AboAbonnieren

Ukraine-KriegUnterwegs nach Charkiw – NRW-Hilfe für die „Superhelden“

Lesezeit 4 Minuten
kharkiv_1

Zerstörtes Militärfahrzeug in Charkiw.

  1. Charkiw, die zweitgrößte ukrainische Stadt im Osten des Landes, steht seit Anfang März unter Beschuss russischer Truppen.
  2. Der Arzt Vitaly Prascel hat das Klinikum in Charkiw seit Kriegsbeginn nicht mehr verlassen und behandelt Verwundete im Dauereinsatz.
  3. Jetzt hat er sich mit der dringenden Bitte um Medikamenten-Nachschub an einen Gummersbacher Studienfreund gewandt.

Gummersbach – Es ist eine waghalsige Fahrt: Aus dem Oberbergischen Kreis östlich von Köln ist derzeit ein Transport auf dem Weg in das 2400 Kilometer entfernte Charkiw im Nordosten der Ukraine. Dass ein Fahrer das Wagnis auf sich nimmt, ist das Ergebnis eines ganz konkreten Hilferufs eine Arztes aus der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Und die Fahrt ist nicht ohne Aussicht auf Erfolg, denn es ist bereits die zweite Tour dieser Art.

Die Bitte aus der im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stark zerstörten Stadt hatte vor einigen Tagen einen Mitarbeiter des Kreiskrankenhauses Gummersbach erreicht – und löste eine Unterstützungswelle aus.

kharkiv hospital

Behandlung eines Jungen in einem Krankenhaus in Charkiw.

Einwohner Charkiws unter ständigem Beschuss

Charkiw ist bereits seit knapp zwei Wochen immer wieder von russischer Seite angegriffen worden. Die Einwohner sind ständigem Beschuss teils mit Grad-Raketenwerfern und Bombardements aus der Luft ausgesetzt. Nach russischen Angaben werden nur militärische Ziele angegriffen, doch werden laut Deutscher Presse-Agentur täglich zivile Opfer und die Zerstörung von Wohnhäusern gemeldet.

Aus Charkiw werden Tote und Verletzte gemeldet, viele Menschen versuchen, die Stadt zu verlassen. Der ukrainische Generalstab rechnete am Montag (14. März) mit weiteren Angriffen auf die Stadt.

kharkiv

Zerstörtes Wohnhaus in Charkiw, aufgenommen am 13. März.

Unter diesen Umständen ist besonders die medizinische Versorgung schwer aufrecht zu erhalten, auch was den Nachschub an Betäubungsmitteln, Antibiotika und Schmerzmedikamenten betrifft.

Bitte um Medikamente für das Krankenhaus in Charkiw

Dr. Vitaliy Prascel, Chefarzt der Gefäßchirurgie im Krankenhaus Charkiw, arbeitet seit Ausbruch des Krieges praktisch rund um die Uhr und wandte sich mit der Bitte um Schmerzmittel, Anästhetika und Antibiotika an Igor Prudkov, der in Gummersbach in der Klinik für Allgemein- und Gerontopsychiatrie arbeitet.

Die ehemaligen Kommilitonen telefonierten vor einigen Tagen.

kharkiv_2

Straßenszene in Charkiw am 12. März.

Für den Psychiater Igor Prudkov vom Gummersbacher Kreiskrankenhaus war es überhaupt keine Frage, ob er helfen würde, als sein Studienfreund aus Charkiw ihn bat, Medikamente zu schicken.

Die Klinik in Charkiw seit Kriegsausbruch nicht mehr verlassen

Prudkov berichtet: „Vitaly Prascel hat die Klinik seit Kriegsausbruch nicht mehr verlassen. Er schläft ein paar Stunden und operiert dann unter widrigsten Umständen wieder, um Frakturen und Gefäßverletzungen zu behandeln.“ Dr. Prascel selbst sieht sein Engagement als selbstverständlich an. Er sagt: „Sie sollten die Verwundeten sehen. Sie sind die Superhelden.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Aus der Bitte, Medikamente zu schicken, ist inzwischen eine Hilfsaktion geworden, die überwältigenden Zuspruch erfährt.

Ein Fahrer machte sich Anfang mit einem Transporter trotz der aktuellen Lage in Charkiw auf den Weg dorthin, um die erste von bisher drei geplanten Hilfslieferungen in das Krankenhaus vor Ort bringen.

Gefäßprothesen in die Ukraine geschickt

Neben wichtigen Medikamenten, wie Schmerzmitteln, Anästhetika und Antibiotika hat er auch so genannte Gefäßprothesen an Bord. „Das stand unter anderem auf der Liste, die Dr. Vitaliy Prascel uns geschickt hat“, berichtet Angela Altz vom Klinikum Oberberg.

Die erste kleinere Lieferung im Wert von 1000 Euro, die über die Griechisch-Ukrainische Kirchengemeinde Düsseldorf organisiert wurde, ist bereits sicher im umkämpften Gebiet gelandet.

Rotary-Club und Lions Oberberg helfen ebenfalls

Die Hilfsbereitschaft in Richtung der Ukraine ist groß, vielfältig und oft unbürokratisch von Mensch zu Mensch: Nicht nur die Belegschaft des Klinikums Oberberg, sondern auch der Förderverein der Gummersbacher Rotary-Clubs und des Lions Club in Oberberg sowie viele weitere Oberbergerinnen und Oberberger unterstützen die Hilfe für das Krankenhaus in Charkiw.

20220314_Apotheker Lars Lemmer übergibt Hilfsgüter an Igor Prudkov

Lars Lemmer, Chefapotheker im Klinikum Oberberg, überreicht Psychiater Igor Prudkov einen Teil der medizinischen Hilfsgüter.

Mittlerweile sind bereits 60.000 Euro auf dem Spendenkonto eingegangen, darunter rund 23.000 von den Mitarbeitern, 10.000 vom Förderverein des Gummersbacher Rotary-Clubs und 5000 vom Lions Club Oberberg. Angela Altz vom Klinikum Oberberg ist überwältigt: „Außerdem sind in den letzten Tagen und Stunden noch zig weitere Privatspenden eingegangen.“

Sammelstelle der griechisch-ukrainischen Kirchengemeinde in Düsseldorf

Außerdem spendete Igor Prudkov gemeinsam mit Lars Lemmer, Chefapotheker des Klinikums, Medikamente im Wert von 1000 Euro, die die Mitarbeiter zur Verfügung stellten. Die griechisch-ukrainische Gemeinde in Düsseldorf hat diese Spenden in Transporten über Lwiw und direkt nach Charkiw mit vielen weiteren Hilfsgütern losgeschickt.

kharkiv_1

Zerstörtes Militärfahrzeug in Charkiw.

Sascha Klein, Geschäftsführer im Klinikum Oberberg, sichert zudem Unterstützung vor Ort in Gummersbach zu: „Derzeit laufen auf Bundes- und Landesebene die Abstimmungen für eine bundesweite Verteilung von Patientinnen und Patienten sowie für die finanzielle Absicherung dieser Hilfsangebote. Auch wir werden dann sicherlich Menschen aus der Ukraine versorgen.“