Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Odenspiel und Umgebung Zuflucht gefunden haben, versuchten für ein paar Stunden all ihre Sorgen zu vergessen.
Sorgenvolle Weihnachten im ExilGeflüchtete Ukrainer haben Reichshofer Kirche geschmückt
Auch der Weihnachtsmann und das Christkind sind vor dem Krieg geflohen. Haben sie in der Ukraine in der Neujahrsnacht als eisgrauer „Großvater Frost“ (Djed Moros) und Enkelin „Snegurotschka“ (Schneeflöckchen) im blauen Eisköniginnenkostüm die Kinder beschenkt, so sind die beiden nach Reichshof-Odenspiel mit roter Zipfelmütze und christkindlich weißem, mit Silberlametta besetzten Kleid gekommen. Aber die Freude der vielen ukrainischen Kinder, die sie in der evangelischen Kirche sehnsüchtig erwarten, ist dieselbe.
Odenspiel: Kirchraum ist mit Lichterketten und Strohsternen geschmückt
Der Kirchenraum wird geschmückt mit Lichterketten, Strohsternen und einem großen Tannenbaum, den ein Nachbar gespendet hat. Und weil zu einem richtigen Fest ein gutes Essen gehört, haben die Erwachsenen viele leckere Spezialitäten aus ihrer Heimat mitgebracht. Rund 70 Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Odenspiel und Umgebung Zuflucht gefunden haben, versuchen an diesem Abend für ein paar Stunden all die Sorgen, die Schrecken, ihre Flucht und die Unsicherheit vor der Zukunft zu vergessen.
Viele Neue seien gekommen, sagt Kerstin Becker, die sich zusammen mit Michaela Sieler um die Geflüchteten in der Kirchengemeinde kümmert und den Abend organisiert hat. Müde, erschöpfte Gesichter fallen auf im Kreis derjenigen, die bereits Fuß gefasst haben in der neuen oberbergischen Heimat, die vielleicht nur eine Heimat auf Zeit sein wird. Manche sind still und in sich gekehrt, kaum nehmen sie wahr, wie der Weihnachtsmann, versucht, mit Zaubertricks seine Zuschauer in Bann zu schlagen. Der dritte eiskalte Kriegswinter hat in der Ukraine begonnen.
Ukraine: Eine Stunde Strom am Tag muss zum Kochen und Heizen reichen
Eine Stunde Strom am Tag muss an vielen Orten zum Kochen und Heizen reichen. Lilia Kovalenko hat mit ihrem Mann Schenja, dem sechsjährigen Danil und dem vierjährigen Timofe bis vor Kurzem ausgeharrt. „Wir haben zwei Monate Raketenbeschuss überlebt. 41 Tage lang war mein Mann vermisst, bis wir ihn in einem Keller gefunden haben. Er hatte versucht, zu retten, was zu retten ist.“ Vergeblich. Mariupol wurde von Russen völlig zerstört, darunter auch das Haus der Familie. Es gab zehntausende Tote und Vertriebene. „Es gab keine medizinische Versorgung, nichts mehr“, berichtet Lilia Kovalenko. Über Estland flüchteten sie nach Waldbröl.
Julya Danylova kam bereits vor drei Jahren mit ihren Kindern Seva und Myra aus der einstigen Millionenstadt Donezk im ukrainischen Kohlerevier. „Bei uns im Donbass begann der Krieg schon 2014“, erinnert die 45-jährige Marketingfachfrau, die zunächst nach Kiew floh. Ihre Freundin, die 61-jährige Olenka Rusakova, kam zusammen mit ihrer 86-jährigen Mutter aus Charkiw. Beide haben inzwischen gut Deutsch gelernt, haben Arbeit gefunden in der Registratur eines Inkassobüros. Ein Zurück gibt es nicht für die beiden. Donbass ist von Russland besetzt, nur 30 Kilometer trennen die Stadt Charkiw in der Nordukraine von der russischen Grenze.
„Da ist es viel zu gefährlich. Jeden Tag gibt es Angriffe“, erzählt Olenka Rusakova, die in ihrer Heimat als Gebäudemanagerin drei große Objekte betreute. „In der Ukraine wäre ich Rentnerin. Hier lebe ich von Tag zu Tag. Ich muss nicht arbeiten, aber ich will. Vor allem macht es mir Spaß, Neues zu lernen.“ Wie ihre Freundin würde auch Julya Danylowa gern hier bleiben. „Auch wenn manche Menschen mich skeptisch angucken. Aber hier ist ein besserer Platz. Auch für meine Kinder.“
Vor dem Weihnachtsbaum tragen der sechsjährige Danil und der kleine Timofe dem Weihnachtsmann kleine ukrainische Gedichte vor und freuen sich über ihre Geschenke, während Mutter Lilia Kovalenko sich im Moment nur eins wünscht: endlich zur Ruhe zu kommen, ein geregeltes Leben führen, sich niederlassen. „Egal wo.“
Die gelernte Friseurin und Masseurin klammert sich an die Hoffnung, dass der Krieg im neuen Jahr enden wird. Und wenn der Preis dafür wäre, einen Teil der Ukraine aufzugeben? „Das wäre ein zu hoher Preis. Es sind doch schon so viele Menschen gestorben“, sagt sie. „Viele Menschen haben Angst“, meint Olenka Rusakova. „Wenn die Ukraine verliert, steht der Krieg auch in Deutschland vor der Tür.“