Oberberg – Wir befinden uns im Jahr 2020 nach Christus. In ganz Oberberg ist das jahrhundertelang gesprochene Platt verstummt. In ganz Oberberg? Nein! In manchen Orten hören einige unbeugsame Oberberger nicht auf, Widerstand zu leisten. Zu ihnen gehören die Bergneustädter Horst Kowalski alias Karl von der Dörspe und Gerda Rippel als Minchen, die alljährlich – natürlich auf Platt – die schmutzige Wäsche Bergneustadts am Losemundbrunnen in der Altstadt waschen.
„Wir sind wohl die Letzten einer aussterbenden Rasse“, fürchtet der 84-jährige Kowalski. Als Kind saß er oft in der Ecke und lauschte gespannt den Gesprächen der Großeltern mit seiner Mutter oder den Nachbarn. „Die Oma kam aus Immicke, der Opa vom Baldenberg“, erzählt er. Zwischen den nur wenige Kilometer voneinander entfernten Dörfern verläuft eine Sprachgrenze. So sagte die Großmutter „ich hann“ wie die Neustädter, der Großvater vom „Barmerich“ aber „eck hawwe“. Weil er mehr mit der Oma zu tun hatte, lernte „Karl von der Dörpse“ das Nyestädter Platt. Allerdings hielt ihn die Mutter an: „Junge, sprich Hochdeutsch, sonst kriegst du Probleme in der Schule.“
Hochdeutsch war ein Muss
„Da wurde man lächerlich gemacht und verspottet“, bestätigt die 80-jährige Gerda Rippel. „ Als mein Großvater sich mal beschwerte, weil ihm Müll vom Schulhof auf sein Feld flog, kanzelte ihn die Lehrerin ab, er solle erst mal richtig Deutsch lernen.“ Eine Haltung, mit der Generationen von oberbergischen Kindern der Mund im heimischen Dialekt verboten wurde. Hinzu kam der Zuzug von anderen Fremden nach dem Zweiten Weltkrieg nach Oberberg. Hochdeutsch war ein Muss, und so wurde in der Familie Kowalski bald kein Platt mehr gesprochen.
Gerda Rippel stellt fest, dass viele Wörter auch mit gesellschaftlichen Veränderungen in Vergessenheit gerieten. So seien etwa das „Finsen“ und das „Repassieren“ (Aufnehmen von Maschen, um Löcher zu stopfen) zusammen mit Berufen in der Textilindustrie verschwunden. Sie selbst spricht zu Hause Platt mit ihrem Mann, der aus Hunsheim stammt, „aber der spricht Platt mit Striepen“, schmunzelt sie.
„Unser Platt ist ein Schatz, der gepflegt werden müsste“
„Karl“ und „Minchen“ bedauern sehr, dass zur Zeit wegen Corona die Mundart-AG an der Grundschule Wiedenest ausfallen muss. Da hatten seit rund zehn Jahren etliche Kinder eifrig Platt gelernt und waren sogar am Losemundbrunnen mit von der Partie. „Zwei türkischstämmige Mädchen konnten es so gut, als hätten sie schon immer so gesprochen“, lobt Gerda Rippel.
„Unser Platt ist ein Schatz, der gepflegt werden müsste“, seufzt Reinhard Grüber, der ein Buch auf Platt herausgegeben hat und bis zum Jahr 2017 in Waldbröl mit dem Verkehrs- und Verschönerungsverein Mundartabende organisierte. „Die Nutscheidhalle war mit 750 Besuchern rappelvoll“, schwärmt er und hofft auf eine Wiederbelebung der Tradition. „Ich würde es immer unterstützen.“ In Drabenderhöhe hofft Achim Höhler vom Heimatverein, dass die Mundartkaffeekränzchen bald wieder stattfinden können, zur Zeit fallen sie wegen Corona aus.
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Weil einige der 13 Diezenkausener Schmettereulen zur Risikogruppe gehören, hocken zur Zeit alle in ihren Nestern. Der Frauenchor, der im vergangenen Jahr mit Weihnachtsliedern auf Platt auftrat und ein 72 Seiten dickes Liederbuch mit dem Titel „Kinger liiert es Platt“ vorstellte, hoffe auf einen Impfstoff, um bald wieder auszuschwärmen, sagt Chorleiter Jürgen Hennlein. Gebürtig in Olpe, schreibt er als Waldbröler „Immi“ die Texte, „manchmal im Holper Platt und beeinflusst durch die Kölschen Tön von Bläck Fööss und Co. “, gibt er zu.
Da müsse dann Ulrike Müller streng korrigieren. Zur Zeit arbeitet man in „Deezekusen“ an einem neuen Projekt. Im nächsten Jahr wollen die Eulen Kinderlieder auf Platt schmettern: „Fur’s, du häss de Chans jesto’elen – oder so ähnlich“, sagt Hennlein und lacht.