Mit AbstandEhemalige Oberberger Verantwortliche über den Umgang mit der Pandemie
Oberberg – „Mit Abstand“ ist nicht nur ein Stichwort für allgemeinen Verhaltensregeln. Mit Abstand sehen auch manche, die in Oberberg früher Verantwortung getragen haben, was ihre Nachfolger in der Corona-Pandemie bewältigen müssen. Monika Siegfried-Hagenow hat mit einigen gesprochen, die alle außer Dienst sind.
Sozialdezernent a.D.: Erinnerungen an Tschernobyl
„Ich bin froh, dass ich nicht mehr die Verantwortung trage“, sagt Dr. Jorg Nürmberger. Daraus macht der frühere Leiter des Gesundheitsamts und Sozialdezernent der Kreisverwaltung gar keinen Hehl. „So eine pandemische Situation hat es noch nicht gegeben.“ Deshalb hat sich der Pensionär schon im Frühjahr 2020 spontan im Gesundheitsamt zum Telefondienst gemeldet, um zu helfen. „Da mussten gerade all die Ischgl-Heimkehrer in Quarantäne geschickt werden. Mir wurde sehr schnell klar: Das ist jetzt eine Situation, mit der wir nicht allein klarkommen.“
Dabei gab es auch während seiner Dienstzeit durchaus Herausforderungen. „Im Jahr 1986 war ich gerade seit ein paar Monaten Leiter des Gesundheitsamtes, als der Nuklearunfall in Tschernobyl passierte. Darauf waren wir überhaupt nicht vorbereitet. Es gab noch nicht die Katastrophen- und Einsatzpläne, die wir dann später entwickelt haben.“ Verunsicherte Menschen bestürmten das Gesundheitsamt mit Anrufen: Durfte man das Gemüse aus dem Garten noch essen? Wie konnte man es entsorgen? Durfte man auf den Ascheplätzen noch Sport treiben?
Damals war der heute 69-jährige Nürmberger der jüngste Amtsarzt Deutschlands. Was ihm geholfen hat, die Situation zu bewältigen? „Ich war gut vernetzt auf fachlicher Ebene, wir bekamen auch Unterstützung vom Land. Der Austausch, auch mit anderen Amtsärzten, war das Wichtigste. Das habe ich auch immer beibehalten.“ Auch, als er 2014 und 2015, kurz vor dem Ruhestand, als Sozialdezernent dafür verantwortlich war, eine große Zahl von Flüchtlingen in Notunterkünften unterzubringen. „Eine aufregende Zeit, aber wir waren inzwischen besser aufgestellt. Es gab einen funktionierenden Krisenstab, und wir haben begonnen, ämterübergreifend zu arbeiten.“
Erfahrungen, die sich auch heute bewähren. Nein, er beneidet weder die Leiterin des Gesundheitsamtes Kaija Elvermann, die die hohen Fallzahlen bewältigen muss, noch Sozialdezernent Ralf Schmallenbach, der die Erwartungen der Bevölkerung und die Beschaffung des Impfstoffs koordinieren muss. Aber er hilft: Seit Beginn der Corona-Krise entlastet er die Kollegen im Gesundheitsamt, indem er einen Tag in der Woche amtsärztliche Sprechstunde hält. „Es gibt ja außer Corona die ganz normalen Aufgaben wie etwa die Einschulungsuntersuchungen “, sagt er. Auch für das Impfzentrum in Gummersbach hat er sich gemeldet.
Dabei wollte er sich im Ruhestand eigentlich nur noch als Mitarbeiter um die Johannes-Hospiz-Stiftung kümmern. „Zum Glück ist da das Spendenaufkommen bisher nicht geringer als bisher, auch wenn leider die Öffentlichkeitsarbeit zum Teil sehr eingeschränkt ist und zum Beispiel alle Infoveranstaltungen ausfallen müssen.“
Museumsdirektorin a.D.: Die Krise als Chance für innovative Ideen
Herausforderungen angesichts geschlossener Museen, des Lockdowns der Kultur, der gerade gilt? „Wenn man Verantwortung trägt, dann für alle Situationen, ob leicht oder schwierig. Man muss sich neue Wege überlegen und kann nicht darauf hoffen, dass dieser Kelch an einem vorüber geht“, sagt Dr. Gudrun Sievers-Flägel.“ Bis 2019 war sie Museumsdirektorin von Schloss Homburg. „Da muss man kämpfen und als Führungskraft Ideen entwickeln, um das Haus weiter zu bringen.“
Kämpfen musste sie auch – insgesamt 20 Jahre lang – für ihr „Baby“, den Neubau am Schloss, der 2014 eingeweiht wurde und für den Wandel des Heimatmuseums in ein multifunktionales Begegnungszentrum. Kämpfen um die Finanzierung, um Genehmigungen. Es gab Bürgerproteste, auch persönliche Anfeindungen. „Krisenzeiten sind ein Ansporn und eine Chance, innovative Ideen zu entwickeln“, sagt die 69-Jährige rückblickend. Das sei in der Kultur ähnlich wie in der Industrie: „Wenn ein Artikel nicht mehr geht, muss man neue Möglichkeiten suchen.“ Das bringe eine Gesellschaft voran. Manche Entwicklungen seien gerade beschleunigt, und die Aufgabe von Kultur sei es, da Vorreiter zu sein. „Das Salz in der Suppe! Und damit meine ich nicht nur die Digitalisierung.“
Seit sie im Ruhestand ist, leitet sie in Köln einen Serviceclub für innovative Ideen im kulturellen Bereich. Nein, da möchte sie nicht zu viel verraten. Aber Streaming zum Beispiel biete da eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten.
BWO-Geschäftsführer A.D.: Lieber Ruhestand und Marathonlauf
„Im Herzen bin ich immer in der Einrichtung“, sagt Dietmar Groß. „Nach so vielen Jahren kann ich nicht sagen: ,Ich habe mit allem nichts mehr zu tun.’“ 44 Jahre lang arbeitete er für die BWO, die Behinderten-Werkstätten Oberberg GmbH . Zuerst war Groß dort als Zivildienstleistender, dann als Mitarbeiter, später 21 Jahre lang als hauptamtlicher Geschäftsführer, bis er 2018 in den Ruhestand ging. 35 Mitarbeiter gab es, als er begann, über 1200 bei seinem Abschied.
„Ich möchte nicht in der Haut meines Nachfolgers Jens Kämper stecken“, bekennt er angesichts der aktuellen Pandemie. Sicher, auch er blicke nicht nur auf eitel Sonnenschein zurück: auf Verhandlungen mit Kostenträgern, auf Gespräche mit 80-jährigen Eltern, die ihr 50 Jahre altes behindertes Kind nicht loslassen konnten, auf Schicksalsschläge. Da brauchte er manchmal langen Atem und Beharrlichkeit.
Aber jetzt? Diese hohe personelle Verantwortung, extreme Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen, der Aufwand mit Plexiglas-Trennwänden, stornierte Aufträge der Industrie und dann auch noch die Sorge, ob die Kostenträger mitspielen. Nein, da wünscht sich Groß, der sich im Ruhestand seiner Familie und dem Marathonlauf widmet, nicht zurück in die Verantwortung. Stattdessen wünscht er seinem Nachfolger lieber viel Kraft, die aktuellen Probleme zu bewältigen.
Landrat A.D.: Früher war es normales Geschäft
Schlaflose Nächte kennt auch Hagen Jobi, bis zum Jahr 2015 Landrat des Oberbergischen Kreises. Und die vermutet er auch bei seinem Nachfolger Jochen Hagt, damals sein Kreisdirektor. Die Fusion der Krankenhäuser, Metabolon, Schloss Homburg – konfliktfrei war auch Jobis Amtszeit nicht. „Aber das war ganz normales Geschäft für den Chef einer großen Verwaltung und nicht so eine Riesenaufgabe.“ Da guckt er „mit Interesse“, wie der Nachfolger sich so schlägt – und gibt sich „ganz zufrieden“.
Was sich geändert hat? „Heute“, sagt Jobi, „steht man in dieser Position viel mehr im ständigen Fokus der Medien. Alles ist viel schneller geworden.“ Zu seiner Zeit habe der Kreis gerade erst begonnen, über einen Facebook-Auftritt nachzudenken. Heute müsse man auf vielen Kanälen ständig am Ball bleiben. Aber: „Wenn man das Amt annimmt, dann muss man die Dinge schultern.“
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Als Vorsitzender des Kreissportbundes, der heute ist, macht sich Jobi Sorgen über die Auswirkungen der Pandemie auf die 378 Sportvereine Oberbergs mit mehr als 80 000 Mitgliedern. „Sie brauchen einen langen Atem, und es wird wohl bei einigen zu einem Aderlass kommen.“ Deshalb macht er sich Gedanken über Förderprogramme, wenn es wieder losgeht. „Da müssen wir uns mit allen Beteiligten zusammensetzen.“