Krieg in der UkraineReichshofer holt verwundeten Soldaten nach Oberberg
Reichshof – Manuel Weber macht sich nichts vor. „Mir ist bewusst, dass wir mit unserer Ukraine-Hilfe nicht die Welt retten können“, schreibt der 41-jährige Reichshofer in seinem Internettagebuch. „Aber wir können die Welt für Andrij retten und viele andere, die in unseren Bussen mitgefahren sind oder die unsere Hilfsgüter bekommen haben. Deshalb machen wir das.“
Die Hilfstransporte in die Ukraine sind für Weber inzwischen fast zu einer Routine geworden. Sein Einsatz für Andrij Korynetzki aber war etwas anderes. „Ich hatte dieses Projekt unterschätzt. Völlig unterschätzt“, gibt Weber zu. „Ich hatte keine Ahnung, was uns erwarten würde und welche Hürden vor uns liegen würden.“
Medizinische Behandlung bei Spezialisten in Engelskirchen
Aber am Ende ist es ihm gelungen, den verwundeten Soldaten aus der Ukraine zu holen und eine medizinische Behandlung bei Spezialisten in Engelskirchen und Köln-Merheim zu ermöglichen.
Dessen verletztes Bein mussten die Ärzte zwar dann doch amputieren. Dennoch ist der 40-jährige Ukrainer froh und dankbar: Er wird in seinem Wiehler Quartier physiotherapeutisch behandelt, bekommt eine Prothese und danach eine Reha, erlebt also eine medizinische Versorgung, die in der Ukraine nicht möglich gewesen wäre.
Anfrage kam im Mai
Über seine Kontakte als Ukrainehelfer hatte Manuel Weber im Mai die Anfrage erreicht, ob er einen verwundeten Soldaten mit nach Deutschland nehmen könne. Weber und seine Mitstreiter von der Wiehler Freikirche „Christus für alle“ bringen regelmäßig Hilfsgüter in die Ukraine und sammeln auf dem Rückweg Geflüchtete ein. „Ohne lange zu überlegen, willigte ich ein“, erinnert sich Weber. „Natürlich würden wir den Soldaten mitbringen. Sehr naiv, wie ich heute weiß.“
Fast 500 Telefonate, Mails, SMS und Nachrichten in diversen Messengerdiensten waren nötig. Botschafter, Staatssekretäre, Landräte und Bürgermeister waren involviert. Bis nach Brüssel musste Weber Kontakte aufbauen und spielen lassen. Und stand mehrmals vor dem Scheitern.
Nach den ersten Operationen blieb ein faustgroßes Loch
Andrij Korynetzki, von Beruf eigentlich Bergmann, wurde im April in der Nähe von Donezk von einer russischen Panzergranate getroffen. Im Militärkrankenhaus in Ternopil, wo er nach dem Gefecht eingeliefert wurde, unterzogen ihn die ukrainischen Ärzte mehreren Operationen.
„Zurück blieb ein faustgroßes Loch im Knie“, erfuhr Manuel Weber. Sicher gebe es schlimmere Fälle als Andrij, sagt der Reichshofer. „Aber was hilft dir das, wenn du ohne Schmerzmittel wochenlang in deinem Bett liegst, ohne Hoffnung auf eine angemessene Behandlung?“
Theoretisch war die Behandlung in Deutschland nicht möglich
Das Engelskirchener St.-Josef-Krankenhaus erklärte sich bereit, den Patienten aufzunehmen. Um den Soldaten behandeln zu können, brauche man aber eine Bestätigung der Kostenübernahme. Üblicherweise bedarf es dafür der vorherigen, persönlichen Anmeldung des Flüchtlings bei Ausländeramt und Jobcenter. Doch der Betroffene lag ja noch in einem ukrainischen Militärkrankenhaus.
Manuel Weber nahm Kontakt zu Susanne Maaß von der Reichshofer Flüchtlingshilfe auf, die wiederum Bürgermeister Rüdiger Gennies und Landrat Jochen Hagt ins Boot holte. Am Ende lag die Kostenübernahme vor. „Was theoretisch unmöglich ist, haben engagierte und mitfühlende Menschen möglich gemacht“, freute sich Manuel Weber.
„Jetzt fehlte nur noch der Patient.“ Bei der nächsten Fahrt in die Ukraine sollte er geholt werden. Die Wiehler Gemeinde bringt ihre Hilfsgüter immer nach Wolodymyr, eine Kleinstadt nördlich von Lwiw. Dort wollten sie den Verwundeten abholen und machten sich auf den Weg.
Eigentlich hätte Andrij von der Bundeswehr ausgeflogen werden müssen
Doch spät abends irgendwo in Polen erreichte Weber die Hiobsbotschaft: Obwohl das ukrainische Krankenhaus der Verlegung zugestimmt hatte, durfte Andrij Korynetzki nicht ausreisen. Als Militärangehöriger dürfe er die Ukraine nicht verlassen. „Egal, ob verletzt oder nicht“, lernte Weber nun. Verwundete ukrainische Soldaten kommen nur über begrenzte Kontingente nach Deutschland und werden von der Bundeswehr ausgeflogen.
Manuel Weber fing an zu telefonieren. Unter anderem rief er Michael Gahler an. Der CDU-Europaabgeordnete setzt sich für die Ukraine ein. „Und tatsächlich nahm sein Büroleiter den Anruf entgegen, und ich konnte ihm die Situation erklären.“
Gahlers Team telefonierte mit dem ukrainischen EU-Botschafter, mit Staatssekretären, mit dem ukrainischen Gesundheits- und dem Verteidigungsministerium.
Beim ersten Anlauf fehlte eine Unterschrift
Doch die Zeit lief davon. Am Militärkrankenhaus in Lwiw, dem vereinbarten Treffpunkt, entschieden sich die Oberberger schweren Herzens, ohne den Soldaten nach Hause zu fahren. Am Ende hatte nur die Unterschrift einer Militärärztin aus Kiew gefehlt, die schon im Wochenende war.
„Wir waren völlig niedergeschlagen“, erinnert sich Weber. Zurück in Deutschland resümierte der Helfer, „dass Privatpersonen so etwas einfach nicht organisiert bekommen. Das Projekt war einfach eine Nummer zu groß.“
Manuel Weber gab nicht auf
Doch die Sache ließ ihm keine Ruhe. Also nahm er schon am nächsten Montag erneut Kontakt zum Büro des EU-Abgeordneten Gahler auf, das sich weiterhin um die Ausreiseerlaubnis bemühen wollte. Manuel Weber kümmerte sich um den Transport und entschied sich nun, Andrij Korynetzki aus Polen ausfliegen zu lassen. Das deutsch-ukrainische Hilfswerk „Blau-gelbes Kreuz“, das Medikamente mit dem Flugzeug nach Polen bringt, sagte zu, den Verwundeten mit zurückzunehmen.
Dann kam der Anruf aus Brüssel, dass die Genehmigung erteilt sei. Zudem erklärte sich das ukrainische Gesundheitsministerium bereit, den Transport zum Flughafen zu organisieren. „Was sollte so kurz vor Anflug noch schiefgehen“, dachte Manuel Weber. „Aber jetzt wurde es nochmal richtig stressig und kompliziert.“
Ukrainische Übersetzer-App half
Vier Organisationen aus vier Ländern waren am Transport beteiligt, Manuel Weber musste zwischen den Ansprechpartnern in drei verschiedenen Sprachen vermitteln, in Deutsch, Englisch und per Übersetzer-App auch auf Ukrainisch. „Ich war so angespannt, wie selten zuvor“, schildert Weber. „Als müsste ich am nächsten Tag drei Matheklausuren schreiben.“
Das Flugzeug musste am Nato-Stützpunkt im polnischen Rzesow noch für den Krankentransport umständlich umgebaut werden. Doch dann hob es mit einer dreiviertel Stunde Verspätung ab Richtung Bonn-Hangelar. Manuel Weber und Susanne Maaß warteten dort an der Landebahn.
„Den Moment, als der Flieger landete und ich Andrij zum ersten Mal sah, den werde ich nicht vergessen“, erinnert sich Manuel Weber. „Wir hatten es tatsächlich geschafft. Wir haben das Unmögliche möglich gemacht.“
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Viele Wochen später kümmert sich Manuel Weber noch immer intensiv um Andrij Korynetzki, er war mit ihm in Köln, hat ihm den Dom gezeigt und mit ihm einen Döner gegessen. „Ich habe jetzt vier Kinder und einen ukrainischen Soldaten“, sagt Weber und lacht. Sein Fazit: „Man darf sich nicht scheuen, Leute einfach anzusprechen und um Hilfe zu fragen. Manchmal bekommt man eine Absage, aber es gibt so viele Menschen, die bereit sind zu helfen.“
Für Weber selbst gab es kein Zurück mehr, nachdem er seine Hilfe einmal zugesagt hatte. „Weil meine Eltern mir beigebracht haben, Menschen in Not zu helfen. Und weil in der Bibel steht, dass ich meinen Nächsten lieben soll.“ Ganz einfach.