BauernprotesteLandwirt Stefan Hagen aus Linde klagt über niedrige Milchpreise
Linde – Stefan Hagen ist wütend auf die Politik. Und damit ist der Milchbauer aus Linde-Schümmerich nicht alleine. Grüne Kreuze auf den Feldern, Trecker-Konvois, seit Monaten machen Landwirte wieder vermehrt lautstark auf ihre Nöte aufmerksam. Oder vielmehr, sie versuchen es. Als Ende Januar Landwirte vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium in Berlin demonstrierten und, nach Hagens Worten, von der zuständigen Ministerin Julia Klöckner „arrogant stehengelassen wurden“, platzte ihm der Kragen und er schrieb einen Brandbrief an die Vertreter der örtlichen Politik. Überschrift: „Die Politik will die Bauern in Deutschland abschaffen“.
Der Milchpreis deckt die Kosten nicht
Bauern könnten von ihrem Ertrag schlicht und ergreifend nicht leben, beklagt der Landwirt. Und das gelte nicht nur für Milchbauern, sondern gleichsam für alle spezialisierten Sparten der Landwirtschaft.
Hagen erklärt, dass er für einen Liter Milch aktuell 32 Cent plus rund 3 Cent Subvention erhalte. Das European Milk Board, eine Erzeugergemeinschaft von Milchbauern, hat errechnet, dass die Herstellung eines Liters Milch den Erzeuger aber 46,69 Cent kostet – Stand Oktober 2020). Das bedeutet, Stefan Hagen bekommt 30 Prozent weniger für seine Milch, als er haben müsste um, wie er es nennt, Vollkosten deckend zu arbeiten.
So entsteht der Milchpreis
Beim Milchpreis unterscheidet man zwischen dem Erzeugerpreis, den Molkereien an Landwirte bezahlen, und dem Verbraucherpreis im Laden.
Der Erzeugerpreis wird in Euro-Cent pro Kilo berechnet.
Die Molkereien beliefern in der Regel die Zentrallager der großen Einzelhandelsketten. Grundlage sind Verträge, die zweimal jährlich neu verhandelt werden. Zuvor geben die Molkereien Angebote ab, sie konkurrieren also untereinander, und zwar auch auf internationaler Ebene. Die Vertragsabschlüsse entscheiden maßgeblich über den Erzeugerpreis.
Für die Preisentwicklung sind die Entwicklungen auf dem Weltmarkt und die Nachfrage der Verbraucher von großer Bedeutung. Hierzulande produzierte Milchprodukte werden nicht nur in Deutschland verkauft, deutscher Joghurt, Käse und Butter konkurrieren mit ausländischen Produkten.
Auch die EU-Agrarpolitik und die Welthandelsorganisation WTO beeinflussen die Preise. (Quelle: Milchindustrie-Verband)
Der Klimawandel verschärft die Lage. Bis vor drei Jahren produzierte Hagen auf seinem 67 Hektar großen Hof genug Futter für seine rund 100 Milchkühe und die 55 Kälber. Doch drei Jahre Dürre hätten ihn weiter ausgezehrt, ein Drittel der Futterproduktion fehlt, die er nachkaufen muss. 35 bis 40 Tonnen Futterstroh und 150 Tonnen Pressschnitzel. „Ich bekomme die Festkosten gedeckt, übrig bleibt nichts“, sagt er. „Irgendwann macht es keinen Sinn mehr.“
Stefan Hagen fordert, zusammen mit anderen Landwirten, die sich im Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) organisieren, einen Systemwechsel. Das Ziel: Weg von der Politik der Subventionen, die aus den Bauern hilflose Bittsteller mache, hin zu einer Marktstellung der Erzeuger auf Augenhöhe mit Molkereien und Einzelhandel. Weniger Milch produzieren und dafür angemessene Preise am Markt verhandeln. „Nicht auf Geschenke oder ein verändertes Marktverhalten der Marktpartner hoffen, sondern selbst Verantwortung für den Markt übernehmen können – das ist der Kernpunkt positiver Veränderungen“, so steht es in einem Positionspapier der Teilnehmer am „Milchdialog“, das unter anderem getragen wird vom BDM und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Mächtige Lobby-Interessen
Diesem Ziel stehen, so sieht es Stefan Hagen, mächtige Lobby-Interessen entgegen. Der Einzelhandel will billige Milch, weil er an der Kasse um Marktanteile kämpft, die Milchindustrie will billige Milch, weil sie ins Ausland exportieren will. Vor beiden Interessengruppen knicke die Politik regelmäßig ein, so Hagens Vorwurf. In seinem Brandbrief spricht er gar vom Eindruck „gekaufter Politik“.
Das sagen Kreislandwirt und die Kammer
„Im Großen und Ganzen hat Stefan Hagen mit der Beschreibung der wirtschaftlichen Situation auf den meisten Betrieben Recht“, sagt Kreislandwirt Bernd Schnippering aus Wipperfürth.
Es gebe immer neue Auflagen für Tierwohl und Umwelt, ohne finanziellen Ausgleich. Seit mehr als 30 Jahren gebe es auf der Erlösseite keinen Inflationsausgleich, dagegen eine Kostenexplosion bei Maschinen und Gebäuden. „Das ganze System kann so nicht funktionieren“, so Schnippering.
„Wir haben die höchsten Standards und die schlechtesten Preise in Deutschland. Wenn die Politik weiter wegschaut, verschwinden nicht nur viele landwirtschaftliche Betriebe, auch die schöne Kulturlandschaft wird sich negativ weiterentwickeln.“
Die Landwirtschaftskammer Lindlar wollte zu diesem Thema keine Stellungnahme abgeben. „Das ist ein hochpolitisches Thema und in Politik mischen wir uns nicht ein“, so ein Vertreter der Kammer auf Anfrage unserer Zeitung. (ldi)
Was eine Reduzierung von Produktionsmengen den Erzeugern bringen kann, zeigt in Hagens Augen Aktionen in den Jahren 2009 bis 2012. Damals hatten Milchbauern ihre eigenen Produkte weggeschüttet und bewusst Regale im Einzelhandel leergekauft. „Von heute auf morgen stieg damals der Milchpreis um 10 Prozent“, so Hagen. Dazu kämen in Deutschland ständig steigende Umweltauflagen.
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Für Stefan Hagen steht fest: „Ändert sich nichts am Status quo, sterben Betriebe weg, dann verliert Deutschland seine Ernährungssouveränität. Auf den Wiesen stehen nur noch die Reitpferde der Reichen, das Essen kommt vom Amazonas, aus China oder vom Nil.“