Ein Missbrauch hinter jedem BildPolizei Oberberg sucht pädophile Kriminelle
- Die Leitung der Polizeibehörde Gummersbach hat die Bekämpfung pädophiler Kriminalität zu einem der Schwerpunkte der Ermittlungsarbeit gemacht.
- Ein halbes Dutzend Menschen des Kriminalkommissariat 1 beschäftigen sich bereits damit - Mehr sollen folgen.
- 34 Verfahren laufen aktuell in Oberberg. Schon vor den jüngsten Skandalen war die Zahl der aufgedeckten Fälle in Oberberg gestiegen.
Gummersbach – Es ist dieser Moment, vor dem Florian Mohr graut: Dass einer seiner Ermittler aus dem Kriminalkommissariat 1 (KK) in der Tür seines Büros steht und ihm mitteilt, dass man auch in Oberberg auf einen Fall von sexuellem Missbrauch an Kindern und Kinderpornografie in den Ausmaßen gestoßen ist, wie sie jüngst in Bergisch Gladbach und Münster entdeckt worden sind. Kripochef Mohr weiß: „Dann ist mit einem Schlag alles anders.“
Ausschließen kann der Kriminaloberrat das nicht. Schon jetzt beschäftigt das Thema ein halbes Dutzend seiner Leute im KK 1, das unter anderem auch für Tötungs- und Raubdelikte sowie für Brandermittlungen zuständig ist. Zwei weitere IT-Spezialisten sollen demnächst dazustoßen. Die Behördenleitung hat die Bekämpfung pädophiler Kriminalität zu einem der aktuellen Schwerpunkte der Ermittlungsarbeit gemacht.
Die Zahl der aufgedeckten Fälle in Oberberg ist schon vor Lügde, Bergisch Gladbach und Münster deutlich gestiegen. „Je mehr man bohrt“, sagt Mohr, „desto mehr findet man“. Und zum Glück haben immer mehr Opfer inzwischen den Mut, sich jemandem anzuvertrauen. Zugleich gehen auch Hinweise auf mögliche pädophile Machenschaften bei der Polizei ein.
Täter kontaktieren Jugendliche unter falscher Identität im Internet
34 Verfahren beschäftigen die Gummersbacher Ermittler aktuell. Was sie dabei finden, ist nur schwer zu verdauen. Pädophile, die nicht davor zurückschrecken, selbst kleinste Kinder unter Medikamente setzen, um sie dann selbst oder mit anderen zusammen zu vergewaltigen. Oder Täter, die sich unter falscher Identität und getürkter Rechneradresse als Jugendliche ausgeben und gleichaltrige Mädchen dazu bringen, an sich die abscheulichsten Sexpraktiken zu vollziehen und sich dabei auch noch zu fotografieren oder zu filmen.
Der Hinweis auf einen solchen Täter und 20.000 Seiten an Chatprotokollen von Gesprächen, die er mit seinen minderjährigen Opfern geführt hatte, kamen jüngst von einer anderen Behörde außerhalb Nordrhein-Westfalens. „Der war so gefährlich, den konnten wir nicht rumlaufen lassen“, erzählen die Beamten. Eine Kollegin fuhr eigens nach Köln und wartete drei Stunden vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft auf Durchsuchungsbeschluss und Haftbefehl, der nach ihrer Rückkehr nach Oberberg umgehend vollstreckt wurde. Seitdem wartet der Mann hinter Gittern auf seinen Prozess.
Täter wollen die beschlagnahmten Geräte wiederhaben
Fotos und Videos von missbrauchten Kindern finden reißenden Absatz, auch in Oberberg. Die Beamten ermitteln in allen Altersgruppen und gesellschaftlichen Schichten. Die Nutzer haben wenig bis gar kein Unrechtsbewusstsein. „Ich habe doch nur Bilder angesehen“, das sei die häufigste Antwort, die Ermittler in den Vernehmungen zu hören bekommen, berichtet Bernd Müller. Er heißt in Wirklichkeit anders, aber wie seine Kollegen, die auf der Jagd sind nach Pädo-Kriminellen, will er auch er seinen Namen nicht in der Zeitung sehen. Für die Ausreden der Täter hat er kein Verständnis, denn „hinter jedem dieser Fotos steht der schwere sexuelle Missbrauch eines wehrlosen Kindes“. Niemand im Fahnderteam, der den Vorstoß der Bundesjustizministerin nicht begrüßt, bereits den Besitz von Kinderpornobildern als Verbrechen und nicht länger als Vergehen einzustufen und entsprechend zu bestrafen.
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„Deren einziges Interesse ist, wann sie die von uns beschlagnahmten Geräte wiederbekommen“, erzählt Müllers Kollegin Bianka Schmidt von einer häufigen Reaktion der Verdächtigen, „denn da steckt ihr ganzes Netzwerk drin, alle Adressen und Kontakte“. Erhielten sie ihre Geräte zurück, machten die Pädophilen weiter, „das ist fast schon krankhaft, wie eine Sucht“. Wenn sie hörten, dass es bis zur Rückgabe ein Jahr vergehen kann, reagierten sie fast schon verzweifelt.
Datenträgerspürhunde bei Hausdurchsuchungen
Hinweise auf die mutmaßlichen Nutzer finden die Ermittler selber im Internet oder im speziell gesicherten Darknet. Aber auch Facebook hilft. Dort werden alle eingestellten Bilder – auch die in geschlossenen Gruppen – auf strafbaren Inhalt hin gesichtet, berichtet Müller. Fällt ein strafbares Foto auf, wird die IP-Adresse des Nutzer-Rechners nach Deutschland übermittelt. Über das Bundeskriminalamt und die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt erreicht die Information die für Oberberg zuständige Staatsanwaltschaft in Köln oder Bonn und die Gummersbacher Ermittler.
Bei ihren Hausdurchsuchungen rücken Ermittler inzwischen mit Datenträgerspürhunden und in Begleitung eines eigenen IT-Spezialisten an, der übers W-Lan des Verdächtigen in dessen Wohnung auch noch so gut versteckte Geräte aufspürt und auf ihnen auch gut verborgene Dateien entdeckt. Während die Pädophilen verstärkt leicht verfügbare Sicherungssysteme für ihre Rechner und Handys nutzen, rüstet auch die Polizei immer mehr auf – technisch und personell. Fabian Fuchs ist einer IT-Spezialisten in der Gummersbacher Behörde. Anders als die Polizeibeamten Müller und Schmidt ist er aus der Wirtschaft in den Polizeidienst gewechselt. Statt für hohe Dividenden will er lieber für hohe Aufklärungsraten sorgen.
57 Terabyte an Material haben die Gummersbacher bei Hausdurchsuchungen sicherstellen können, eine unglaubliche Menge. Bis zu 1,5 Millionen Bilder wurde schon auf einem einzigen Rechner gefunden. Alle Fotos müssen gesichtet werden. Im Landeskriminalamt überprüft eine Datenbank in Kopien der sichergestellten Datenträger, ob die Fotos bereits bekannt sind. Dann muss das Material nicht erneut überprüft werden.
Die abgebildeten Kinder sollen schnell gefunden werden
Die wichtigste Frage ist dabei immer: Hat der Verdächtige einen Teil des Materials selbst hergestellt? Die Zeit drängt, denn stets besteht die Gefahr, dass eines der abgebildeten Opfer aktuell noch immer missbraucht wird. Diese Kinder müssen schleunigst gefunden werden, um ihr Martyrium zu beenden. Deshalb werden die gefundenen Fotos mit denen verglichen, die Ermittler bei jeder Durchsuchung in der Wohnung der Verdächtigen machen. Tauchen das Muster der Tapeten oder von Teilen der Einrichtung auf anderen Missbrauchsfotos auf, verrät ein Landschaftsdetail vor dem Fenster etwas über den Entstehungsort des Bildes? Oder können Muttermale, Narben oder andere Körpermerkmale des Vergewaltigers Hinweise zu seiner Identifizierung liefern?
Immer wieder schickt die Polizei auch Fotos von Kindern an die hiesigen Grundschulen, in der Hoffnung, dass sie dort wiedererkannt werden. Anders als bei Mord und Totschlag dient die Arbeit der Kinderporno-Ermittler nicht nur der Aufklärung und der Bestrafung der Täter, sondern zunächst der Gefahrenabwehr für die Opfer. Weitere Misshandlungen möglicherweise noch verhindern zu können, erhöht den ohnehin schon großen Druck auf die Ermittler und die Belastung, unter der sie stehen. „Damit muss man erstmal umgehen können“, sagte Landrat Jochen Hagt in der vergangenen Woche bei einem Besuch in der vergangenen Woche. Die Ermittler spüren die Belastung und sind froh, darüber untereinander, mit Kollegen und Vorgesetzten sprechen zu können. Der Rückhalt in der Behörde ist da, die technische Ausstattung gut.
Beides werden die Ermittler gut gebrauchen können, denn es ist abzusehen, dass auf sie noch eine Menge Arbeit zukommt. Allein statistisch gesehen ist es mehr als wahrscheinlich, dass von den 30 000 Spuren, denen die Polizei im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach inzwischen nachgeht, auch etliche ins Oberbergische führen werden.