Gummersbacher WissenschaftlerDas beeinflusst die Erderwärmung
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Gummersbach/Potsdam – Weniger Verkehr auf den Straßen und in den Städten, Firmen, die ihre Produktion heruntergefahren haben, fast keine Flugzeuge in der Luft - das bedeutet auch: Weniger Abgase, weniger Treibhausgase, eine saubere Luft. Auch das sind Folgen der Coronamaßnahmen und des Lockdowns, sagt Dr. Jonathan F. Donges: „Die Emissionen wurden um acht bis neun Prozent reduziert, das hat es seit 100 Jahren nicht gegeben, nicht mal im Zweiten Weltkrieg.“
Der Wissenschaftler, der aus Dümmlinghausen stammt und in Bergneustadt das Wüllenweber-Gymnasium besuchte, arbeitet am Potsdam Institut für Klimaforschung (PIK) und beobachtet, welche Faktoren die Erderwärmung beeinflussen.
Erderwärmung bis 2050 auf unter zwei Grad begrenzen
Die Hoffnung: „Vielleicht könnte die Pandemie ja ein Möglichkeitsfenster öffnen, die Entwicklung in Richtung Klimaschutz zu drehen.“ Denn dass es einen tiefgreifenden Wandel geben muss, wenn es gelingen soll, die Erderwärmung bis 2050 auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, daran lässt er nicht den geringsten Zweifel. „Die Klimaerwärmung ist ebenso wie Corona eine existenzielle Naturkatastrophe. Sie verläuft langsamer, aber nicht weniger radikal, zeigt die Verletzlichkeit unserer Gesellschaft, unseres Lebensstils und unseres Wohlstands. Da müssen wir ebenso Vorsorge treffen.“
Ob die Menschen unter dem Eindruck der Pandemie nachdenklicher sind? Eher bereit, sich über die Grundlagen des Lebens Gedanken zu machen? „Ich hoffe es“, sagt Donges. Anstatt nur Horrorszenarien an die Wand zu malen und nur Kippmechanismen zu benennen, nach denen es kein Zurück mehr gibt, wie er es auch schon getan hat – zum Beispiel im Oktober 2019 in seiner oberbergischen Heimat beim Landwirtschaftsgottesdienst in der bis auf den letzten Platz gefüllten Bergneustädter Altstadtkirche.
Donges denkt weiter
Doch inzwischen denkt Donges schon weiter: Er berichtet von den Ergebnissen einer umfangreichen Forschungsarbeit, an der er 2020 beteiligt war, und bei der unter anderem weltweit rund 1000 Experten befragt wurden. Die Botschaft: Es gibt „gesellschaftliche Kippmechanismen“ die für eine Stabilisierung des Klimas sorgen.
Die größte Möglichkeit erkennt der Klimaforscher kurzfristig bei den Finanzmärkten und das nicht durch staatliche Lenkung. „Wenn Geldanlagen in Öl an Wert verlieren, richten Anleger ihre Risikobewertung neu aus und ziehen ihr Geld ab. Wenn erneuerbare Energien billiger sind als Kohle, verlieren die weltweiten Kohlevorräte an Wert.“
Alternativen sind vorhanden
Doch nicht jeder Oberberger ist ein Großaktionär. Wie kann er Einfluss nehmen? „Jeder hat es in der Hand, sich auszusuchen, bei welchem Kreditinstitut er Kunde ist oder ob sein Investment klimafreundlich ist“, hält Donges dagegen. „Da gibt es durchaus Alternativen.“
Auch die mittelständische Industrie im Oberbergischen könne ihren Beitrag leisten. Und wenn erst Corona mal im Griff sei, dann werde die Wirtschaft beim Wiederaufbau extrem gefördert. „Subventionen, geknüpft an die Pflicht zu klimafreundlichen Investitionen, könnten einen Kippmechanismus anstoßen.“
Schock über tote Wälder
Schockiert war der 37-Jährige, über die riesigen Flächen toter Wälder, als er vor Kurzem die alte Heimat besuchte. Gewundert hat es ihn nicht, 2020 war ja das wärmste Jahr seit der Industrialisierung. Umso mehr liegt ihm am Herzen, nicht nur den globalen Wandel im Blick zu haben. „Wichtig ist es, die moralische Dimension zu verankern. Das können alle, die Einfluss haben. Pfarrer und Imame ebenso wie die Bewegung Fridays for Future, Schulen und lokale Politiker.“
Welche klimafreundlichen Verkehrsmittel soll es geben, welche Gebäude, welche Fabriken, werden Nahrungsmittel regional erzeugt? Informationen auf den Waren im Supermarkt, ob sie klimaneutral erzeugt wurden, wären eine wichtige Information für die Verbraucher. Erste Modelle, sagt Donges, gebe es bereits.
Pandemie als Warnung
Deshalb könne Corona auch als Warnschuss betrachtet werden, denn zwischen Pandemien und dem Klimawandel sieht der Wissenschaftler einen engen Zusammenhang. „Wenn nichts geschieht, wird es in Zukunft häufiger zu Ausbrüchen kommen. Zoonosen, also von Tieren auf Menschen übertragene Krankheiten, wird es öfters geben, weil Ökosysteme zerstört werden und zum Beispiel Siedlungen in Wälder eindringen, wo Tiere mit Krankheiten leben, mit denen die Menschen sonst kaum in Berührung kommen.“ Auch die Ökosysteme wandern, Tigermücken, tropische Zecken überwintern bei uns und übertragen gefährliche Krankheiten wie das Dengue-Fiber.
Zeit also zum Handeln, findet Donges. Es gehe darum, auch bereits eingeleitete Maßnahmen zu intensivieren: Wenn die verschiedenen Prozesse ineinander greifen, die kleinen, die großen, auch die globalen, dann gäbe es eine Chance, sagt Donges. „Unter der Klimaveränderung leiden alle gemeinsam, deshalb haben wir auch alle die Verantwortung.“