Im Angesicht des KriegesSuperintendent Michael Braun über das Gefühl der Ohnmacht
Warum gibt es jetzt Friedensgebete, Herr Superintendent?
Braun: Die Menschen fragen sich: Was kann ich tun? Sie wollen nicht ohnmächtig sein. Sie fragen sich, wie sie mit ihren Ängsten umgehen sollen. Der Moment, als bekannt wurde, dass Wladimir Putin die Vergeltungswaffen aktiviert hat, der hat mit vielen Menschen schon etwas gemacht: Da ist eine Angst, die viele schon sehr lange nicht mehr gespürt haben, manche – vor allem Jüngere – sogar noch nie.
Wie hilft da ein Friedensgebet?
Es hilft den Menschen, still zu werden. Da entsteht Andacht, eine ganze dichte Atmosphäre. Ich habe das gespürt, als ich bei einem der ersten Gebete in der Derschlager Kirchengemeinde mit dabei war. Am Ende wollte jeder einer Kerze anzünden.
Friedensgebete
Engelskirchen: Montag, 7. März, 17 Uhr, evangelische Kirche, Märkische Straße 26, überkonfessionelles Friedensgebet; ab dann jeden Montag – bis die Waffen ruhen.
Lindlar: Von Samstag bis Mittwoch, 5. bis 9. März, Auf dem Korb 21, evangelische Jubilate-Kirche, täglich ab 18.15 Uhr, Friedensandacht. Weitere Informationen im Internet.
Täglich bis die Waffen ruhen:
Lindlar: Seit 25. Februar täglich zwischen 18 und 19 Uhr, Auf dem Korb 21, ist die evangelische Jubilate-Kirche geöffnet für stille, individuelle Gebete für den Frieden sowie das Entzünden einer Gedenkkerze.
Bergneustadt: Täglich, 19 bis 20 Uhr, Kirchstraße 12, Altstadtkirche, Friedensgebet.
Derschlag: Täglich, 19.30 Uhr, Kirchweg 1, Emmauskirche, Friedensgebet.
Gummersbach: Täglich, 19 bis 20 Uhr, katholische Kirche St. Franziskus, Moltkestraße, öffnet für stille, individuelle Gebete für den Frieden. Es können auch dort Gedenkkerzen entzündet werden. (r)
Aber der Krieg bleibt – und damit die Ohnmacht. Wie ist das auszuhalten?
Wir müssen lernen, so etwas auszuhalten. Oft können wir das gar nicht mehr. Wir sind nicht mehr gewöhnt, ohnmächtig zu sein. Wir sind gewohnt, ganz schnell zu sein und alles ändern zu können. Mit diesem Gefühl hat uns schon die Corona-Pandemie konfrontiert: nichts tun zu können, nichts tun zu dürfen. Das müssen wir tatsächlich erst wieder lernen.
Können wir denn wirklich nichts tun? Können wir nicht helfen, indem wir zum Beispiel spenden?
Natürlich geht das in einem gewissen Rahmen. Auch uns als Kirchenkreis erreichen viele Anfragen. Ja, wir können beten und spenden. Wir rufen auf zu Geldspenden an die Katastrophenhilfe der Diakonie. Ich befürchte, dass das Engagement, Sachspenden an die Grenze zu bringen, gerade sogar ein wenig überhandnimmt – und dass das nicht nur positiv ist.
Wie kann das sein? Wie können Menschen zu viel helfen?
Indem tatsächlich Staus entstehen auf den Straßen. Staus von Menschen, die mit Sachspenden zur Grenze wollen. Aber das ist nicht nur bei uns so. Wir stehen in engem Kontakt zu unserer Partnerdiözese im polnischen Teschen. Das ist etwa 200 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Der evangelische Bischof Adrian Korczago berichtete mir, dass auch dort die Hilfsbereitschaft sehr groß ist. Aber auch die Angst.
Die Angst, dass der Krieg nach Polen kommt?
Ja, die Menschen dort haben sehr genau gehört, was Putin über Osteuropa gesagt hat. Sie sehen die Truppen in Belarus, die sich noch nicht bewegt haben und sich auch in eine andere Richtung wenden könnten. Und sie sehen ins russische Königsberg.
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Noch mal die Frage: Helfen da Friedensgebete? Freuen wir uns nicht zu sehr über die Demos und unseren Willen zum Frieden, wenn in der Ukraine einfach weiter getötet wird?
Es stimmt, ich merke auch eine Veränderung zur Friedensbewegung in den 80er Jahren oder den vielen Gebeten rund um den Irakkrieg in den 90ern. Ich höre gerade auch bei vielen Pfarrerinnen und Pfarrern, die noch etwas älter sind als ich, dass sie im Angesicht von Putins Krieg von einem Umdenken sprechen. Dass wir vielleicht nicht nur einseitig von Frieden sprechen müssen. Krieg ist für uns immer falsch. Aber manchmal muss man eben im Sinne Dietrich Bonhoeffers auch das Falsche tun, um zum Richtigen zu finden.
Wie groß ist Ihre Sorge, dass der Krieg uns auch im Inneren erschüttert – gerade im Umgang mit Menschen aus Russland, die hier leben?
Meine Sorge ist groß. Ich selbst stamme ja aus dem oldenburgischen Münsterland. Auch dort kenne ich viele russischstämmige Familien. Mir ist ein Bild vom Sonntag von der Demo in Berlin in Erinnerung geblieben. Da stand ein junger Mann mit einem Schild: „I’m Russian, I’m sorry“. Das sollten wir nicht vergessen. Irgendwann, hoffentlich ganz bald, wird es auch wieder darum gehen, Brücken zu bauen.