Drogensüchtige Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland kommen zum Entzug und zur Therapie in die Klinik Marienheide. Chefärztin Thayalini Boll erklärt, warum sie eine Freigabe von Cannabis strikt ablehnt.
Drogensucht und die FolgenChefärztin in Marienheide warnt vor Freigabe von Cannabis
Drogensucht und hier vor allem Cannabismissbrauch und dessen Folgen sind eines der Hauptarbeitsfelder von Thayalni Boll. Die 44-Jährige ist seit 1. April neue Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Klinik in Marienheide. Drogensüchtige Kinder und Jugendliche kommen aus ganz Deutschland auf die Suchtstation nach Oberberg und durchlaufen dort zunächst eine sechs- bis achtwöchige Entgiftung.
Die aktuelle Entwicklung macht der Chefärztin große Sorgen. Marienheide arbeitet bei der Therapie von Suchtkranken mit der Sucht-Rehabilitationsabteilung der LWL-Universitätsklinik in Hamm zusammen. Doch die soll Ende 2023 aus Kostengründen geschlossen werden. „Die Rückfallgefahr wird dadurch größer“, befürchtet Boll. Und das bei Klienten, die oft schon Schlimmes durchgemacht hat, die etwa in die Prostitution abgerutscht sind, um sich ihre Sucht zu finanzieren.
Laut einem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll der Kauf und Besitz von maximal 25 Gramm Cannabis ab einem Alter von 21 Jahren künftig straffrei sein. Auch der Eigenanbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen soll erlaubt werden.
„Wir Kinder- und Jugendpsychiater raten dringend davon ab“, sagt Thayalini Boll. Etwaige Legalisierungsbestrebungen dürfe man nicht auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen austragen. „Mit der Legalisierung gefährden wir das Wohl unserer Kinder“, so Boll. Der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und psychischen Störungen sei gut belegt.
Klinikgelände in Marienheide bietet viele Therapiemöglichkeiten
Thayalini Boll wurde 1979 in Sri Lanka geboren und kam 1984 mit ihren Eltern nach Deutschland. Nach dem Abitur und einer Ausbildung zur Kinderkrankenschwester studierte sie Medizin und war zuletzt als Oberärztin in Viersen und in einer Privatklinik tätig.
Das weitläufige Gelände des „Zentrums für seelische Gesundheit“ inmitten einer grünen Parklandschaft erinnert auf den ersten Blick eher an ein Ferienressort als an ein Krankenhaus. Die Psychiaterin freut sich über das großzügige Areal und die vielen Möglichkeiten, die das Gelände bietet. „Wir können viele Outdoor-Sportarten anbieten, wie Volleyball und Minigolf“, sagt die 44-Jährige. Sport sei ein gutes Ventil für viele der Klienten.
Auch Tiere werden in Marienheide zu Therapiezwecken eingesetzt
Außerdem werden auf dem Gelände auch Esel, Schafe und Ziegen gehalten, die in der tiergestützten Therapie zum Einsatz kommen. „Durch die Arbeit mit Tieren öffnen sich manche Kinder, die sonst sehr verschlossen sind — wie etwa Autisten“, erklärt Boll.
Auch bei Traumapatienten und Mobbingopfern und bei Mutismus — das sind Kinder und Jugendliche, die auch auf Ansprache nicht mehr reden — seien Tiere in der Therapie hilfreich. Daneben beschäftigen sich Boll und ihr Team mit einer Vielzahl von Krankheitsbildern, es reicht von affektiven Störungen und Depressionen über Essstörungen und Angsterkrankungen bis Schulvermeidung und akuten Psychosen.
Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, der damit verbundenen Schulschließungen und Isolation bekommt auch die Kinder- und Jugendpsychiatrie zu spüren. „Die Pandemie hat wie ein Katalysator gewirkt“, erklärt Noll, affektive Störungen wie Zwangsstörungen, Essstörungen und Spielsucht hätten deutlich zugenommen. Mehr Aufklärung sei hier ganz wichtig. Die neue Chefärztin will deshalb künftig stärker mit Schulen zusammenarbeiten und dort Vorträge für die Lehrkräfte halten.
71 Kinder und Jugendliche wurden 2022 auf der Suchtstation in Marienheide behandelt, 2023 waren es bis jetzt 58 (Stand 20. September). In 90 Prozent der Fälle liegt Cannabis-Missbrauch vor, der jüngste Patient im Entzug war 13 Jahre alt. Viele Betroffene berichten von Cannabis als ihrer Einstiegsdroge.