In unserer Bio-Serie geht's diesmal um die Kahlrückige Waldameise. Sie bildet einen Superorganismus und sorgt damit für stabile Wälder
Lebendiges OberbergDie kleine Krone der Schöpfung lebt in Oberbergs Wäldern
In gewisser Hinsicht kann man die Ameisen auf eine Entwicklungsstufe mit der Menschheit stellen. Und das ist ihre Organisationsform. Auch sie leben in Staaten. Die einzelnen Individuen sind in Kasten mit Arbeiterinnen, Soldatinnen, Drohnen und Königinnen eingeteilt, was an die nah verwandten Honigbienen erinnert. Einzelne Individuen verzichten – scheinbar gegen alle Regeln der Evolution – auf die eigene Fortpflanzung zugunsten ihres Volkes, um sich sozusagen einer Spezialaufgabe innerhalb des Staates zu widmen. Als eine von sehr wenigen Spezies haben Ameisen damit die Stufe der „Eusozialität“ erreicht.
Nach dem Biologen E.O. Wilson ist die Eusozialität, bei der mehrere Generationen in einer Art selbstloser Arbeitsteilung organisiert sind, „eine der ganz großen Innovationen in der Geschichte des Lebens. Sie führte zur Entstehung von Superorganismen, die nächste Ebene der biologischen Komplexität.“
Das Nest gilt es zu verteidigen
Weiter führt Wilson aus: „Von sämtlichen Primatenarten, die über Millionen von Jahren (…) lebten, überschritt nur eine, nämlich ein Abkömmling afrikanischer Menschenaffen und Vorfahre des Homo sapiens die Schwelle zur Eusozialität.“ Das einzige Säugetier, das das neben den Menschen sonst noch fertiggebracht hat, ist übrigens der Nacktmull. Man könnte mit einer gewissen Berechtigung behaupten, dass sich der Mensch auf Makroebene zwar zur herrschenden Spezies des Planeten entwickelt hat, sich die Ameisen diesen Titel aber auf Mikro- oder Mesoebene auf die Fahne schreiben dürfen.
Zentrum eines Ameisenstaates ist jedenfalls das wertvolle Nest, das es zu verteidigen gilt, da hier die Nachkommen produzierende Königin sitzt. Waldameisen (Formica) haben einen imposanten Ameisenhügel, ein ständig im Umbau begriffenes Gebilde, dessen Zentrum oft ein Baumstumpf bildet. Den etwa zwei Meter tief im Boden liegenden Nestbereich schützen häufig abertausend Fichtennadeln sowie andere sich nur langsam zersetzende Pflanzenteile.
Ameisen halten sich Nutztiere
Im Bergischen Land sind vor allem zwei Arten von Waldameisen weit verbreitet, die Rote Waldameise (Formica rufa) und die Kahlrückige Waldameise (Formica polyctena), mit bloßem Auge kaum voneinander zu unterscheiden. Während die Rote Waldameise innerhalb ihres Territoriums meist ein einzelnes großes Nest mit einer monogynen Königin baut, lebt die Kahlrückige Verwandtschaft polygyn, das heißt es gibt mehrere fortpflanzungsfähige Königinnen und diese haben mehrere kleine Nester, die eine individuenreiche Kolonie bilden. Eine weitere verblüffende Eigenschaft der Ameisen ist die Fähigkeit zu einer Art Nutztierhaltung. Sie leben in Trophobiose mit Lachniden, was bedeutet, dass Ameisen Blatt- und Rindenläuse hegen und pflegen. So verteidigen sie sie vor Fressfeinden und stimulieren die Blattläuse, damit sie den süßen Pflanzensaft absammeln, der für Ameisen sonst meist unerreichbar ist. Sie melken die Blattläuse regelrecht. Dieser kohlenhydrathaltige Honigtau bringt ihnen Energie. Die Proteine für die heranwachsenden Larven holen sie sich von kleinen wirbellosen Tieren, die sie erbeuten.
Und damit wären wir bei einer ganz wichtigen Funktion der Art, ihrer Rolle im Ökosystem Wald. Neben der Regulierung von Pflanzenschädlingen, trägt die „Waldpolizei“ – ganz im Gegensatz zu den schweren Vollerntemaschinen – zur Bodenverbesserung bei. Ihr Blattlaus-Management steigert die Honigtauproduktion deutlich, wovon auch andere Insekten wie die Honigbienen profitieren.
Ameisenhügel sind ein Lebensraum für zahlreiche Untermieter
Darüber hinaus helfen sie Pflanzen wie dem Schneeglöckchen bei der Verbreitung der Samen. Des Weiteren sind Ameisenhügel ein Lebensraum für zahlreiche „Untermieter“ wie Tausendfüßler, Spinnen, Käfer- und Schwebfliegenlarven. Und nicht zuletzt freuen sich einige Säugetiere und Vögel über kostenlose Fell- und Gefiederpflege beim sogenannten „Einemsen“.
Tatjana Greßler von der Biologischen Station Rhein-Berg fasst es so zusammen: „Für die Forstwirtschaft sind die beiden Waldameisenarten von großem Nutzen.“ Die Tiere leisteten einen bedeutenden Beitrag zur Gesunderhaltung des Waldes und förderten die Artenvielfalt der Flora und Fauna. „Ihr Schutz ist daher nicht nur von naturschutzfachlichem, sondern auch von forstwirtschaftlichem Interesse.“
Die Kahlrückige Waldameise hat eine Affinität zu Fichtenmonokulturen. Profitierte sie in den letzten hundert Jahren von der Forstwirtschaft durch den Menschen, ist sie aufgrund des Fichtensterbens nun zu einem weiteren Verlierer des Klimawandels geworden. Doch auch neue Waldstrukturen, glaubt Greßler, böten die Chance, waldameisenfreundliche Baummischungen zu fördern und die Bestände langfristig zu stabilisieren.
Gar nicht so stark
Ameisen sind absolut faszinierend und verfügen über unglaubliche Fähigkeiten. Eine außergewöhnliche Körperkraft gehört nicht dazu. Innerhalb der Insekten bilden die Ameisen (Formicidae) eine Familie aus der Ordnung der Hautflügler (Hymenoptera) und sind damit nah verwandt mit Bienen und Wespen. In populärwissenschaftlichen Formaten wird zuweilen staunend festgestellt, Ameisen vermögen das Hundertfache ihres eigenen Körpergewichts zu tragen. Das ist aber überhaupt nicht außergewöhnlich.
Andere Wirbellose sind noch viel krasser, wie die winzige tropische Hornmilbe, die das 1170-fache des eigenen Körpergewichtes schleppen kann. Oder der Stierkopf-Dungkäfer, der das 1141-fache seines Gewichtes hebt. Diese Tiere sind aber allesamt sehr klein. Es kommt nämlich immer auf das Verhältnis an. Bei kleinen und leichten Tieren sind die Muskeln im Verhältnis zur gesamten Körpermasse viel dicker. Zudem müssen kleine Tiere nicht so ein hohes Eigengewicht tragen, wie wir Menschen auf unserem massereichen Planeten.
Wenn eine Ameise in Originalgröße ihr hundertfaches Körpergewicht tragen kann, würde sie auf Menschengröße skaliert bei gleichen Verhältnissen nur 40 Kilogramm tragen können, was eine in der Biologie ganz normale Leistung darstellen würde. (fls)