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InklusionTorsten Polte arbeitet trotz Seh- und Hörbeeinträchtigung im Krankenhaus Engelskirchen

Lesezeit 5 Minuten
Torsten Polte trägt eine hellblaue Klinikbekleidung, eine weiße Kappe auf dem Kopf, einen Mundschutz und Handschuhe. Auf der Kappe ist ein gelbes Blindensymbol mit drei schwarzen Punkten befestigt. In einem Patientenzimmer massiert der Mann das Bein einer Patientin.

Bei seiner Arbeit mit den Patienten im Engelskirchener Krankenhaus kommt Torsten Polte sein ausgeprägtes Gespür in den Händen zugute.

Nach einer Chemotherapie vor 17 Jahren konnte der Frielingsdorfer plötzlich schlecht sehen und hören. Er musste einen neuen Beruf erlernen.

Der Vormittag von Torsten Polte, der als Physiotherapeut auf der geriatrischen Station im Engelskirchener St.-Josef-Krankenhaus arbeitet, ist an diesem Tag trubelig. Auf Station 4 greift mal wieder das Coronavirus um sich, einige der Patientenzimmer sind zu Isolierzimmern geworden, das Personal muss Schutzmasken tragen.

Doch es ist nicht das Virus, das Polte an diesem Vormittag herausfordert, sondern das hohe Menschenaufkommen von Personal und Besuchern auf der Station. „Wenn mehr als vier Menschen gleichzeitig sprechen, komme ich nicht mehr mit“, sagt Torsten Polte. Denn der 55-Jährige ist seit rund 17 Jahren seh- und hörbeeinträchtigt.

Hör- und Sehbeeinträchtigung: Eine Chemotherapie mit schlimmen Folgen

Es ist eine Zeit, auf die Torsten Polte zurückblickt, die alles andere als leicht war. Im Alter von 38 Jahren brachte eine Krebsdiagnose das Leben des Frielingsdorfers durcheinander. Polte erhielt eine Chemotherapie. Nach der Behandlung schien der Kampf gegen die Krankheit erfolgreich gewesen zu sein. „Der letzte Chemo-Zyklus war bereits drei Monate her. Ich hatte wieder angefangen, im Hamburger Modell zu arbeiten, als ich plötzlich nicht mehr gut hören konnte.“

Toxische Optikusatrophie lautet der medizinische Fachbegriff für seine Erkrankung. „Die Flimmerhärchen in meinem Ohr sind abgestorben. Ich habe einen Hörverlust von mehr als 50 Prozent erlitten. Wenig später traten Sehbeschwerden auf. Ich konnte plötzlich kein Buch mehr lesen und kein Fernsehbild mehr erkennen. Alles war nur noch weiß“, berichtet der 55-Jährige. Die Erkrankung seiner Augen beschreibt er vereinfacht so: „Der Sehnerv selbst ist noch in Ordnung, aber durch das Medikament, das ich bei der Chemo bekommen habe, wurde die Leitung zum Gehirn geschädigt.“

Torsten Polte im Porträt. Er trägt eine weiße Kappe auf dem Kopf, auf der ein gelbes Blindensymbol mit drei schwarzen Punkten befestigt ist.

Torsten Polte arbeitet heute als Physiotherapeut.

Die Seh- und Hörbeeinträchtigung blieb als Folge der Chemo zurück. Lange dauerte es jedoch, bis Ärzte eine genaue Diagnose stellen konnten. Acht Wochen verbrachte Polte im Gummersbacher Krankenhaus und acht weitere in der Uniklinik Köln. „Meine Peripherie ist in Ordnung, das heißt, ich kann Dinge wahrnehmen und benötige keinen Blindenstock. Aber ich kann keine Gesichter erkennen. Ich sehe zwar, wenn jemand vor mir steht und seinen Körper, aber den Kopf kann ich nicht erkennen. Dort ist ein schwarzes Loch“, schildert er. Als Unterstützung beim Hören trägt Polte zudem Hörgeräte in beiden Ohren.

Das Leben des Oberbergers änderte sich erneut schlagartig. Seinen ursprünglichen Beruf als Schlosser konnte er nicht mehr ausüben, Autofahren kann er nicht mehr. „Ich stand da – mit Familie, Sohn, Haus. Meine Frau war in dieser Zeit eine sehr wichtige Stütze und hat mich aufgebaut“, berichtet er dankbar.

Der letzte Chemo-Zyklus war bereits drei Monate her. Ich hatte angefangen, im Hamburger Modell zu arbeiten, als ich von einem auf den anderen Tag nicht mehr gut hören konnte.
Torsten Polte, Physiotherapeut

Schnell war für Torsten Polte aber ebenso klar, dass er trotz seiner Erkrankung wieder arbeiten wollte. „Ich war ja erst 38 Jahre alt. Man wollte mich damals in Frührente schicken, aber das kam für mich nicht infrage“, sagt er. Und so informierte er sich über berufliche Möglichkeiten, die er mit seiner Beeinträchtigung ausüben kann. „Ich wollte mit meinen Händen arbeiten, denn den ganzen Tag im Büro sitzen, ist nichts für mich. So kam ich auf Masseur und die Physiotherapie.“

Polte erlernte die Blindenschrift, das Zehn-Finger-Tastschreiben und besuchte schließlich eine spezielle Schule in Mainz, in der beeinträchtigte und nicht-beeinträchtigte Menschen gemeinsam ausgebildet werden. Er absolvierte sein Staatsexamen und anschließend ein Praktikum auf der geriatrischen Station der damaligen Katholischen Kliniken Oberberg (KKO) in Lindlar, die nach der Verschmelzung mit der gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe (GFO) am Standort Lindlar geschlossen wurde. Polte bildete sich für die Lymphdrainage weiter. Über „Rehaktiv“ kam er 2014, nach einer Station in der Wipperfürther Helios-Klinik, fest zu den GFO-Kliniken. Zunächst erneut nach Lindlar und nach der Schließung dort mit dem Umzug der Abteilungen nach Engelskirchen, da arbeitet er seit 2018.

Vergrößerungsprogramm am Computer erleichtert das Lesen

„In meinem Berufsalltag im Krankenhaus komme ich sehr gut klar. Es müssen immer beide Seiten miteinander harmonieren, ich mit meinen Kollegen, aber sie auch mit mir. Ich habe hier sehr nette Kollegen, die mich auch unterstützen, wenn ich mal Hilfe benötige“, erzählt er.

Und auch der Umgang mit Patienten sei unkompliziert. „Viele bemerken erst gar nicht, dass ich seh- und hörbeeinträchtigt bin. Ich spreche das von mir aus auch nicht an. Wenn Fragen kommen, dann beantworte ich sie.“ Bei seiner Arbeit mit den Patienten kommt Torsten Polte sein ausgeprägtes Gespür in den Händen zugute, das er nach anfänglicher Taubheit durch die Chemotherapie glücklicherweise zurückerlangt hat.

Am Computer hilft ihm ein Vergrößerungsprogramm. Statt Kugelschreiber benutzt Polte einen Faserstift für ein dickeres und gut erkennbares Schriftbild. „Und wenn es doch mal Probleme gibt, sage ich einfach Bescheid. Man darf nicht schüchtern sein, sondern muss um Hilfe bitten, wenn man sie braucht“, betont der Oberberger.

Eins fordert Polte in seinem Beruf jedoch täglich heraus: „Mit dem Telefon komme ich nicht zurecht. Die Schrift auf dem Display ist so klein, dass ich sie kaum lesen kann. Ich kann nicht erkennen, wer mich versucht hat anzurufen und muss immer meine Kollegen fragen.“ Außerhalb der Klinik wünscht er sich „mehr Sprachansagen an Bus- und Bahnhöfen und mehr fahrende Busse – vor allem sonntags!“