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Peinliche Panne in BergneustadtStadt muss Straßenbaubeiträge zurückzahlen

Lesezeit 4 Minuten
Wiedeneststraße Bergneustadt

Mit 750 000 Euro sollten sich die Anwohner am Ausbau der Wiedeneststraße beteiligen. Jetzt bleibt ihnen das wohl erspart.

  1. Die Stadt Bergneustadt muss an Anwohner der Wiedeneststraße wohl 750.000 Euro plus Zinsen zurückzahlen.
  2. Der zuständige Kostenrechner war seit 2015 erkrankt, im Rathaus wurde eine entscheidende First verpasst.
  3. Hätte die Stadt die Straße drei Wochen später abnehmen lassen, wäre es nicht zur Blamage gekommen.

Bergneustadt – Dicke Panne im Bergneustädter Rathaus: Wegen einer versäumten Frist zur Abrechnung der sanierten Wiedeneststraße kann die Stadt noch ausstehende 170 000 Euro nicht mehr von den Bürgern einfordern. Und es kommt noch schlimmer: So wie es aussieht, müssen den Anliegern wohl auch deren Vorauszahlungen von knapp 580 000 Euro zurückgezahlt werden Der Schaden summiert sich so auf eine dreiviertel Million Euro – Zinsen noch nicht eingerechnet.

Hauptgrund für das Fristversäumnis: Der zuständige Kostenrechner war seit 2015 erkrankt, seine Stelle konnte erst kürzlich nachbesetzt werden. Bürgermeister Wilfried Holberg hat den „höchstpeinlichen Vorgang“ eingeräumt und bereits Mitte April die Runde der Fraktionsvorsitzenden ins Bild gesetzt informiert. Am Montag ging ein Brief an die Anlieger der Wiedeneststraße raus, in der Holberg sie informiert und für den 10. Juli zu einer Versammlung einlädt, um den Vorgang detailliert zu schildern. Bis dahin soll auch geklärt sein, wie mit den Vorauszahlungen verfahren wird.

Straße 2013 aufgerissen und auf 1100 Metern saniert

Ab 2013 war die Wiedeneststraße auf 1100 Metern Länge saniert und ausgebaut worden. Neue Kanäle und Wasserleitungen wurden ebenso verlegt wie Kabel für Strom und TV. Mitte Dezember 2014 erfolgte die mängelfreie Abnahme der Bauarbeiten. Ab da lief die vierjährige Verjährungsfrist. Dass auch danach noch Unternehmerrechnungen eingehen würden, änderte daran nichts. Die letzte Rechnung bekam die Stadt erst im Februar 2018, aber auch da schrillten im Rathaus keine Alarmglocken. Die Stadt hätte in der Zwischenzeit zumindest einen vorläufigen Beitragsbescheid ausstellen können, tat sie aber nicht.

So reagiert die Politik

Als der Bürgermeister die Runde der Fraktionsvorsitzenden Ende April erstmals von den Vorfall berichtete, fielen die aus allen Wolken. Das Entsetzen hält an.

Auch wenn es vorbildlich sei, dass Holberg die Verantwortung übernehme, müsse genau aufgeklärt werden, wie das passieren konnte, fordert Thomas Stamm, Fraktionsvorsitzender der SPD. Offenbar gebe es im Rathaus keine Fristüberwachung und auch keine Sensibilität dafür, solche Außenstände im Blick zu behalten. Mit einem Anpfiff an die betreffenden Mitarbeiter durch den Bürgermeister sei es nicht getan, so Stamm: „Es müssen Strukturen geschaffen werden, dass so etwas nicht nochmal vorkomme.“

Das hätte man nicht einfach laufen lassen dürfen“, findet auch Jens-Holger Pütz (UWG), „da muss man nachhaken“. Pütz’ Fazit: „Die Verwaltung hat 750 000 Euro verbrannt, so etwas darf nicht noch einmal passieren.“

Axel Krieger (Grüne) verzichtet auf eine Wertung: Es sei ein Fehler passiert, er wolle niemanden in die Pfanne hauen.

An dem „teuren Versäumnis“ der eigenen Verwaltung gibt es auch für FDP-Sprecher Christian Hoene nichts schönzureden: „Das ist mehr als traurig; es hätte nicht passieren dürfen, aber wir müssen Lehren und Konsequenzen daraus ziehen.“

Es sei schwer, jemanden konkret für den „Riesenfehler“ verantwortlich zu machen“, sagt Reinhard Schulte , der Vorsitzende der CDU-Fraktion und sonst einer der schärfsten Kritiker von Bürgermeister und Stadtverwaltung,: „Die Frist hatte offenbar niemand auf dem Schirm, zumal ja tatsächlich noch nicht alle Rechnungen vorlagen“.

Wäre die Abnahme der Baumaßnahme nur drei Wochen später Anfang Januar 2015 erfolgt, hätte die Frist erst Ende 2019 geendet. Dann wäre der Hinweis des neuen Kostenrechners nach seiner Schulung für die neue Aufgabe, in der Wiedeneststraße könne die Festsetzungsverjährung eingetreten sein, rechtzeitig gekommen. „Hätte könnte, sollte – das hilft jetzt nicht mehr“ , sagt Holberg. Jetzt ist der Schaden angerichtet. Ausgerechnet die finanziell klammste Kommune in Oberberg verpasst es, 750 000 Euro einzunehmen; die Blamage ist da.

Bürgermeister übernimmt volle Verantwortung

Der Bürgermeister ist erheblich angefressen, stellt sich aber vor seine Mitarbeiter und übernimmt die volle Verantwortung für das Versäumnis. Den „misslichen Tatbestand“ wolle er transparent und offen mit den Anliegern kommunizieren, kündigt er in dem Brief an sie an.

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Auf mögliche juristische Winkelzüge verzichtet die Stadt. Anfängliche Gedankenspiele, die Bescheide über die 170 000 Euro zu erlassen und abzuwarten, ob dagegen geklagt wird oder sogar selbst eine Musterklage gegen den Bescheid zu initiieren, sind vom Tisch. „Ich werde keinen rechtswidrigen Bescheid erlassen“, unterstreicht der Bürgermeister.

Dazu ist die juristische Lage auch viel zu klar: Urteile von Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten sowie die Beratung eines Fachanwalts kommen alle zum selben Ergebnis: Der Tatbestand der Festsetzungsverjährung ist erfüllt.

Unmittelbar haushaltswirksam wird die dreiviertel Million nicht. Das Geld wird über Darlehen finanziert, Zinsen und Tilgung kann der Etat stemmen. Den städtischen Schuldenberg von 94 Millionen Euro erhöht der Ausfall nur gering.