Der Nümbrechter sitzt in der Grimme-Preis-Jury. Am Donnerstag, 6. März, werden die Preisträger bekanntgegeben.
InterviewProf. Michael Schwertel aus Nümbrecht ist Pionier im Bereich Künstliche Intelligenz

Der Nümbrechter sitzt in der Grimme-Preis-Jury. Heute werden die Preisträger bekanntgegeben.
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Heute werden die Gewinner des Grimme-Preises bekanntgegeben. Wer geehrt wird, hat der Nümbrechter Michael Schwertel mitentschieden. Der Professor für Medienmanagement sprach im Interview mit Torsten Sülzer über seine Aufgabe in der Jury und darüber, was die Gesellschaft noch von Künstlicher Intelligenz zu erwarten hat.
Herr Professor Schwertel, Sie gehörten wie letztes Jahr wieder der Grimme-Preis-Jury im Bereich Kinder und Jugend an. Wie war’s?
Michael Schwertel: Es war wieder ein tolles Erlebnis, sich mit anderen Expertinnen und Experten auszutauschen und Produktionen aus verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren. Der direkte Austausch mit den Nominierten ist ein Privileg und hilft uns, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Welche Perspektive nehmen Sie in der Jury ein? Die des Trickfilmproduzenten?
Ich beschäftige mich seit meiner Kindheit mit Trickfilm und erzählerischen Formaten für Kinder und Jugendliche und habe mich auch beim Grimme-Online-Award immer stark gemacht für die Perspektive der Kinder. Oft wird einfach behauptet: „Das ist bunt, das ist für Kinder.“ Aber dem ist nicht so. Es gibt viele anspruchsvolle Dinge, die man für Kinder machen kann. Storytelling – ob nun für Kinder oder Erwachsene – ist immer sehr, sehr wichtig. Die Grimme-Jurys haben ein sehr gutes Gespür für Innovationen, für neue Sichtweisen, die eine Blaupause für die Zukunft sein können. Darum geht es ja auch bei so einem Preis. Nicht nur das, was man vor 20 Jahren schon mal gemacht hat, in exzellent produzieren, sondern neue Wege suche.
Wie war denn in diesem Jahr die Qualität der nominierten Filme? Können Sie nach Sichtung aller Beiträge sagen, welchen Kinder- und Jugend-Formaten die Zukunft gehört?
Die nominierten Beiträge waren auf einem sehr hohen Niveau und es war für uns sehr anspruchsvoll, ausgezeichnete Angebote gegeneinander abzuwägen und zu sagen: Wer liegt eine Nasenlänge vorne? Deshalb lohnt es sich, nicht nur die Preisträger, sondern auch die Nominierten anzusehen – viele dieser Produktionen setzen wichtige Impulse für die Zukunft. Die Medienlandschaft entwickelt sich rasant – aber Formate, die authentische Kinder- und Jugendperspektiven einfangen und journalistische Qualität bieten, haben klar eine Zukunft.
Sie haben kürzlich für den Deutschen Drehbuchverband eine Keynote gehalten, mit der Kernfrage: Wie verändert Künstliche Intelligenz, also KI, das Storytelling? Welche Rolle spielt KI denn in der Branche?
Viele unterschätzen KI. Ich bin viel mit Produktionsfirmen und mit Autoren im Austausch. Einige glauben, dass man mit ChatGPT auf Knopfdruck ein fertiges Drehbuch bekommt – doch so einfach ist es nicht. Gleichzeitig unterschätzen viele das Potenzial der KI als kreatives Werkzeug. Die Wahrheit liegt – noch – irgendwo in der Mitte. Es kommt darauf an, KI gezielt in kreative Prozesse zu integrieren und strategisch zu nutzen. Mit der KI-Möglichkeit kann ich auf das Wissen von zum Beispiel 20 Experten zurückgreifen. Aber damit ist die Arbeit ja noch nicht getan, das muss man verstehen. Man braucht Führungsqualitäten, man braucht ein Problembewusstsein für die Frage: Was möchte ich jetzt konkret gelöst haben? Sonst bleibt KI ein Werkzeug ohne Richtung.
Wie kann KI denn konkret beim Entwickeln der Dramaturgie eines Drehbuches helfen?
Da gibt es unzählige Möglichkeiten. Ich kann mein Handy, auf dem Chat GPT 4 läuft, mit der Kamerafunktion auf ein Stativ stellen, habe meine Pinnwand mit meiner Figurenkonstellation für eine Szene, und frage per Spracheingabe im Dialog: Wie kann ich denn den dritten Akt auflösen? Aber da gibt es auch Gefahren: Chat GPT 4 kann sich alles merken. Das bedeutet, die Daten sind gespeichert, die kann OpenAI auch nach vermutlich fünf Stunden noch abrufen. Oder in fünf Tagen, oder fünf Jahre damit trainieren.
Das heißt: Wir müssen uns darüber im Klaren sein, was wir von der KI wollen, dass wir sie nutzen, um einen Vorteil zu generieren. Aber auch, welches System – in diesem Fall Open AI – wir mit unseren Daten füttern. Datenhoheit ist ein zentrales Thema. Es ist wichtig, dass wir bewusst mit unseren Informationen umgehen und wissen, welche Systeme wir nutzen. DeepSeek könnte unsere Daten aufarbeiten und einschätzen, was wir für Typen sind. Das heißt, die chinesische Regierung könnte über jeden Bürger Dinge speichern. Diese Diskussion gibt es längst bei Plattformen wie Tiktok – es ist also keine neue Herausforderung, sondern eine, die dringend gelöst werden muss.
Was also tun?
Ich finde es gut, dass NRW gesagt hat, dass sie massiv Energie in KI reinstecken wollen, um KI-Führungsland in Europa zum Beispiel mit Quantencomputern zu werden. Und Europa will 200 Milliarden ausgeben, damit KI als Kernbereich gefördert wird. Wir brauchen das, um unsere eigene Kultur in der KI wiederzufinden. Wir können nicht nur, wenn wir es für Drehbücher benutzen würden, die Geschichten von Chinesen und Amerikanern erzählen. Wir brauchen unsere eigenen Geschichten, die zum Teil mit der KI gefüttert sind, um unsere neuen Geschichten und auch unsere Wirtschaft neu schreiben zu können. Da müssen wir Teil von sein und wir dürfen da unsere Daten nicht einfach so weggeben.
Sie hatten an anderer Stelle von einer KI berichtet, die anhand von Stimmproben erkennt, ob man Kehlkopfkrebs hat. Wenn Sie mich fragen: Unfassbar. Wohin geht da die Reise?
Ja, das gibt es bereits. Es gab auch eine andere Firma, die hat das mit Corona gemacht. Da konnte man über einen Telefonanruf feststellen, ob man Corona hat oder nicht. Da gibt es unheimlich große Innovationssprünge. Ein anderes Beispiel: Ich rufe als Kunde an, spreche mit einer KI und die hört aus meiner Stimme heraus, wie interessiert ich an einem Produkt bin. Die KI kann uns dann natürlich beim Verkaufsgespräch entsprechend um den Finger wickeln.
Also: KI – Fluch oder Segen?
Ich glaube schon, dass es grundlegend eine positive Entwicklung ist und dass es den Menschen hilft, sich besser weiterzubilden, sich auf wertvolle Arbeit zu konzentrieren und nicht auf die, die sich immer wiederholt. Aber wir können noch nicht davon ausgehen, dass das auf Knopfdruck geht. Ich muss mich schnell gegenüber der KI in eine Führungsposition versetzen, damit ich das richtig nutzen kann. Jede Führungskraft muss nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken der KI verstehen, um sie verantwortungsvoll zu nutzen.
Deswegen muss ich für mich ein Wissen generieren und eine Haltung haben, damit ich positive Effekte bekomme. Das gehört zu der Verantwortung dazu. Wenn das ein mächtiges Werkzeug ist, dann brauche ich auch die Verantwortung und das Verständnis, wie man es richtig bedient. So ist es immer mit Innovationen gewesen. Es war immer klar, dass das Automobil schlimme Unfälle produzieren wird. Autounfälle auf der Autobahn sind furchtbar. Aber wir nehmen sie in Kauf, weil wir wissen, die Vorteile überwiegen.
Zur Person
Prof. Michael Schwertel (51) gehörte in diesem Jahr wieder der Jury an, die in der Kategorie Kinder und Jugend die Preisträger des Grimme-Preises bestimmte. Die Gewinner werden am heutigen Donnerstag bekanntgegeben.
Der Nümbrechter ist Professor für Medienmanagement an der CBS International Business School (früher Cologne Business School), Medien- und Trickfilmproduzent und Pionier im Bereich Künstliche Intelligenz, zu der er Fachvorträge hält und Workshops anbietet. Er arbeitet an der Schnittstelle von Kreativität und technischem Fortschritt. Er ist zudem gewähltes Mitglied im Wahlbereich Medien- und Werbewirtschaft der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer zu Köln.