Wildling-Shoes-GründerinWie die Ründerotherin eine erfolgreiche Unternehmerin wurde
- In unserer Reihe „Über Wirtschaft reden“ spricht Frank Klemmer mit der Gründerin von Wildling-Shoes, die bequeme Barfußschuhe für Kinder und Erwachsene verkaufen.
- Das Unternehmen kommt bis heute komplett ohne Investor aus, denn Anna Yona möchte nicht ausschließlich profitgetriebenere Entscheidungen treffen müssen.
- Die Gewinnerin des Gründerpreises aus Ründeroth spricht über ihren Weg zur Unternehmerin und ob sie damit zum Vorbild für andere taugt.
Engelskirchen – Wenn Sie sich die Entwicklung Ihrer Firma Wildling Shoes in den vergangenen Jahren so ansehen, was geht Ihnen da durch den Kopf?
Anna Yona: Es ist wie eine Achterbahn in voller Fahrt. Eigentlich hatten wir nur geplant, damit vielleicht mal unsere Familie ernähren zu können. Als wir 2016 mit der Produktion der Schuhe begannen, wollten wir 200 Paar pro Monat verkaufen. 2018 waren es 80 000, für 2019 rechnen wir mit 160 000. Das hat uns quasi überrannt. Es ist toll, aber es ist manchmal auch beängstigend.
War für Sie immer schon klar, dass Sie mal Unternehmerin werden wollen?
Ganz im Gegenteil, eigentlich komme ich aus einer Beamtenfamilie – da wurde Sicherheit groß geschrieben. Ich hatte Unternehmensführung nie auf dem Schirm, für mich war das nur ein Zahlenjob. Nur mein Großvater war Unternehmer, Forscher, Erfinder und hat zeitweise auch in Südafrika gelebt, weil er als Sozialdemokrat vor den Nazis geflüchtet war. Als er starb war ich erst vier Jahre alt, ich habe ihn also kaum kennengelernt. Aber mein Vater sagt oft, das Unternehmer-Gen hätte ich von ihm.
Was wollten Sie denn werden?
(schmunzelt) Eigentlich wollte ich Journalistin werden oder für Greenpeace arbeiten. Nach dem Abitur habe ich dann erstmal Anglistik und Germanistik studiert. Während des Studiums bin ich viel gereist, ich war zum Beispiel zu einem Praktikum in Quito in Ecuador. Spätestens nach einem Mexiko-Besuch war ich als Studentin nicht mehr zu gebrauchen. Auf Umwegen hat es mich dann nach Israel verschlagen, wo ich Nahostgeschichte und englische Literatur studiert habe. Dort habe ich meinen Mann kennengelernt. (lacht) Das war praktisch: Er war mein Nachbar.
Wie war das Leben in Israel?
Nach unserer Hochzeit sind wir aufs Land gezogen, in einen Ort in der Nähe von Haifa. Auch da hatten wir ein Unternehmen – ein Fitnessstudio, das mein Mann, der Sporttherapeut ist, betrieben hat. Ich habe als Übersetzerin und im Marketing gearbeitet – von zu Hause aus. Dort sind auch unsere drei Kinder zur Welt gekommen, die heute elf, neun und sechs Jahre alt sind.
Warum haben Sie Israel 2013 verlassen?
Die Lage war einfach politisch zu instabil. Israel ist ein spannendes Land, wenn man als Studentin dort hinkommt. Wenn man dann aber Kinder hat, sieht die Welt plötzlich völlig anders aus. Auch wirtschaftlich war es schwer. Es gab da wenig soziale Absicherung. Mutterschutz zum Beispiel gab es für mich als Selbstständige nicht: Drei Tage nach der Geburt meiner ältesten Tochter saß ich wieder am PC und habe gearbeitet. Mein Knackpunkt war aber der Tag, als ich einen Flyer im Briefkasten fand: einen Abholschein für Gasmasken, die wir uns besorgen mussten. Ich hatte Albträume und wollte das nicht als unsere Lebensrealität anerkennen. Da haben wir uns entschieden, mit Sack und Pack, zwei Kindern und einem Säugling nach Deutschland zu ziehen.
Zur Person
Anna Yona ist 41 Jahre alt und in Ründeroth im Ortsteil Walbach aufgewachsen. Ihr Elternhaus – das Haus Pabst, das heute in unmittelbarer Nähe zum Schulzentrum steht – nutzt Yona, die inzwischen mit ihrem Mann Ran und ihrer Familie in Gummersbach-Berghausen lebt, heute auch als Treffpunkt für Mitarbeiter ihrer Firma. Insgesamt 90 Angestellte beschäftigt „Wildling Shoes“ inzwischen – und die sind deutschlandweit, zum Teil sogar weltweit verstreut. 80 Prozent davon sind Frauen, meist Mütter. Die meisten arbeiten von zu Hause aus. Auch ihr Produkt – bequeme Barfußschuhe, zunächst für Kinder, inzwischen auch für Erwachsene – vertreibt „Wildling Shoes“ vor allem über das Internet. Es gibt zwar ein Lager mit Verkauf in Engelskirchen-Osberghausen und seit kurzem einen Showroom auf der Engelbertstraße in Köln. Ein weiterer soll bald in Berlin hinzukommen. Auch dort wird verkauft, der Grund für die Ansiedlung sei aber ein anderer, sagt Yona: „Die Showrooms sind ein Angebot an unsere Mitarbeiter – als Treffpunkt und Co-Working-Space, wenn sie vom Home Office genug haben.“
Die Idee für Wildling Shoes stammt aber trotzdem noch aus Israel . . .
Das stimmt, mein Mann hat immer darauf Wert gelegt, dass unsere Kinder nur barfuß unterwegs sind. Das war ihm als Sporttherapeut aus gesundheitlichen Gründen wichtig. Er wusste, dass herkömmliche Schuhe für den menschlichen Fuß einfach ungesund sind. Sie sind für viele Probleme, die uns irgendwann plagen, verantwortlich. Einen Schuh zu entwickeln, mit dem man immer und überall wie barfuß laufen kann, und der die Füße gesund erhält, war die Idee, die wir dann in Deutschland umgesetzt haben.
Die Geschichte liest sich dann wie eine dieser Start-up-Storys, die wir heute vor allem durch solche TV-Formate wie „Die Höhle der Löwen“ kennen. Sagen Sie uns: Was ist anders an Wildling Shoes?
Dass wir bis heute komplett ohne Investor auskommen, zum Beispiel. Wir sind auch kein typisches Start-up, das auf einen Exit hinarbeitet, um das Unternehmen möglichst gewinnbringend zu verkaufen. In Wildling stecken eine Menge Leidenschaft, Spaß und noch sehr viele Pläne für die Zukunft, die wir umsetzen möchten. Und wir möchten das allein tun, unabhängig von Investoren, die wahrscheinlich profitgetriebenere Entscheidungen treffen würden.
Spätestens seit Verleihung des Gründerpreises stehen Sie im Rampenlicht – zuletzt beim Besuch von Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart in dieser Woche in Ihrem Showroom in Köln. Als Mutter von drei Kindern, die eine Firma führt: Taugen Sie zum Vorbild für andere Frauen?
Es ist natürlich nicht nur meine Firma, sondern auch die meines Mannes – es waren seine Idee und Überzeugung, die zur Gründung geführt haben. Und es ist unsere Partnerschaftlichkeit bei der Teilung aller Aufgaben als Gründer und Eltern, die mir erlaubt, überhaupt als Unternehmerin sichtbar zu werden. Aber es stimmt: Seit wir in Deutschland sind, haben wir die Rollen getauscht. In Israel war er der Unternehmer und ich habe mich um die Kinder gekümmert, jetzt machen wir es anders herum. Das ist unser Rollenmodell, unsere Familienrealität. Doch wenn das bei uns funktioniert, warum sollte es nicht auch bei anderen klappen? Ich hätte mich als junge Frau gefreut, wenn ich gewusst hätte, dass Gründen so viel Spaß macht und so bunt sein kann.
Und? Macht es Ihnen immer noch Spaß, Unternehmerin zu sein? Oder sehnen Sie sich manchmal nach Journalismus oder Greenpeace?
Ja, es macht Spaß, weil wir das Thema von Anfang an konsequent so umgesetzt haben, wie wir es machen wollten – auch was Nachhaltigkeit und Fairness in der Zusammenarbeit betrifft. Schuhherstellung ist ein konservatives Geschäft. Die Lieferanten, bei denen wir mit unseren Vorstellungen ankamen, haben uns anfangs für verrückt erklärt. Aber wir sind dran geblieben und wir haben noch wahnsinnig viel vor. Wir wollen die Schuhbranche nachhaltiger gestalten und anderen Mut machen, umzudenken, indem wir zeigen, dass es funktioniert. So hoffe ich, dass wir als Gründer in der Wirtschaft etwas bewegen können – vielleicht mehr, als ich das allein in einem Gummiboot bei Greenpeace hätte tun können.
Sie sprachen aber auch über den Wert der Sicherheit in Ihrer Familie. Eine Garantie, dass es so weitergeht mit Wildling Shoes haben Sie als Unternehmerin nicht. Haben Sie manchmal noch Angst, alles wieder zu verlieren?
Anfangs ja, da traut man dem Braten noch nicht wirklich – immerhin war unsere Idee jahrelang ein Luftschloss, bis wir die ersten Schuhe in der Hand hatten. Heute habe ich mehr Vertrauen in Wildling. Natürlich kann man ein Produkt kopieren. Wir haben aber inzwischen eine starke Marke, die authentisch wirkt, ein Produkt das überzeugt und viele Kunden, die regelmäßig zu uns zurückkehren.
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Haben Sie denn noch nie daran gedacht, diesen Erfolg zu versilbern und Ihr Unternehmen teuer zu verkaufen?
(schmunzelt) Wir haben spaßeshalber mal schätzen lassen, was uns ein Verkauf einbringen würde. Die Zahlen waren absurd – davon könnten wir sehr lange sehr gut leben. Aber das ist es nicht, was uns antreibt. Wir wollen einfach den besten Schuh machen und dabei die Welt ein kleines bisschen grüner gestalten. Und davon sind wir immer noch weit entfernt.