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Öffentlicher NahverkehrOberbergs Kreistagsmehrheit bläst zur Aufholjagd für die Ovag

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Ein halbes Dutzend Anträge sollen das kommunale Busunternehmen Ovag aus dem Winterschlaf holen.

Oberberg – Mit ungewohnter Offenheit hat die Kreistagsmehrheit von CDU und FDP/FWO/DU eine Wende in der oberbergischen Verkehrspolitik eingeleitet. Ein halbes Dutzend Anträge sollen das kommunale Busunternehmen Ovag aus dem Winterschlaf holen, wie es Prof. Dr. Friedrich Wilke (FDP) formuliert. Der müsste wissen, wie tief der Schlaf war, schließlich war er in seiner langen akademischen Karriere auch eine Zeit lang am Institut für Verkehrswissenschaft an der Uni Münster tätig.

Selbst Planungsdezernent Frank Herhaus bekannte in einer für die Kreisverwaltung seltenen Offenheit, man hinke im ÖPNV zehn Jahre hinter. Wenn man nicht „wie in anderen Dingen auch“ weiter abgehängt werden wolle, sei es höchste Zeit etwas zu tun. Früher wurden Dezernenten für so etwas aufs Rad gebunden und gevierteilt – mindestens.

Zu der „Aufholjagd“ (Wilke) gehört, dass noch in diesem Jahr mit den Planungen für eine eigene Wasserstofftankstelle begonnen werden soll. Mit der TH Gummersbach habe man erste Gespräche über die Produktion von grünen Wasserstoff geführt, erklärte Volker Kranenberg (CDU), der auch Vorsitzender des Ovag-Aufsichtsrates ist.

Kreis soll sich Kooperation „Wasserstoffregion Rheinland H2R“ anschließen

Gleichzeitig soll die Fahrzeugflotte schrittweise auf Wasserstofftechnologie umgestellt werden. Parallel dazu soll sich der Kreis der Kooperation „Wasserstoffregion Rheinland H2R“ anschließen.

Moderne Planungs-, Steuerungs- und Kommunikationssystem sollen eingeführt, die elektronischen Fahrgasthinweise an den Haltestellen ausgebaut und das ÖPNV-Angebot insgesamt bedarfsgerechter angepasst werden, unter anderem durch eine Ausweitung des On-Demand-Angebots in Wiehl, also des Verkehrsangebots auf Abruf als Zubringerdienst zu den Ortszentren.

Fokus auf Wasserstofftechnologie

Die Fokussierung auf die Wasserstofftechnologie kommt nicht von ungefähr. Die EU verlangt deutlich schadstoffärmere Busflotten. „Alle machen gerade in Wasserstoff“, sagte Dezernent Herhaus, „wenn wir da einsteigen wollen, müssen wir jetzt einen Fuß in die Tür kriegen“.

Die Zeitenwende im ÖPNV wird nicht billig. Die Ovag gehört seit vielen Jahren zu den kommunalen Verkehrsunternehmen mit einem überdurchschnittlich hohen Kostendeckungsgrad von 90 Prozent und einem vergleichsweise niedrigen Zuschuss pro Fahrgast. Wilke: „Für die Sparpolitik waren uns die Kommunen und Kämmerer stets dankbar.“

Ovag soll zu modernen Mobilitätsunternehmen werden

Sie werden sich auf andere Zeiten einstellen müssen: „Nur wenn wir attraktiver werden, holen wir die Leute wieder in den Bus.“ Zwischen „einfach weiter so“ und alles, was möglich und begrüßenswert sei, werde man den Kurs des Kreises finanziell einpendeln, um die Ovag zu einem modernen Mobilitätsunternehmen zu machen, versicherte Wilke. Die ersten 1,75 Millionen Euro sollen dafür im neuen Doppel-Kreishaushalt 2021/2022 schon bereitgestellt werden.

Der Politik sind die Erkenntnisse in Strategieklausuren des Ovag-Aufsichtsrates und der Gesellschafterversammlung mit der neuen Geschäftsführerin Corinna Güllner nahegebracht worden. Sie hat „analysiert, was ich vorgefunden habe und mit anderen Unternehmen verglichen“, sagt sie. Ihr Fazit: Natürlich ist nicht alles schlecht, aber vieles kann besser werden. Die Ovag sei zu lange kostenfixiert und auf den Schülertransport konzentriert gewesen.

Ovag

Die Oberbergische Verkehrsgesellschaft mbH wird zu 50 Prozent vom Oberbergischen Kreis getragen und zu 26 Prozent von der Stadt Gummersbach. Die weiteren 24 Prozent verteilen sich auf Bergneustadt, Engelskirchen, Hückeswagen, Marienheide, Morsbach, Nümbrecht, Reichshof, Waldbröl, Wiehl und Wipperfürth.

Gemeinsam mit den Tochterunternehmen Verkehrsgesellschaft Bergisches Land (VBL) und „Der Radevormwalder“ betreibt die Ovag mit rund 185 eigenen und angemieteten Bussen über 50 Buslinien in Oberberg. Auf einer Länge von 1000 Kilometern werden mehr als 900 Haltestellen bedient.

16 Millionen Fahrgäste nutzen jährlich die Linien der Ovag. Sie erbringt zudem für viele Kommunen den Schülerspezialverkehr. (r)

Das Grundproblem jetzt: Das Unternehmen wird schon wegen der EU-Vorgaben deutlich mehr Geld brauchen. Aber wenn’s schon teurer wird, sollte auch eine bessere Leistung angeboten werden, sagt Güllner. Ideen hat sie reichlich: etwa Baustellenfahrpläne, bei denen die durch Staus verursachten Verspätungen eingeplant und bei den Anschlüssen zu anderen Linien oder der Bahn berücksichtigt werden.

Dass die Ovag samstagnachmittags ihren Betrieb ausdünnt, wenn doch alle Geschäfte noch bis spätabends aufhaben, sei nicht zeitgemäß. Ausflugsziele werden beworben, aber sind sonntags per Bus gar nicht zu erreichen usw. usw.

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Güllner will die Ovag wieder zu einem Standortfaktor für Bürger und Arbeitgeber machen. Dazu gehört auch der Zustand der 900 Haltestellen: „Manche sehen so aus, als sei 30 Jahre kein Bus vorbeigekommen.“ Die wenigsten seien beleuchtet, obwohl der Hauptgrund von Fahrgastbeschwerden der sei, „dass die Busfahrer die Leute in der Dunkelheit nicht sehen und vorbeifahren“.

Die Verbesserungen werden viel Geld kosten. Aber es scheint, dass die neue Ovag-Chefin die Politik hat überzeugen können, dass es höchste Zeit ist, dem kommunalen Busunternehmen eine Modernisierungskur zu verpassen. Der Anfang ist gemacht.