Lviv/Wipperfürth – Mehrfach war die ukrainische Wissenschaftlerin Dr. Olha Kotovska in den vergangenen Jahren zu Gast im Bergischen Land. Der Kontakt kam zustande über das LVR-Freilichtmuseum Lindlar und seinen Leiter Michael Kamp. Im Videogespräch redet sie über den Krieg in der Ukraine.Traurig und erschöpft sieht Dr. Olha Kotovska aus. „Die Nacht über haben wir in einem Schutzraum verbracht, schlafen konnte ich nicht“, erzählt sie. Doch auch Entschlossenheit und Wut schwingen in ihrer Stimme mit. Die ukrainische Wissenschaftlerin ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Erziehung und Wissenschaft in Lviv, dem früheren Lemberg, ganz im Westen des Landes.
Bitten um humanitäre Hilfe
Auch hier, nur 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, greifen die russischen Streitkräfte an. „Wir werden bombardiert, das ist eine ganz neue Erfahrung“, meint sie bitter. Sie und ihre Kollegen seien Tag und Nacht im Büro, wo man zusammen mit den Studierenden arbeite. Über Details ihrer Arbeit dürfe sie aus Sicherheitsgründen nicht sprechen. Nur soviel: „Wir erstellen unter anderem an Presseerklärungen in allen möglichen Sprachen, auch in Chinesisch und Japanisch. Wir wollen aufklären, wie die Welt uns helfen kann. Dazu nutzen wir auch das Potenzial unserer Studierenden. Wir brauchen Lebensmittel und humanitäre Hilfe, denn es kommen laufend Flüchtlinge aus dem Osten der Ukraine, aus Charkow und Kiew, wo die Situation noch viel schlimmer ist.“
Geflüchtete aus dem Osten der Ukraine
Kotovska rechnet mit bis zu drei Millionen Geflüchteten. Darunter seien auch viele Frauen mit kleinen Kindern. Die Grenzen zum Nachbarland Polen seien noch offen, berichtet sie, Männer im wehrfähigen Alter dürften das Land allerdings nicht verlassen.
Neben humanitärer Hilfe brauche man aber auch militärischen Beistand aus dem Westen, zumindest bei der Luftüberwachung. „Ich denke, das ist nicht zu viel verlangt.“ Dass die Nato-Staaten dem russischen Überfall auf die Ukraine zwar verdammen, zugleich aber militärische Hilfe verweigern, sei nicht akzeptabel. „Der Westen lässt uns im Stich, wir fühlen uns verraten“, klagt sie an. Wenn schon die Regierungen zu schwach seien, so könne doch die Bevölkerung Druck machen.
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„Wir brauchen schärfere Sanktionen gegen Russland, und zwar sofort“, fordert die Wissenschaftlerin. Würde man Russland und das mit ihm verbündete Weißrussland vom internationalen Zahlungssystem Swift ausschließen, so wäre das ihrer Einschätzung nach eine sehr wirkungsvolle Maßnahme, auch wenn dies die ganze Weltwirtschaft treffen würde. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz zögert damit allerdings bislang.
Was die russische Regierung und Präsident Vladimir Putin mit dem Krieg genau bezweckt, darüber wird auch in der Ukraine gerätselt. „Es ist nicht allein Putins Krieg, dahinter steckt eine kleine Führungselite.“ Kotovska ist sich sicher, dass die Ukraine nicht das letzte Land sein werde, dass von Russland angegriffen wird. „Wer wird der nächste sein?“ fragt sie. Sich kampflos zu ergeben, sei keine Option, „Wir Ukrainer brauchen die Freiheit.“ Kämpferisch fügt sie hinzu: „Wir sind stark, sehr stark“.