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Traurigkeit und ÄngsteZwei Ärzte über die Folgen des Lockdowns für Kinder

Lesezeit 4 Minuten

Zuviel Zeit vor dem Laptop? Über die Folgen der Einschränkungen für Kinder und Jugendliche sprechen zwei Ärzte.

Oberberg – Schon im Sommer 2020 befürchteten Dr. Roland Adelmann, Chefarzt der Gummersbacher Kinderklinik, und Dr. Peter Melchers, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marienheide im Gespräch mit dieser Zeitung negative Folgen für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Und? Wie ist es jetzt? Monika Siegfried-Hagenow hat bei Adelmann und Melchers nachgefragt.Wie hat sich die Situation in Ihrem jeweiligen Fachbereich seither entwickelt?Adelmann: Die düsteren Prognosen haben sich bestätigt. Wir erleben immer mehr Kinder mit motorischen Defiziten, mit einer schlechten Körperhaltung und vor allem Fettleibigkeit. Sie sind ja nur zu Hause, es gibt keine Verabredungen mit Freunden, keinen Sport. Zwar sehen wir weniger körperliche Folgen von Mobbing, wie zum Beispiel ständige Bauchschmerzen, weil die Schulen ja zu sind, aber ich beobachte häufig eine umfassende Traurigkeit.

Melchers: In der Klinik erscheint die Situation auf den ersten Blick gar nicht so schlecht, aber da brodelt ganz viel im Hintergrund. Es dauert immer eine Weile, bis ein junger Mensch bei uns landet. Erst denkt man, er ist einfach schlecht drauf, es gibt ja Hürden, zum Psychiater zu gehen. Bei den jungen Patienten geht es vor allem um Ängste, Depressionen, auch Essstörungen wie Magersucht. Diese Folgen erleben wir dann mit Verzögerung.

Was befürchten Sie denn längerfristig?

Adelmann: Da wächst eine Kindergeneration heran, der Sport als Ausgleich komplett fehlt und die kaum Möglichkeit zum Toben hat. Ein oder zwei ganze Jahrgänge verpassen es, schwimmen zu lernen. In der Klinik haben wir zur Zeit kaum Infekte, zum Beispiel keinen einzigen Fall von schwerem RSV- Husten, der im ersten Lebensjahr zu Erstickungsanfällen führen kann. Das ist aber nur scheinbar positiv, denn die Infekte im Kindesalter trainieren das Immunsystem, später treten dann auch weniger Allergien auf. Mir sind Kinder mit Dauerschnupfen viel lieber als diese trügerische Ruhe. Ich fürchte, wenn die Schulen wieder öffnen, könnte es zu einer großen Welle schwerer Infekte kommen.

Melchers: Weil es schon so lange keine regelmäßige Beschulung gibt, können Jugendliche, die wir umgangssprachlich „Schulschwänzer“ nennen, durch’s Raster fallen. Das Problem ist die absolute Strukturlosigkeit. Vor allem fehlen die sozialen Kontakte, seien sie Pflicht wie in der Schule oder Freude. Kein Verein, kein Schwimmen, alles weg. Je schlechter die reale Welt, umso attraktiver wird die digitale.

GM, Klinikum Oberberg: Videocall mit Dr. Adelmann + Dr. Melchers

Die Digitalisierung wird doch als Lösung gerade für Schülerinnen und Schüler gepriesen?

Melchers: Neulich erzählte mir ein 16-Jähriger, der unter massiver Antriebslosigkeit leidet, dass er seine Hausaufgaben für die Schule nachts zwischen 2 und 3 Uhr macht und sich ansonsten damit beschäftigt, Sperren zu umgehen, damit er sich im Internet Spiele herunter laden kann, die erst ab 18 freigegeben sind. Das ist sein Ehrgeiz. Ballerspiele sind attraktiver als Vokabellernen, und die Jugendlichen haben viel zu viel Zeit. Die mediale Abhängigkeit wächst wie ein Tumor.

Wie sieht es denn mit Corona-Erkrankungen bei Kindern angesichts von möglichen Virusmutationen aus? Wird es dadurch gefährlicher?

Adelmann: Die Ansteckungsrate ist etwas höher. Aber die Kinder überstehen die Krankheit meist recht gut. Auch Babys. Die überwachen wir natürlich besonders genau, denn im ersten Lebensjahr haben sie ein höheres Risiko.

Gibt es Anzeichen für Gewalt im familiären Umfeld?

Adelmann: Bei den Patienten in der Klinik bisher nicht. Aber da gibt es bestimmt eine große Dunkelziffer, weil Schulen und Kitas geschlossen sind, in denen so etwas auffällt.

Melchers: Es ist schwer zu sagen. Auf jeden Fall stehen ja viele Eltern unter großem Druck, immer mehr geraten in wirtschaftliche Not und haben Existenzängste. Das hat natürlich Auswirkungen. Es kann helfen, wenn Kinder und Jugendliche wenigstens eine Person außerhalb des Haushalts haben, an die sich wenden können, etwa Großeltern oder Verwandte. Sei es zum Spielen, sei es zum Reden.

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Was könnte denn noch helfen, durch die Krise zu kommen?

Melchers: Wenn die Politik eine Perspektive, einen klaren Fahrplan vorgeben würde. Und wenn die Eltern sich so viel Zeit wie möglich für die Kinder nehmen.

Adelmann: Ein regelmäßiger gemeinsamer Workout zusammen mit Mama oder Papa. Es gibt zum Beispiel bei Youtube-Trainingseinheiten für alle Altersgruppen, die kann man sich angucken und mitmachen. Und wenn die Kinder oder die Jugendlichen sich geschickter anstellen als die Erwachsenen - umso besser! Dann darf auch mal gemeinsam gelacht werden.