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InterviewGummersbacher Strafverteidiger spricht über „Gratwanderung“ im Job

Lesezeit 5 Minuten

Vor Gericht: Der Gummersbacher Strafverteidiger Stephan Kuhl (l.) mit seinem Mandanten im Missbrauchsprozess jüngst in Köln.

Gummersbach – Stephan Kuhl (47) ist Strafverteidiger. Immer wieder landen Aufsehen erregende Fälle aus Oberberg bei ihm, zuletzt der Prozess gegen einen Mann, der als „netter Nachbar“ Jungen missbraucht haben soll, oder der ganz ähnliche Prozess um den Staumauer-Sturz in Marienheide vor einigen Jahren. Wie wird man Strafverteidiger in solchen Fällen? Frank Klemmer sprach mit ihm in der Reihe „Alles was Recht ist“ darüber, wie er seine Rolle versteht.

Warum sind Sie Strafverteidiger geworden, Herr Kuhl?

Es gab zu Beginn meiner Anwaltstätigkeit keinen festen Plan, Strafverteidiger zu werden. Es hat sich irgendwie einfach so ergeben. Ja, ich hatte immer schon einen Faible dafür. Aber angefangen habe ich 2003 in einer Bürogemeinschaft in Engelskirchen mit einem älteren Kollegen vor allem mit Zivilrecht.

Und wie ergibt sich das dann so als Anwalt?

Es wurden einfach immer mehr Strafrechtsfälle. Ich bin da nach und nach reingerutscht. Am Ende ist es vor allem Mundpropaganda. Heute mache ich zu 95 Prozent Strafsachen. Natürlich gibt es immer noch Mandanten mit anderen Fällen.

Aber Sachen im Arbeitsrecht, Familienrecht oder Verwaltungsrecht verweise ich dann eben weiter. Jeder soll machen, was er kann. Und die Kolleginnen und Kollegen machen das eben umgekehrt genauso. So funktioniert das.

Stephan Kuhl als Verteidiger im Prozess um sexuellen Missbrauch in Bergneustadt

Sie treten in vielen Fällen aus dem Oberbergischen als Verteidiger auf, auch vor dem Landgericht Köln. Zuletzt wieder in einem Prozess um einen sexuellen Missbrauch von Kindern in Bergneustadt. Wie oft werden Sie gefragt, wie Sie solche Mandanten vertreten können?

Tatsächlich werde ich das ganz oft gefragt. Und es ist wirklich eine Gratwanderung: Einerseits ist es mein Beruf, jeden, ja wirklich jeden Angeklagten optimal zu verteidigen. Andererseits habe ich den festen Vorsatz, dennoch jeden Morgen noch in den Spiegel gucken zu können. Das ist anfangs schwer. Es braucht einige Jahre, bis man die Balance gefunden hat.

Schafft das jeder?

Nein, natürlich gibt es auch schwarze Schafe in unserer Branche. Anwälte, die das nicht so eng sehen und das monetäre Interesse in den Vordergrund stellen.

Die Kunst besteht vor allem darin, nicht zu emotional an die Sache heranzugehen und sich nicht mit den Mandanten gemein zu machen. Ich war ja nicht dabei, als es passiert ist. Ich kann denen, die ich verteidige, also nur sagen, wie glaubhaft das Gericht ihre Aussage finden wird.

Wie schaffen Sie es?

Es ist nicht einfach. Für mich gibt es eine wichtige Erkenntnis: Die Menschen, die per se „böse“ sind und deshalb Straftaten begehen, kann ich an einer Hand abzählen. Hinter den meisten, selbst hinter den schwereren Straftaten steckt eine Geschichte. Es gibt Gründe, warum Menschen auf die schiefe Bahn geraten – Drogen oder Alkohol zum Beispiel.

Oder bei den Missbrauchstaten: Bei vielen Tätern findet sich ein Missbrauch zu ihren Lasten in ihrer Biografie. Das ist keine Entschuldigung, aber es hilft dabei, Taten erklärbar zu machen. Auch das ist Aufgabe der Verteidigung.

Strafverteidiger im Interview: „Längst nicht mehr nur der Kampf Gut gegen Böse“

Und in die andere Richtung? Wie sehr ist ein Strafprozess ein Kampf mit der Staatsanwaltschaft?

Natürlich gibt es das immer noch. Ich hatte erst jüngst so einen Staatsanwalt, der komplett auf Contra ausgerichtet war und sich auch rechtlich auf sehr wackeligem Boden bewegt hat. Da kämpft man dann tatsächlich. Aber in der Regel ist das längst nicht mehr nur der Kampf Gut gegen Böse, wie man ihn sich vorstellt, wenn man es nur aus dem Fernsehen kennt.

Oft gibt es eine gute, professionelle Zusammenarbeit, bei der sich alle – Staatsanwaltschaft, Gericht und auch ich als Verteidiger – der Rolle bewusst sind. Vor allem, wenn es sich um erfahrene Prozessbeteiligte handelt. Irgendwann kennt man seine Pappenheimer. Man weiß, wie der andere tickt. Dann ist Psychologie wichtig, wenn ich etwas erreichen will.

Und was sagen die Mandanten dazu? Erwarten die nicht etwas anderes von Ihnen?

(lächelt) Es gibt sie, ja: Diejenigen, die denken, ich hätte meinen Job nicht richtig gemacht, wenn ich im Gerichtssaal nicht ein großes Fass aufmache. Aber das hilft mir ja nicht weiter dabei, meine Arbeit richtig zu machen. Denn selbst wenn ich vor dem Mandanten eine Inszenierung hinlege, ist es ja in der Regel kontraproduktiv. Es hilft ihm also in der Sache nicht weiter.

Welche Rolle spielt die Öffentlichkeit?

Für mich spielt das eine untergeordnete Rolle. Ja, früher als junger Anwalt war ich auch aufgeregt, wenn plötzlich alle Kameras auf mich gerichtet waren. (schmunzelt) Und die Fotokameras waren da ja auch noch größer.

„Am Anfang wollte ich eigentlich Tiermedizin studieren“

Ist sie für einen Verteidiger manchmal auch Mittel zum Zweck?

Wie gesagt: Es gibt schwarze Schafe. Aber für mich ist das kein Weg zum Ziel. Denn ich kenne keinen Vorsitzenden Richter und keine Vorsitzende Richterin am Kölner Landgericht und auch sonst keinen erfahrenen Richter und keine erfahrene Richterin, der oder die sich durch die Öffentlichkeit in der Urteilsfindung beeinflussen lässt.

Noch mal zurück auf Anfang: Warum haben Sie eigentlich Jura studiert?

(lacht) Ganz am Anfang wollte ich eigentlich Tiermedizin studieren. Aber damals – Mitte der 90er Jahre – sagten mir alle, das solle ich lassen, das bringe nichts. Und alle sagten auch: „Studier’ doch Jura, damit kannst Du später alles machen!“ (grinst) Und als ich Anfang der 2000er Jahre dann fertig wurde stellte ich fest, dass man das wohl sehr vielen anderen genauso erzählt hatte.

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Gibt es immer noch so viele?

Nein, die Schwemme ist vorbei. Tatsächlich haben wir hier auf dem Land fast schon ein Nachwuchsproblem. Viele Kollegen stehen vor der Rente, die Suche nach Nachfolgern ist schwierig. Da geht es uns nicht mehr anders als den Ärzten.