Mulmiges Gefühl bei RegenSo geht es Wipperfürth und Lindlar ein Jahr nach der Flut
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Wipperfürth/Lindlar – Die Folgen der Hochwasser am 8. und 14. Juli 2021 in Wipperfürth und Lindlar machen sich auch heute noch bemerkbar – an Gebäuden und in Gärten, vor allem aber in der Psyche der Betroffenen. Wir haben Menschen und Orte besucht, die es vor einem Jahr besonders hart traf.
Wipperfürth-Innenstadt
Als besonders auffällige Erinnerung an die Flut springen die mit giftgrüner Folie verklebten Schaufenster von „Cataldo“s Smoke Shop“ auf der Lüdenscheider Straße ins Auge. Die Eingangstür ist verbarrikadiert, seit der Gaulbach am Nachmittag des 14. Juli in den Laden schwappte. Mitte August zogen die Dampfexperten einmal um die Ecke auf den Marktplatz. Damals gingen sie von der Rückkehr vor Weihnachten aus, dann korrigierten sie den Termin für den Wiedereinzug auf Februar.
Man sei zu optimistisch gewesen, räumt Marcel Kärgling von der Cataldo-Geschäftsführung ein. „Es hat eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis die Substanz trocken war.“ Doch damit begann die Odyssee erst. Erst prüften und prüften die Versicherungsleute und als sie grünes Licht gaben, fehlten die Handwerker. Als auch die dann an der Lüdenscheider Straße anrückten, fehlte das Material. Die Pandemie einmal außen vorgelassen. „Wir erleben den Abriss von Lieferketten und an deren Ende stehen wir“, erklärt Kärgling das Dilemma. Auf einen Termin zur Rückkehr an die Lüdescheider Straße will er sich nicht festnageln lassen. Er spricht vage vom „kleinen Licht am Ende des Tunnels“ – wohl wissend, wie wenig konkret seine Aussage ist.
Der rabenschwarze Donnerstag für die Helling nimmt am späten Nachmittag des 8. Juli Fahrt auf. Justus und Isabell Henkelmann leben damals erst gute neun Monate in ihrem Neubau an der Talstraße als das Wasser über den Fußballplatz schießt und Kurs auf ihr Haus nimmt. Die erste Einschätzung eines Bauexperten zu Böden und Ständerbauwerk sieht damals nicht gut aus – und er wird recht behalten. „Wir haben das Erdgeschoss ganz neu aufbauen müssen“, blickt Isabell Henkelmann zurück.
Vier Monate überbrückte die Familie in einer Lindlarer Ferienwohnung, die sie mit Glück ergatterte – denn im Sommer und Herbst 2021 suchten viele Betroffene eine Zwischenbleibe. Nach diesem Tag hat sich die Nachbarschaft an der Talstraße ein ansehnliches Arsenal an Sandsäcken zugelegt, die bei drohendem Unwetter in Stellung gebracht werden. „Eine Unwetter-Warnung ist seitdem immer mit einem komischen Gefühl verbunden“, verrät Justus Henkelmann.
„Bei jedem Gewitter sitze ich auf heißen Kohlen“, betont auch Elisabeth Niemand. Die 88-Jährige lebt ein paar Meter weiter auf der Alsbacher Straße, wo das Wasser die Verbundsteine in Wellen auftürmte. Vor einigen Tagen hat Niemand die Entwässerungsgräben inspiziert, die aus Richtung Schümmerich hinab auf die Kreuzung von Tal- und Alsbacher Straße zielen. Das Fazit der Seniorin: „Die Gräben wurden nach dem Winter nicht freigeräumt, sie sind wieder genauso mit Schotter und Dickicht verstopft wie im vergangenen Jahr.“ Zumindest das Lindlarer Rathaus habe aus der Überflutung 2021 nichts gelernt.
Wipperfürth-Leiersmühle
Kamera-Teams postieren sich am Abend des 8. Juli vor dem Haus Harhausen 1, der Heimat von Andrea und Martin Johnen. Sie filmen, wie sich die Hönnige auf zehn Metern Breite durch den Garten wälzt, während die Feuerwehr zu retten versucht, was noch zu retten ist. Trotz der bestürzenden Bilder: Die Johnens sind mit einem blauen Auge davongekommen. „Der Schaden blieb auf den Keller beschränkt, dort liefen aber natürlich lange Zeit die Trocknungsgeräte“, sagt Andrea Johnen.
Eine abschließende Übersicht über die zerstörten Gegenstände habe sie allerdings bis heute noch immer nicht. „Dann taucht plötzlich hier und dort Rost auf, das zeigt sich ja erst nach und nach.“ Noch einige Zeit bleiben wird auch ein mulmiges Gefühl, wenn wieder schwarze Wolken am Himmel aufziehen – selbst bei den hochwassererprobten Johnens. „Das wird auch noch einige Jahren so bleiben“, ist sich Andrea Johnen sicher.
Lindlar-Steinenbrücke
Erst kurz vor dem Jahrestag konnte Bernd Müller zurückkehren – im Erdgeschoss des rotgeklinkerten Hauses gibt es so gut wie keine Einrichtung mehr, die der Breunbach am 14. Juli 2021 in Mitleidenschaft zog. „Es musste alles raus, inklusive Estrich“, beschreibt Müller, der sein Heim erst drei Jahre zuvor komplett renoviert hatte. In den kommenden Wochen will er die Einfahrt und die Beete in Angriff nehmen.
Den gleichen Plan hat auch die Familie Jansen schräg gegenüber. „Drinnen sind wir durch, jetzt geht es in die Anlage“, nickt Johannes Jansen, dessen Familie ein komplettes Untergeschoss, Garagen und Flure erneuern musste. Dabei seien die Elementarversicherungen auch kulant gewesen. Am liebsten würden Johannes Jansen und Bernd Müller gar nicht an den Jahrestag der Flut erinnert. „Ich vertraue auf die Experten, die gesagt haben, dass ein solches Hochwasser nur alle 40 Jahre kommt“, sagt Müller, seit 2016 in Rente, mit einem Schmunzeln. „Denn in 40 Jahren ist es mir egal.“