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Alles was Recht istRichter aus Marienheide über das Verhältnis von Politik und Recht

Lesezeit 8 Minuten

Oberberg – Das Verhältnis zwischen Politik und Recht war in den vergangenen Jahrzehnten vielleicht nie so spannend wie jetzt. Holger Maurer (61) kennt beide Seiten: als Kommunalpolitiker in der SPD-Fraktion in Marienheide und als Verwaltungsrichter in Köln. In unserer Gesprächsreihe „Alles was Recht ist“ sprach Frank Klemmer mit Maurer über Politik, Recht und den Umgang mit ihrem schwierigen Verhältnis.

Wie lange sind Sie schon Verwaltungsrichter?

Holger Maurer: Seit 1993.

Wie lange engagieren Sie sich schon in der Politik?

Noch nicht so lange. Wie lange ist das jetzt her? Zwölf bis 14 Jahre etwa, irgendwo in der Ecke herum. Ich bin zunächst nur Sachkundiger Bürger gewesen. Anke Vetter und der inzwischen verstorbene frühere Fraktionsvorsitzende Wilfried Fernholz hatten mich angesprochen. Und 2014 bin ich dann in den Rat gewählt worden.

Beißen sich Beruf und Engagement manchmal, Ihr Job als Richter und die Arbeit im Rat?

Es gibt natürlich bestimmte Vorgaben im Richtergesetz, die ich nicht außer Acht lassen darf. Ich bin verpflichtet zu politischer Zurückhaltung – auch außerhalb des Dienstes. Es gibt bestimmte Sachen, die ich nicht machen darf. Ich darf zum Beispiel nicht in der Verwaltung arbeiten, darf bestimmten Gremien nicht angehören. Und dann gibt es natürlich ab und zu Entscheidungen, die hier im Rat oder im Ausschuss zu treffen sind, die theoretisch mal vor mir als Richter landen könnten. Da beteilige ich mich dann vorsorglich gar nicht – weder an der Diskussion noch an der Abstimmung.

Ist das auch ein Thema im Gericht? Zum Beispiel bei der internen Geschäftsverteilung?

Ich glaube nicht, dass das in meinem Einzelfall relevant ist. Aber dadurch, dass wir einen relativ großen Gerichtssprengel haben, ist die „Gefahr“ auch relativ klein. Seit sechs oder sieben Jahren bin ich Vorsitzender Richter. In dieser Zeit habe ich nur ein oder zwei Fälle aus Marienheide gesehen, die sich zudem gegen Entscheidungen anderer Behörden richteten.

Sie haben aber andere hochpolitische Fälle gehabt, insbesondere die Entscheidungen zum Hambacher Forst. Da steht man dann ja auch als Richter im Fokus der politischen Auseinandersetzung. Hilft es da, politische Abläufe zu kennen? Oder wird man dadurch eher gehemmt?

Nein, gehemmt wird man nicht. Es hilft aber auch nicht, weil das Entscheidungen sind, die auf Landesebene getroffen werden. Zuständige Bergbehörde ist die Bezirksregierung Arnsberg. Das hat mit der normalen Kommunalpolitik nichts zu tun.

Im Verwaltungsrecht ist die Ermessensentscheidung einer Verwaltung vor Gericht oft nur schwer zu überprüfen. Täuscht der Eindruck, dass dadurch öfter Urteile in zweiter Instanz kassiert werden?

Das ist ein falscher Eindruck, glaube ich. Ermessen haben wir Richter ohnehin nicht, wir beurteilen nur seine richtige Ausübung. Um das zu überprüfen, gibt es bestimmte Vorgaben. Und der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Instanz ist sogar relativ klein. Ich kann zwar keine genauen Zahlen nennen, aber ich schätze, dass in den Materien, mit denen ich zu tun hatte, die weit überwiegende Anzahl der erstinstanzlichen Entscheidungen bestätigt wird.

Und wenn es in der ersten Instanz ein sehr komplexes Verfahren gibt und der Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung die Entscheidung des Gerichtes ist, dann kann sich bis zu dem Moment, in dem die zweite Instanz entscheidet, zum Beispiel ein bis zwei Jahre später, die Sachlage auch schon wieder geändert haben. Wenn dann ein anderes Ergebnis herauskommt, kann das auch mit diesem Zeitablauf zu tun haben. Im Hambach-Fall zum Beispiel ist das Klageverfahren bis heute noch in der zweiten Instanz anhängig.

Wie wirkt es sich aus in einem Fall wie diesem, als Richter unter so großer öffentlicher Beobachtung zu stehen? Ihr Gerichtssaal war doch sicher voll bei der Entscheidung . . .

(schmunzelt) Der war mehr als voll. Sagen wir es mal so: Jedes Verfahren wird gut vorbereitet. Aber normalerweise, wenn wir in Kammerbesetzung entscheiden – also mit fünf Richtern, davon drei Berufsrichter –, bereitet einer der Berufsrichter oder Berufsrichterinnen als sogenannter „Berichterstatter“ die Entscheidung vor. Bei den Hambach-Verfahren war es so, dass quasi alle drei Berufsrichter wochenlang wie ein Berichterstatter daran gearbeitet haben. Natürlich war uns bewusst, dass wir damit in der Öffentlichkeit stehen. Nicht nur vom Interesse, sondern auch vom Aufwand her war das bisher mein größtes Verfahren.

Haben Sie als Kommunalpolitiker ein anderes Verständnis für die aktuellen Corona-Einschränkungen als als Richter?

Soweit Einschränkungen unseres alltäglichen Lebens notwendig sind, um die Pandemie in den Griff zu bekommen und die Gesundheit und das Leben möglichst vieler Menschen zu schützen, besteht kein größerer Unterschied. Als Jurist beurteile ich aber sowohl die staatlichen Maßnahmen als auch die Gegenaktionen zusätzlich vor dem Hintergrund der auch in Krisenzeiten maßgeblichen Rechts- und Verfassungsordnung.

Insoweit müssen die für die rechtliche Überprüfung von Verordnungen und Allgemeinverfügungen zuständigen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte im Rahmen von angestrengten Gerichtsverfahren derzeit besonders viel Arbeit leisten.

Tauschen wir mal Gerichtssaal gegen Ratssaal: Wie sieht der Richter, der im Rat sitzt, auf die Abläufe dort? Wenn ich weiß, wann ich einen Bebauungsplan für rechtswidrig erkläre, wenn er im Gericht auf meinem Tisch landet, sehe ich doch auch anders drauf, oder?

Ich habe ja selbst sehr lange Jahre Baurecht als Richter bearbeitet und viele B-Pläne überprüfen müssen. Insofern gucke ich da natürlich anders drauf. Und ich kann nur sagen: Im Moment wird das in der Marienheider Verwaltung sehr fachkundig gemacht.

Wie ist das Verhältnis zur Verwaltung? Es ist ja schwierig genug gerade für kleinere Kommunen, Kompetenz vor Ort auszubilden, ohne sie dann wieder zu verlieren.

Das Problem, dass die Verwaltung Probleme hat, Nachwuchs zu bekommen, ist da – gerade bei Ingenieuren. Schlagen Sie nur mal Ihre eigene Zeitung auf: Selbst der Kreis und die Nachbarkreise suchen händeringend sachkundige Mitarbeiter in diesem und in anderen Bereichen. Das ist nicht so einfach.

Steht man da als Fachmann in der Sache auch mal mit Rat und Tat zur Seite? Und wird das angenommen?

Ja, eindeutig. Die Mitarbeiter bei uns in Marienheide sind dafür sehr offen – egal mit wem man spricht. Im Einzelfall können sie auch dagegenhalten – und das finde ich immer am besten, wenn man sich auf einem hohen Niveau sach- und fachlich streiten kann. Die Anforderungen an die Verwaltung sind ohnehin hoch: Wenn man aktiv handeln muss, fällt es ja schwerer, alles richtig zu machen, als wenn man nachher „in aller Ruhe“ drübergucken kann. Hinterher ist man immer klüger – das gilt insoweit auch für die Gerichte.

Alles was Recht ist

Selten standen Rechte so im Fokus des öffentlichen Interesses wie jetzt im Lockdown während der Pandemie: Darf der Staat mir wirklich das alles verbieten? Darf er bestimmen, dass ich zu Hause bleiben muss? Und wie will er das alles kontrollieren?

Doch nicht nur in der Corona-Krise bestimmen Recht und Gesetz das öffentliche Leben. Auch in Oberberg gibt es Juristen, die in verschiedensten Rollen auftreten: als Anwälte, als Richter, aber auch in der Politik. Wie passt das zusammen? Wie trennen sie ihre Rollen? Wo verbinden sie beides? Das sind Themen, über die wir in unserer Interview-Reihe „Alles was Recht ist“ sprechen. (kmm)

Merken Sie das auch bei sich, dass Sie erst Politik machen und es nachher noch mal rechtlich sacken lassen?

Nein, das bewegt sich auf einer anderen Ebene. Im Laufe der Zeit habe ich das gemerkt. Anfangs, wenn wir in der Fraktion diskutiert haben, ob wir etwas machen können, ging bei mir mit einem Klick der Jurist an: Das geht gar nicht! Das habe ich nach und nach abgestellt. Denn bei vielem sollte man zuerst mal genauer gucken, ob man etwas Sinnvolles will – und dann erst sehen, ob man es durchsetzen kann, nicht nur politisch, sondern auch juristisch.

Auch das ist eine Besonderheit des Verwaltungsrechts: Das Vorrecht, dass ein politischer Wille Recht setzen kann, müssen Sie auch als Richter akzeptieren.

Als Gericht überprüfen wir nur die rechtlichen Grenzen auf der Grundlage von Recht und Gesetz. In einzelnen Rechtsbereichen kann es aber auch politische Vorgaben geben, an die wir aus Rechtsgründen auch als Gericht gebunden sind. Wenn man zum Beispiel sagt „Ich möchte aus der Atomkraft aussteigen“ oder „Ich möchte die Braunkohle komplett abschaffen“, ist das eine politische Entscheidung. Die muss schließlich durch den Gesetzgeber getroffen werden. Da gehen die Gerichte nicht dran, dürfen sie auch nicht.

Geht das auch auf kommunaler Ebene?

Nur ein Beispiel: Wenn wir einen Bebauungsplan aufstellen, da soll ein ganz bestimmtes Gebäude gebaut werden und es hat einen gewissen Abstand zur Nachbargrenze. Dann gibt es natürlich gesetzliche Vorgaben. Die Vorgaben können aber durch eine Satzung, also durch einen Bebauungsplan tatsächlich verändert werden. Insoweit können wir als Kommune Recht gestalten. Und dadurch wird es dann auf demokratischem Wege Recht.

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Apropos Baurecht: Da geht es ja oft um Nachbarn und darum, Menschen einfach an einen Tisch zu bekommen. Stichwort Mediation.

Die Mediation spielt im Verwaltungsgericht eine große Rolle. Wir haben mehrere sogenannte Güterichterinnen und Güterichter. Es ist aber auch so: Schon seit ich Richter bin, steht in den Prozessordnungen, dass wir in jeder Phase des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hinwirken sollen. Ein besonderer Fall ist mir da in guter Erinnerung: In einem Baunachbarstreitverfahren hatten sich eine ältere Dame und ein älterer Herr, die jahrzehntelang als Nachbarn gut befreundet waren, seit Beginn des Streits nichts mehr zu sagen. In einem Ortstermin konnte ich eine Lösung des Streits finden und das Gerichtsverfahren einvernehmlich beenden. Als ich mit dem Dienstwagen dort wegfuhr, sah ich, dass sich die beiden weinend in den Armen lagen.

Wie sehr hilft es Ihnen da, die Politik von innen zu kennen?

(lächelt) Die Diskussion in einer Verhandlung ist schon ein kleines bisschen anders als im Rat. Besonders, wenn man selbst den Vorsitz führt.

Und abgesehen von so großer Politik?

Im gerichtlichen Alltag ist es vor allem deshalb interessant, weil ich durch die Kommunalpolitik die Abläufe in einer Verwaltung nochmals besser kennengelernt habe.