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Ständige GefahrUkrainische Journalistinnen erzählen, wie ihre Arbeit in Kriegszeiten aussieht

Lesezeit 4 Minuten
Zwei Frauen im Gespräch an einem Tisch.

Im Gespräch tauschen sich die beiden ukrainischen Journalistinnen Alla Yesena und Anna Dobrianska über Berichte im und über den Krieg aus.

15 Jahre lang hat Yesena als TV-Moderatorin in Odessa gearbeitet und lebt nun in Oberberg. Anna Dobrianska arbeitet noch in der Ukraine.

„Es ist wichtig, zu berichten und zu informieren. Aber in Zeiten des Krieges in der Ukraine ist es auch wichtig, die Balance zu halten. Man kann nicht alles schreiben“, sagt Alla Yesena. Die 40-Jährige kommt gebürtig aus Odessa in der Ukraine und lebt mit ihrem zwölf Jahre alten Sohn nun schon seit zwei Jahren in Lindlar.

15 Jahre lang hat Yesena als Journalistin in Odessa gearbeitet, war bereits während ihres Studiums als Reporterin unterwegs und zuletzt viele Jahre als Fernsehmoderatorin im Einsatz. „Ich war fünf Stunden am Tag live auf Sendung und habe meist über Politik berichtet“, schildert sie. Mittlerweile gebe es statt, wie zuvor, 30 TV-Sendern nur noch drei bis vier. „Viele berichten nur noch in Internetressorts und nicht mehr live vor der Kamera.“

Heute sieht das Leben von Yesena anders aus. In Oberberg hat die Mutter innerhalb von zwei Jahren Deutsch gelernt. „Als Journalistin kann ich hier aber erstmal nicht arbeiten. Dafür muss mein Deutsch noch besser werden. Das ist schade, denn ich habe meine Arbeit geliebt. Der Journalismus war mein Leben“, sagt sie und erhält ein zustimmendes Nicken von Anna Dobrianska.

Herausfordernde Arbeit als Journalistin in der Ukraine

Die 37-Jährige ist ebenfalls Journalistin und arbeitet nach wie vor in der Ukraine, in der Stadt Saporischschja – unter Bedingungen, die sich in Deutschland kaum ein Journalist vorstellen kann. Zurzeit ist Dobrianska zu Besuch bei ihrer Schwägerin und Nichte im Oberbergischen. In wenigen Tagen wird sie noch eine Freundin in Spanien besuchen, ehe es für die Mutter eines sechsjährigen Sohnes zurück in die Ukraine geht. Nach einem Jahr Aufenthalt in Oberberg hat sich Dobrianska vor einiger Zeit dazu entschieden, in ihre Heimat zurückzugehen. „Es gab viele verschiedene Faktoren, die das beeinflusst haben. Ich wollte nicht von meiner Familie und meinem Mann getrennt sein. Wir haben das gemeinsam entschieden“, sagt sie.

In Saporischschja, einem Gebiet 20 Kilometer von der Frontlinie entfernt, arbeitet Anna Dobrianska als Journalistin unter Luftalarm und in ständiger Gefahr, große Gebiete sind dort von russischen Soldaten besetzt. „Zurzeit kommuniziere ich mit vielen Menschen, die in Orten leben, die zerstört wurden. Ich mache Reportagen für ein Internetressort über den Wiederaufbau. Aber ich mache auch retrospektive Berichte – also, wie es dort mal aussah, wie es nun aussieht und wie es in Zukunft wieder aussehen soll“, erklärt sie. Möchte sie in Kriegsgebieten Reportagen machen, braucht die Journalistin dafür vorab eine Erlaubnis. Denn: „Über unsere Armee sollen wir möglichst nichts zeigen.“

Krieg: Viele emotionale Gespräche mit Ukrainern aus zerstörten Dörfern

Für ihre Reportagen führt Dobrianska viele emotionale Gespräche, die sie auch selbst bewegen. „Erst kürzlich habe ich beispielsweise mit dem Direktor einer völlig zerstörten Schule gesprochen. Ich konnte den Schmerz in seinen Augen sehen, als er von seiner Arbeit erzählt hat. Das war sein ganzes Leben und nun ist alles weg“, berichtet die junge Frau. Auch über eine Schule, die jetzt unter der Erde entsteht und Schülern wieder Offline-Lernen und soziale Kontakte ermöglichen soll, habe sie schon berichtet. Viele ukrainische Journalisten erhalten außerdem Unterstützung durch europäische Förderprogramme.

Es können jederzeit russische Spione mitlesen. Das hat den Journalismus in der Ukraine verändert. Und auch als Leser muss man Nachrichten nun viel genauer auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen.
Alla Yesena, Journalistin aus Odessa in der Ukraine

Trotz der vielen Zerstörungen erlebe sie aber vor allem Optimismus. Das gebe auch ihr selbst den Mut und die Kraft, weiterhin zu berichten. „Es ist wichtig, zu erzählen und zu zeigen, wie es in der Ukraine aussieht. Das wollen die Leute wissen.“ Nicht alle Nachrichten dürfen jedoch nach außen dringen. „Es können jederzeit russische Spione mitlesen. Das hat den Journalismus in der Ukraine verändert. Und auch als Leser muss man Nachrichten nun viel genauer auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen“, berichtet Alla Yesena. Ihr helfe es, dass sie durch ihre Arbeit viele Journalisten in der Ukraine kenne, deren Nachrichten sie einfacher einordnen kann. „Und natürlich lese ich auch russische Nachrichten und vergleiche sie mit unseren eigenen. Das ist wichtig.“

In die Ukraine zurückkehren möchte Alla Yesena erst, wenn der Krieg vorbei ist: „Ich möchte nicht, dass mein Sohn im Krieg aufwächst.“ In Oberberg engagiert sie sich in der humanitären Hilfe, ist Ansprechperson und Übersetzerin für Geflüchtete aus der Ukraine und bringt, gemeinsam mit der Caritas, Hilfen auf den Weg in ihre Heimat.

Sie und Anna Dobrianska hoffen, dass die Ukraine den Krieg bald gewinnt. „Ich bewundere, wie unsere Leute für ihre Heimat kämpfen“, sagt Yesena. Und Dobrianska ergänzt: „Es ist wichtig, dass die Menschen an die Ukraine glauben. Allein dafür werde ich weiterhin, auch über positive Dinge, im Krieg berichten. Damit sie den Mut nicht verlieren.“