Oberbergs Geschichte1924 wurde in Engelskirchen ein Pferderennen veranstaltet
Engelskirchen – Wer am 28. Juni 1924 einen Blick auf die Anzeigenseite der Bergischen Wacht aus Engelskirchen warf, wird das wohl mindestens zweimal getan haben. Neben etlichen Annoncen zu den Kirmesattraktionen am Wochenende stand dort in großen Lettern: „Pferderennen in Engelskirchen“.
Noch nie hatte im Dorf an Agger und Leppe ein Pferderennen stattgefunden. Im Anzeigentext gab es weitere Informationen: Offensichtlich konnte sich laut Ausschreibung jeder mit seinem Pferd an diesem Wettbewerb beteiligen. Die angehenden Jockeys sollten sich mit ihren Pferden am Sonntag, 29. Juni, um zwei Uhr nachmittags an der evangelischen Kirche einfinden und ihren Gaul dem Veranstaltungskomitee vorführen. Von dort sollten sich die Teilnehmer dann geschlossen mit ihren Pferden zum Leppesportplatz begeben. Bis zum Start um 15 Uhr konnten die Vierbeiner in Stallungen untergebracht werden. Die Rennstrecke selbst führte um das Sportfeld herum und war für den Wettbewerb verlängert worden. Durch das neugebildete Engelskirchener Rennkomitee schien also alles genau durchgeplant zu sein.
Vorankündigen im Inneren der Bergischen Wacht
Weitere Einzelheiten zu diesem unerhörten Ereignis verriet eine Vorankündigung im Inneren der Bergischen Wacht. Nach dem Pferderennen sollten weitere Sportwettbewerbe folgen.
Jedoch, es gab einen Konkurrenten um die Zuschauergunst: die traditionelle Peter-und-Paul-Kirmes, ein zentrales und in jedem Jahr von Jung und Alt erwartetes Spektakel. Luftschaukeln, Kettenkarussells, Schieß- und Krambuden gehörten zu den Attraktionen. Im Angebot waren Spaß und echter Grusel: „Selbst indische Gaukeleien sind zu sehen, Vorgänge aus der ,vierten Dimension’“, wusste die Bergische Wacht zu berichten. Auch das „Zerquetschen einer Dame“ wurde durch ein Extra-Plakat angekündigt. Welche der beiden Attraktionen, Kirmes oder Pferderennen, würde mehr Menschen anziehen?
In den Tagen vor dem Spektakel war allgemein die Meinung vorherrschend, dass am Pferderennen kein größeres Interesse bestand. Vielmehr ergriffen Witzbolde die Gelegenheit, ihre Scherze über die neue Veranstaltung auszustreuen. Die Bergische Wacht verbreitete diese Witze genüsslich weiter: „Manche behaupteten, daß ein gewisser Prinz gelegentlich des Rennens seinen 25. Jahressturz vorführen werde. Andere redeten davon, daß der ,Jumbo’, die bekannte Straßenlokomotive, als Schrittmacher für die schweren Ackerpferde dienen solle, und wieder andere bringen Verwirrung dadurch hinein, daß sie von der Absicht sprechen, ein Rennen auf ungesattelten Kühen zu veranstalten.“ Davon ließ sich das Rennkomitee nicht beeinflussen. Vielmehr wurde aus dem Umfeld der Verantwortlichen schon vor der Veranstaltung der Plan verbreitet, das Pferderennen im Frühjahr und Herbst des nächsten Jahres zu wiederholen.
Pferderennen doch kein Reinfall
Von diesen Fortsetzungen ist nichts bekannt. Am Tag der Veranstaltung bewahrheitete sich die Befürchtung, dass das Pferderennen ein Reinfall werden würde, aber nicht. Im Gegenteil: Es bestand ein äußerst reges Interesse in der Öffentlichkeit, dem Rennen beizuwohnen. Damit stand am Sonntag die Kirmes eindeutig im Schatten des Pferderennens. „Die Züge brachten Scharen von Zuschauern“, wie die Bergische Wacht beobachten konnte. Über die Motive der angereisten „Pferderennenkenner“ spekulierte die Engelskirchener Gazette: Wahrscheinlich erwarteten die meisten den Schiffbruch der Veranstaltung. Und da wollte doch jeder dabei sein, das dumme Gesicht der Veranstalter zu sehen.
Das Rennkomitee schien zufrieden zu sein: 600 erwartungsvolle Besucherinnen und Besucher bezahlten das Eintrittsgeld auf dem Rennplatz an der Leppestraße. Dazu kamen nicht-zahlende Zuschauer. „Die Zahl der Zaungäste, die malerisch die umliegenden Höhen besetzt hielten, ging in die Tausende. Jedenfalls hat der Sportplatz noch nie so viel Volk gesehen wie gestern“, konstatierte die Engelskirchener Zeitung total überrascht. Die Kirmes im Dorf war dagegen menschenleer. Es hieß später, ein Schäferhund habe während des Pferderennens auf der Kirmes die Wacht gehalten.
Da für die Berichterstattung von dem Pferderennen für die Bergische Wacht kein Fachjournalist anwesend war, wie die Engelskirchener Gazette ironisch bekannte, beschränkte sie sich nur auf eine nicht ganz sachgemäße Wiedergabe des Geschehens: „Einige Stürze erfolgten und einige Hosenböden platzten. Die Gäule wollten manchmal nicht recht um die Ecke, entweder weil diese zu eng war oder weil an einer Kurve ihre Artgenossen standen und sie in deren sicheren Hafen zu landen strebten.“ Der Redakteur der Zeitung hatte Verständnis für die Arbeitstiere: „Wie soll ein braves Ackerpferd auch wissen, warum es ausgerechnet an einem zum Ausruhen bestimmten Sonntag durch eine johlende, klatschende und Stöcke schwingende Menschenschar hindurchgehetzt wird?“
Platzierung im Wettbewerb
Dennoch wurden die Rennergebnisse ordnungsgemäß vermeldet: In der Kategorie „Schwere Pferde“ siegte der Bauer Offermann von Haus Selbach, gefolgt von Teilnehmer Blumberg, Engelskirchen. Auf dem dritten Platz landete ein Herr Fries aus Loope. In der Kategorie „Leichte Pferde“ belegten die Brüder Heu aus Verr die Plätze eins und zwei. Den dritten Platz eroberte Teilnehmer Osberghaus aus dem Ort Bellingroth.
Damit war aber die Veranstaltung noch nicht beendet: Es folgte ein von zwei Komikern veranstaltetes humoristisches Rennen zwischen Acker- und einem Holzpferd. Das Ackerpferd erwies sich jedoch als wenig kooperativ, sodass das Holzpferd als Sieger durchs Ziel ging. Diesen überraschenden Verlauf dokumentierte die Bergische Wacht: „Zu diesem nicht erwarteten Sieg kam es, da der Reiter des Holzpferdes nach mehreren vergeblichen Sporneinsätzen kurzentschlossen das Pferd auf die Schultern nahm, was sein Kollege (mit dem Ackergaul) natürlich nicht konnte.“ Anschließend folgten noch ein Wettlaufen, ein Fußballspiel zwischen Engelskirchen und Vollmerhausen (welches die Gastmannschaft mit 3:1 gewann), Sacklaufen und weitere Wettbewerbe.
Das könnte Sie auch interessieren:
Allerdings ließ das Zuschauerinteresse nach dem Pferderennen erheblich nach. Die Menge ergoss sich in den Ort, wo Kirmesattraktionen und Gaststätten dann doch noch einen regen Zuspruch erfuhren.