So klingt TraditionRünderother schlagen ihre Kirchenglocken
Engelskirchen – Die Männer sind müde, die Arme ein wenig länger als noch vor einer Stunde. Ihre Kleidung ist schmutzig, mancher hat den Staub von Jahrhunderten im Haar. Eine Tradition zu wahren, das kann harte Arbeit sein. So wie in Ründeroth. Erst eine kurze Leiter, dann eine lange. Schon der Weg in den Glockenstuhl der evangelischen Kirche am Markt ist ein Abenteuer für sich.
Aber genau dorthin müssen Marco Strauch, Uwe Klein, Klaus Hardt und Jochen Bosen. Denn sie sind Beiermänner: Von Hand werden sie gleich die Klöppel der ältesten der Ründerother Glocken bedienen, sie gegen die Bronze schlagen und damit am Samstagnachmittag das nahe Osterfest ankündigen.
Wurzeln im 16. Jahrhundert
In der Kirche hat Dieter Forst auf einer der blauen Bänke Platz genommen. Auch er ist früher in den Turm geklettert, um zu beiern. „Man vermutet, dass diese Tradition ins 16. Jahrhundert zurückreicht“, schildert der 77 Jahre alte Ur-Ründerother, Autor und Kirchenkundler. Er hat die Geschichte des Beierns aufgearbeitet, nur wenige Kirchengemeinden in Oberberg praktizieren diesen Brauch auch heute noch – in Nümbrecht gibt es den Ergebnissen von Forst zufolge das Beiern noch, in Müllenbach, in Eckenhagen und in Hülsenbusch, aber nicht unbedingt zum Osterfest.
Das Wort „Beiern“
Der Ursprung des Begriffes „Beiern“ ist den Erkenntnissen von Dieter Forst zufolge nicht ganz eindeutig. Einerseits werde es auf das mittelniederländische Wort „beiaerden“ (beiaert: Glockenspiel) zurückgeführt, andererseits aber auch als Entwicklung aus dem französischen „baier“ (bellen) gedeutet. „So wird ja auch vom Hund gesagt, dass er anschlägt, wenn er plötzlich laut zu bellen beginnt“, führt Dieter Forst dazu aus. (höh)
„Wahrscheinlich sollte es einst die Menschen auf ihren oft weiten und beschwerlichen Wegen zur Kirche auf das Osterfest einstimmen und sie begrüßen“, erklärt sich Dieter Forst die weithin klingende Tradition. Wie Beiermann Hardt, so ist auch er im Schatten des Kirchturmes in der Engelskirchener Ortschaft groß geworden.
Mit 31 Jahren schon ein alter (Oster-) Hase
Mit seinen 31 Jahren ist Marco Strauch der jüngste in der Männerriege, aber mit fast 20 Jahren Erfahrung ist er bereits ein alter Beierhase. „Meist werden die Jugendlichen im Ort zur Zeit ihrer Konfirmation gefragt, ob sie beiern möchte“, verrät er. „Manchmal aber eben auch früher.“ Jetzt nimmt Strauch auf der schmalen Holzbank zwischen Maria und Urbanus Platz. So heißen die ältesten der fünf Ründerother Glocken, gefertigt wurden sie in den Jahren 1494 und 1538. Ihr hohes Alter, so hat Autor Forst zudem herausgefunden, bewahrte sie im Zweiten Weltkrieg davor, eingeschmolzen und zu Waffen verarbeitet zu werden.
Schließlich greift Strauch zu hölzernen Hebeln, die über Ketten die Klöppel der Glocken in Bewegung setzen. Die Glocken haben sie zuvor mit Holzscheiten dingfest gemacht, damit sie nicht ins Schwingen geraten. Schließlich will das Quartett beiern. Und nicht läuten.
Alle fünf Minuten ist Ablösung gefragt
Allerspätestens alle fünf Minuten wechseln sie sich ab, damit das nicht zur Qual wird. Eine ganze Stunde lang schlagen sie eine bestimmte Melodie. Eine Art Abzählreim sorgt im Kopf dafür, dass sie im Takt bleiben und den richtigen Rhythmus finden. Gebeiert wird in dieser Zeit ein und dieselbe Melodie. Weil aber doch die Arme schwer werden und Langeweile droht, gönnt sich jeder der Vier beim Schlagen ein kleines bisschen künstlerische Freiheit. Und das hat Beat, auch schlägt der eine Beiersmann härter zu als der andere. 15 Durchgänge unterschiedlicher Länge schaffen sie diesmal.
Zu Füßen des Kirchturms versammeln sich derweil einige Ründerother und auch Ausflügler, um dem mühevollen Konzert zu lauschen. Marlis Neumann aus Köln hat ebenfalls den Weg in den Aggerort gefunden, das Buch „Wandern für die Seele“ der Waldbrölerin Dorothee Bastian hat sie dorthin geführt. Jetzt erquickt sie ihre Sinne in der Kirche und hört den Glocken zu. Dass es so etwas noch gibt, das findet Neumann „ganz wundervoll“. „Auch wenn es am Karsamstag eher ungewöhnlich ist.“
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In den anderen Kirchengemeinden werden die Glocken am Ostersonntag geschlagen. Als Nümbrechter steht Jochen Bosen dann im Turm der Barockkirche und beiert ganz allein. „Und das sogar nur auf einem Bein, das geht nicht anders dort.“ In Ründeroth, dort ist Bosen seit 2009 mit von der Partie, ist das Beiern deutlich bequemer als in anderen Glockenstühlen: Auf einer Höhe von etwa 35 Metern haben die Männer nicht nur jene Sitzbank, sondern auch mehr Platz. Gute 45 Meter misst der Kirchturm in der Höhe. Der Bau des Gotteshauses begann in der Mitte des zwölften Jahrhunderts.
Wieder mit festem Steinboden unter den Füßen sind die Männer erschöpft, aber zufrieden. „Man lebt de Tradition eben weiter“, bringt es der Ur-Ründerother Uwe Klein auf den Punkt. Zum nächsten Mal müssen er und seine drei Mitstreiter am Pfingstsamstag, 4. Juni, ran. Dann wird erneut von 15 bis 16 Uhr gebeiert.