Dorfschule von Hermesdorf nicht den Waldbrölern zum wohl unausweichlichen Abriss zu überlassen, sondern im Museum möglichst originalgetreu wieder aufzubauen. Translozieren nennen die Fachleute diese Technik, ein Gebäude an einer Stelle ab- und an anderer wieder aufzubauen.
Eine echte Herausforderung
Diese technische Herausforderung ist hervorragend gemeistert, bis auf den Keller und eine Giebelwand steht die Schule heute im Freilichtmuseum des Landschaftsverbandes. Die Wand konnte nicht versetzt werden, weil sie gleichzeitig auch Giebelwand des Anbaus war und immer noch ist, der Keller der Alten Dorfschule wurde hingegen zugeschüttet, die Freifläche eingeebnet und dann für Spielzwecke gestaltet.
In Lindlar, ganz in Nähe des Nordtores und des Lingenbacher Hofes, mussten ein Fundament gegossen und eine Giebelwand neu errichtet werden, bevor die Einzelteile wieder montiert werden konnten. Diese aufwendigen Arbeiten nahmen letztlich gut zwei Jahre in Anspruch.
Zeitdokumente gesucht
Vielleicht haben die Eltern, Großeltern oder gar Urgroßeltern noch die Dorfschule in Waldbröl-Hermesdorf besucht, und in Ihrem Familienbesitz befinden sich Dokumente aus der Zeit? Um die geplante Präsentation im Freilichtmuseum zu ergänzen, sucht Museumspädagogin Anka Dawid-Töns noch weitere Exponate. Das können unter anderem Zeugnisse sein, Schulhefte, Fotos, Zeichnungen oder ähnliches, was im Zusammenhang mit der 1861 eröffneten Dorfschule steht.
Sollten sich im Keller, auf dem Speicher oder in einer vernachlässigten Kommode derartige Utensilien finden, freut sich Anka Dawid-Töns über eine Nachricht an diese Adresse: ankadawid@t-online.de. (mf)
Der zurzeit bewältigte Innenausbau ist freilich nicht minder aufwendig, erfolge jedoch mit sehr viel Liebe zum Detail, wie Museumspädagogin Anka Dawid-Töns und Dieter Wenig, Wissenschaftlicher Referent des Museums, bei einer Baubesichtigung erklären.
Authentische Rekonstruktion
„Wir haben das Glück, dass für Hermesdorf noch sehr viele Quellen erhalten sind und das Ganze sehr authentisch rekonstruiert werden kann“, sagt Anka Dawid-Töns, die das Projekt seit Anbeginn mit begleitet hat. Zwar wird der alte Bollerofen im rund 54 Quadratmeter großen Schulsaal nicht mehr in Betrieb genommen, und auch die Toiletten, die seinerzeit unmittelbar neben dem Klassenzimmer standen, gibt es nicht mehr. Doch aufgrund vieler Quellen konnten die Sprossenfenster – zwar energetisch zeitgemäß, aber optisch im Stile des Ursprungs – eigens neu angefertigt werden. Auch aus den Tapeten-Lagen, die im Laufe eines Jahrhunderts übereinander geklebt worden waren, ließ sich ein Originalmuster isolieren und schließlich neu anfertigen.
Bildungsoffensive im Süden Oberbergs
Was ist so besonders an der Alten Schule von Hermesdorf, das den immensen technischen, logistischen und finanziellen Aufwand der Translozierung rechtfertigt? Zunächst gilt die Dorfschule, die 1861 eingeweiht wurde, als eine der wenigen zweiklassigen Volksschulen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die auch jetzt noch weitgehend im Original erhalten gewesen ist.
Ihr Bau resultiert aus der Bildungsoffensive, die Landrat Carl Maurer und Pastor Wilhelm Hollenberg damals im armen und auch bildungsfernen Süden des heutigen Oberbergischen Kreises starteten. Als Maurer, der aus Berlin stammte, 1852 seinen Dienst im damals ärmsten Landkreis der Rheinprovinz antrat, nahm dort gerade die Hälfte der schulpflichtigen Kinder am Unterricht teil. Bildung für alle genoss keine Priorität und war selbst bei König Friedrich Wilhelm IV verpönt. Der Hohenzollern-Monarch (1795 bis 1861) soll dem Lehrerstand von Grund auf misstraut haben, galt aber gleichzeitig als Förderer der Architektur. So war er persönlich bei der Grundsteinlegung zum Kölner Dom anwesend, erlebte dessen Fertigstellung aber ebenso wenig, wie die Eröffnung der Dorfschule Hermesdorf am 2. Dezember des Jahres 1861.
Hermesdorf war nicht das einzige Schulbauprojekt, das Carl Maurer angestoßen hatte, doch viele dieser Gebäude sind mittlerweile so umgebaut oder verändert, dass sich ihr ursprünglicher Zustand kaum rekonstruieren lässt.
Martin Wirths (1835 bis 1902) war der erste Lehrer der Schule. Und – wie es in der heutigen Zeit nicht viel anders ist – hatte die damalige Gemeinde Waldbröl kein Geld für den Schulbau, sondern sie trat als Pächter auf. Erst 1868 konnte Waldbröl das Gebäude dank staatlicher Zuschüsse erwerben.
Dass die Quellenlage so erfreulich vielschichtig ist, verdankt das Museum den Nachfahren von Friedrich Bals, der von 1911 bis 1948 Lehrer an der Hermesdorfer Schule war und mit seiner Familie auch im Obergeschoss lebte. Sein Enkel Friedhelm Bals, ehemaliger Stadtbrandmeister in Waldbröl, und dessen Frau haben dem Museum zahlreiche Dokumente, Fotos und sogar Original-Möbel und die Bibliothek aus dem Nachlass zur Verfügung gestellt.
Eine wahre Fundgrube für eine Kulturwissenschaftlerin wie Anka Dawid-Töns, die sich für das Ausstellungskonzept zudem noch aus dem Fundus der Evangelischen Kirchengemeinde in Waldbröl bedienen konnte, ebenso aus den Quellen des Landesarchivs in Duisburg.
Eröffnung durch Corona verschoben
Gleichwohl wird die Museumsschule nach der endgültigen Fertigstellung keine ausschließliche Zurschaustellung des Schullebens aus mehr als 100 Jahren sein, sondern multimedial die Bildungsfragen und das Leben im 19. Jahrhundert darstellen. Die „Schule des Lebens“, wie Anka Dawid-Töns das Projekt des Fördervereins schon 2017 genannt hat, werde auch eng mit Schulklassen kooperieren, so ist mit der Grundschule Hermesdorf bereits ein reger Austausch ins Auge gefasst.
Im Moment steht allerdings alles unter dem Vorbehalt der Corona-Pandemie, deretwegen die Eröffnung der Alten Schule Hermesdorf im Lindlarer LVR-Freilichtmuseum nun für das Frühjahr 2022 vorgesehen ist.
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Zwar ist das Freilichtmuseum seit Anfang April wieder bei freiem Eintritt geöffnet, aber ausschließlich mit vorab gebuchten Tickets und gegen Vorlage eines zertifizierten Schnelltests.