„Dann ist Staunen angesagt“Anwalt Reinhold Müller über Oberbergs Rolle in der Region
- Reinhold Müller ist Rechtsanwalt in Engelskirchen. Darüber hinaus ist der FDP-Mann aber auch politisch sehr aktiv.
- Er ist Fraktionsvorsitzender der Kreistagsfraktion aus FDP, FWO und DU. Und er ist Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Regionalrat.
- Frank Klemmer sprach deshalb in der neuen Folge der Reihe „Alles was Recht ist“ mit Müller vor allem auch über die Rolle Oberbergs in der Region.
Sie sind Rechtsanwalt und FDP-Mitglied. Lag die Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesnotbremse schon fertig in der Schublade?Müller: Das Gute ist, dass ich nicht der einzige Rechtsanwalt in der FDP bin. So eine Verfassungsbeschwerde läuft auf vielen Ebenen, sowohl von Basis-Liberalen als auch von Mitgliedern der Bundestagsfraktion. Es waren etwas über 50 von den 80, die sich daran beteiligen.
Sie sind ja in der Zwickmühle. Sie sind in Oberberg im Kreistag mit in der Verantwortung. Sie haben in der Vergangenheit immer Ihre Unterstützung für die Kreisverwaltung betont. Als Liberaler sind Sie aber gegen die Maßnahmen. Passt das denn zusammen?
Das geht, denn wir sind ja auf der Kreisebene nicht diejenigen, die das entscheiden. Wir haben ja jetzt eine bundesweite Regelung. Und die muss der Oberbergische Kreis übernehmen. Der Spielraum des Landrates ist ja äußerst begrenzt. Er ist Teil der unteren staatlichen Verwaltung und nicht der Kurfürst, der sagt, ich regele das jetzt mal so. Er muss die Vorgaben beachten. Wenn er davon abweichen will, muss er sich dies vom Land genehmigen lassen. Und auch auf der Landesebene ist das bei der CDU ja kein monolithischer Block. Selbst im Bundestag hat es ja wohl mehr als 20 Mitglieder der CDU-Fraktion gegeben, die gegen diesen Beschluss gestimmt haben – und auch ein paar von der SPD.
Warum sehen Sie die Maßnahmen so kritisch?
Man muss einfach abwägen: Was ist erforderlich und was ist verhältnismäßig? Und bei der Verhältnismäßigkeit ist die Frage zu stellen: Bringt uns das hier wirklich weiter oder verschärfen wir nicht die Probleme? Wenn ich mir vorstelle, wir hätten in Köln jemanden, der mit jemand anderem einen trinkt und der kann dann nicht mehr nach Hause gehen und übernachtet da. Ob das ein Vorteil ist mit der Ausgangssperre, da mache ich ein dickes Fragezeichen dran. Also, das passt schon in so einer Koalition. Jeder ist um andere Akzentuierungen bemüht, und da sehe ich auch kein Problem drin.
Andererseits ist vieles, was jetzt Bundesnotbremse ist, in Oberberg nicht neu. Wir hatten schon eine Ausgangssperre, wir hatten sogar mal ein echtes Verbot für Präsenzgottesdienste. Und das haben Sie damals mitgetragen . . .
Es ist ja auch die Frage, was ich da für einen Zeithorizont habe. Die Ausgangssperren, die wir schon mal hatten, waren ja auch relativ kurzfristig angelegt. Und das Gottesdienst-Verbot hatte ja auch damit zu tun, dass wir in dem Bereich im Oberbergischen besondere Strukturen haben. Wir wussten ja auch, dass es da mehrfach zu Ausbruchsgeschehen kam. Wenn ich weiß, ich habe da eine religiöse Gemeinschaft, die sich mit 100 Mann in einem kleinen Raum trifft und mit Inbrunst singt: Wenn ich da nicht sage, das verbiete ich, dann treibe ich das Infektionsgeschehen in astronomische Höhen. Aber wir lernen ja auch dazu.
Die FDP galt ja immer als Bürgerrechtspartei. Früher waren es aber eher Protagonisten wie Gerhart Baum, die das Verfassungsgericht bemüht haben – nicht immer mit Unterstützung der ganzen FDP. Ausgerechnet der hält offenbar gerade nicht viel davon. Komisch, oder?
Andere, die früher das Verfassungsgericht bemüht haben wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, sind da durchaus auf Linie. Burkhard Hirsch, den wir beide da im Sinn haben, ist verstorben, leider. Und Herr Baum – sagen wir es mal so – lebt davon, dass er immer die Gegenposition zum Mainstream in der FDP vertritt. Jetzt hat er Pech, dass der Zug eigentlich in seine Richtung fährt – und er macht das trotzdem. Aber das ist bei Herrn Baum normal. Davon lebt er. Sonst würde er nicht mehr in Talkshows eingeladen.
Das heißt also nicht, dass sich die FDP da gerade vor den Karren spannen lässt von Leuten, die sich sonst wenig für Grundrechte interessieren?
Unser Problem ist, dass wir uns an der Stelle sauber von der AfD abgrenzen müssen. Denen geht es nicht um Grundrechte, denen geht es darum, Krawall zu machen. Für uns ist es da oft schwer klarzumachen, dass es uns um die Sache geht und nicht darum, der Regierung vor das Schienbein zu treten. Es geht uns darum, uns um die Grundrechte zu kümmern – auch auf die Gefahr hin, von manchen in die falsche Schublade gesteckt zu werden. Damit muss man leben, wenn man so einen Weg geht.
Ein anderes wichtiges Prinzip im Grundgesetz ist der Föderalismus. Ein Teil dieser Aufgabenteilung auf unterschiedlichen Ebenen, ist auch Teil Ihrer Arbeit im Regionalrat Was machen Sie da eigentlich?
Der Regionalrat ist tatsächlich etwas, das viele Leute gar nicht einschätzen können. Er ist damals unter dem Einfluss von Wolfgang Clement entstanden. Er wollte eine Art Bezirksparlament daraus machen. Das war aber so nicht mehrheitsfähig. Deshalb hat man die alte Institution, den Bezirksplanungsrat, nur mit neuen Kompetenzen ausgestattet. Und das ist jetzt der Regionalrat.
Was ist Ihre Aufgabe?
Wir sind Träger der Regionalplanung. Das heißt, wir müssen für 99 Kommunen in der Größenordnung von Dahlem in der Eifel mit etwa 5000 Einwohnern bis hin zur Millionenstadt Köln Lösungen suchen, wie die Entwicklung der nächsten 25 Jahre dort aussehen kann. Und da ist unsere Sicht nicht immer die gleiche wie die der Kommunen. Es gibt Kommunen, die wollen immer mehr, aber es gibt auch andere wie zum Beispiel Köln, die eher weniger wollen. Die zwar erkennen, dass sie wachsen könnten, aber das nicht wollen, weil es Flächen in Anspruch nehmen würde. Da immer den Ausgleich zu finden, das ist unsere wichtigste Aufgabe im Regionalrat.
Und die zweitwichtigste?
Das ist die Konversion des Rheinischen Reviers – eine Aufgabe, die hier im Oberbergischen sicher nicht so auf der Agenda steht. Wir haben dort eine hoch technisierte Mitarbeiterschaft, die sehr gutes Geld verdient und jetzt um ihren Arbeitsplatz bangt. Wir müssen es schaffen, auf der einen Seite die Abwicklung der Braunkohle hinzubekommen und auf der anderen Seite diesen Menschen eine zeitnahe Perspektive zu bieten, damit sie dort in der Region bleiben und nicht nach Baden-Württemberg abwandern, weil sie glauben, nur dort in den nächsten 20 bis 30 Jahren ihres Arbeitslebens ihre Einkünfte sichern zu können. Das heißt natürlich, dass wir zunächst Flächen in großem Maße in Anspruch nehmen müssen, weil wir auf die Flächen, die durch das Ende des Tagebaus freiwerden, gar nicht zugreifen können. Das ist eine irre Herausforderung gerade für jemanden wie mich, der in der Region nicht lebt und mitleidet. Aber es ist wichtig, sich da einzubringen.
Sie sprechen es an: Wir bewegen uns in einer Region, wo das eine Ende mit dem anderen oft wenig zu tun hat. Wie schwer ist es, in so einem Rahmen Politik zu machen?
Es ist wirklich gar nicht so einfach, die Position des Oberbergischen in diesem Gremium klarzumachen. Gerade bei der Aufstellung des Regionalplans haben wir es wieder gemerkt: Die glauben immer noch, wir wären Ackerbau und Viehzucht, Talsperren und Wälder. Wenn man denen dann versucht zu erzählen, dass wir eine von Industrie geprägte Region mit gewerblichen Arbeitsplätzen sind, ist Staunen angesagt. Wenn man denen dann noch sagt, dass wir auch Wohnbauflächen brauchen, dann sagen die: „Wieso? Ihr seid doch schon in einer demografischen Schieflage!“ Dann wollen die diese Flächen hier einsparen, um sie dahin zu tun, wo es weh tut. Deswegen bin ich froh, dass es mir gelungen ist, Engelskirchen und Lindlar in den Prozess Regio Plus zu bekommen, obwohl bei 45 Minuten Bahnfahrt nach Köln Schluss sein sollte. Lindlar hat gar keinen Bahnhof, Engelskirchen 48 bis 49 Minuten Fahrt bis Köln. Jetzt haben wir in Engelskirchen und Lindlar zusätzliche Flächen angeboten bekommen, die wir sonst gar nicht bekommen hätten. Oder ganz aktuell: Wir haben in Engelskirchen das Thema Buschhausen . . .
. . . Wohnbebauung mitten im Wald, also . . .
. . und damit nach dem Landesentwicklungsplan eigentlich ein No-Go. Es gibt aber eine Ausnahme für Kommunen, die über 60 Prozent Waldanteil haben. Von den 99 Kommunen unseres Bezirks sind das zwei: die eine ist Roetgen in der Eifel, die andere ist Engelskirchen. Das heißt, wir haben hier gar nicht so viel freie Fläche und die, die wir haben, müssen wir ja noch für andere Dinge nutzen, zum Beispiel für Landwirtschaft. Das ist das Spannende: Das sind unsere Themen, die anderen haben ihre Themen, und das muss man irgendwie zusammenbringen.
Welche Rolle spielt dabei die Parteipolitik?
Es geht dort sehr fair zu. Wir haben einen sehr vernünftigen Umgang miteinander – auch über die Parteigrenzen hinweg.
Da gibt es sehr viel sachorientierte und lösungsorientierte Arbeit, die auch sehr gut begleitet wird von der Regierungspräsidentin und ihrer Mannschaft.
Oberberg hat ja den Vorteil, inzwischen zwei Fraktionsvorsitzende im Regionalrat zu haben: Sie bei der FDP und jetzt auch Thorsten Konzelmann bei der SPD. Hilft das?
Natürlich ist man auch Lobbyist für Oberberg. Alles andere macht ja auch keinen Sinn. Deswegen arbeiten wir da auch intensiv zusammen. Und es ist auch ein Vorteil, dass Thorsten Konzelmann da jetzt Fraktionsvorsitzender ist. Denn wir sind ein kleiner Partner in diesem Spiel, deshalb hilft es, wenn wir ein paar Positionen besetzen, wo wir Einfluss nehmen können.
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