Was die Spuren verratenUnterwegs mit Verkehrsunfallteam
- Beim Verkehrsunfallteam hat die Rettung von Menschenleben natürlich immer Vorrang.
- Gleich danach das Sichern und Sehen von Spuren, damit die Unfälle aufgeklärt werden können.
- Wir waren einen Tag mit Thorsten Hankes Verkehrsunfallteam in Gummersbach unterwegs.
Gummersbach – Thorsten Hanke ist unterwegs zum Unfallort. „Verkehrsunfall mit Personenschaden, Auto gegen Radfahrer“ lautet die Meldung der Leitstelle. Jetzt sitzt er in seinem Polizeibully und ist auf dem Weg von Gummersbach aus in Richtung Wipperfürth – ohne Blaulicht.
Blaulicht braucht Hanke nicht, denn er wird ohnehin nicht der erste sein, der am Unfallort eintrifft. Mit den Kollegen von der Wipperfürther Wache, die schon auf dem Weg sind, ist er ebenso wie mit der Leitstelle über Funk verbunden. „Vor Ort alles einfrieren!“, sagt Hanke. Die Kollegen verstehen, was er damit meint: Am Unfallort nichts bewegen, alle Spuren so lassen, wie sie sind, und Personen, die nicht weiter medizinisch versorgt werden müssen, so lange festhalten, bis Hanke mit ihnen gesprochen hat.
Vorrang, betont der Polizist, habe trotzdem natürlich zunächst immer die Rettung von Menschenleben. Dass die oft nicht gesichert ist, wenn Hanke und das VU-Team am Unfallort eintreffen, macht ihre Arbeit nicht leichter. „Oft weiß man gar nicht, was da auf einen zukommt bei so einer Alarmierung“, sagt er, während er den Bully in Richtung Wipperfürth steuert.
Mit moderner Technik ausgerüstet
Gerade in diesem Frühjahr gab es eine ganze Reihe von Unfällen, die Spuren hinterlassen, die niemand sichern kann – vor allem wenn sie tödlich enden. In diesem Jahr war das bereits achtmal der Fall: drei Fußgänger, zwei Autoinsassen und drei Motorradfahrer starben – zuletzt vor einigen Wochen eine 53-jährige Reichshoferin an der Aggertalsperre. Auch da war Hanke im Einsatz und suchte schon nach Spuren, während die Rettungskräfte noch versuchten, das Leben der Frau zu retten – letztlich vergeblich.
Vor allem bei tödlichen, aber eigentlich auch bei allen anderen Unfällen mit erheblichen Folgen, steht schnell eine Frage im Vordergrund: Warum? Und da kommen Thorsten Hanke und seine Kollegen ins Spiel. Denn Hanke ist Experte für Unfallorte – einer von mehreren im Oberbergischen Kreis. Der 44 Jahre alte Polizeihauptkommissar ist seit dem vergangenen Jahr Mitglied des „VU-Teams OBK“ – eine Abkürzung, hinter der sich die Spezialisten der oberbergischen Polizei für die Aufklärung der Spurenlage nach Verkehrsunfällen im Oberbergischen verbergen.
Echte Spezialisten, die gute Arbeit machen, wie ihr Chef Joachim Höller findet. Deshalb hob der Leiter der Direktion Verkehr bei der Polizei im Oberbergischen Kreis Ende Februar, als die Verkehrsunfallstatistik für das Jahr 2018 vorgestellt wurde, die Arbeit dieses „Teams“ besonders hervor: „Es ist spezialisiert und verfügt über eine hervorragende technische Ausstattung.“ Grund für die Erwähnung: Mit 52,5 Prozent hatte Oberberg die höchste Aufklärungsquote, wenn einer der Beteiligten Unfallflucht begangen hatte – wie im Vorjahr ist das landesweiter Bestwert.
Eine Skizze von jedem Unfallort
Das Ziel ist ehrgeizig: Für jeden Unfallschwerpunkt im Oberbergischen möchte die Polizei irgendwann eine Musterskizze zur Verfügung haben, der dann nur noch die aktuellen Daten und Fotos zu einem bestimmten Unfall hinzugefügt werden müssen. „Eine ganze Reihe von Skizzen haben wir schon“, sagt Polizeihauptkommissar Thorsten Hanke. Dabei arbeiten seine Kollegen und er mit digitalen Skizzenprogrammen, nutzen für Luftbilder spezielle Geo-Daten des Landes NRW.
Trotz oder gerade wegen aller Technik: Umso sorgfältiger müssen Hanke und seine Kollegen direkt am Unfallort arbeiten. Alle möglichen Spuren müssen markiert und fotografiert werden. Vor allem muss die Stelle äußerst exakt vermessen werden. „Denn nur dann kann das Programm später auf Basis unserer Fotos vor Ort das Bild für die Skizze entsprechend entzerren“, erklärt der Polizeihauptkommissar.
Der Wert einer Truppe von Experten, die ganz genau weiß, wie Spuren an einem Unfallort zu lesen sind, sei gar nicht hoch genug einzuschätzen, sagt Joachim Höller, Leiter der Direktion Verkehr: „Unser Verkehrsunfallteam sichert nicht nur wichtige Spuren. Seine Kompetenz hilft auch den Kollegen im Einsatz, sowohl rechtlich als auch praktisch.“ Denn nicht nur das VU-Team soll mit den Spuren am Unfallort richtig umgehen. Deshalb erhalten auch Streifenbeamte aus den verschiedenen Wachen immer wieder die Möglichkeit, den Experten bei ihrer Arbeit über die Schulter zu sehen. (kmm)
Ein bisschen schlucken musste Hanke schon, als er dieses Lob vom Chef in der Zeitung las. „Da hat er ganz schön vom Leder gelassen“, sagt der Polizeihauptkommissar. „Das muss man manchmal auch machen“, verteidigt sich Chef Höller. Vor etwa zehn Jahren, als er selbst noch nicht im Amt war, sei das Team eingerichtet worden, erzählt Höller: „Man hat damals einen Schwerpunkt in diesem Bereich gesetzt, weil es auf den Straßen im Oberbergischen immer wieder zu schweren Verkehrsunfällen gekommen ist.“
Messstationen wie R2D2 aus „Star Wars“
Das „VU-Team“ wurde nach und nach mit moderner Technik ausgerüstet – insbesondere, aber nicht nur die rapide Entwicklung der Digitalfotografie half dabei (s. Kasten). Inzwischen, so Höller, ist das oberbergische Unfallteam mit seiner Ausrüstung auf einem hohen Standard.
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Es geht aber noch besser, weiß Hanke – vor allem dort, wo Kollegen mit Unfällen auf Autobahnen beschäftigt sind wie in Köln, Bochum oder Düsseldorf. Höller schwärmt: „Da gibt es 3D-Scanner oder eine voll automatisierte Messstation, die an der Unfallstelle aufgestellt wird, sich selbst dreht und aussieht wie R2D2, der Roboter aus den ,Star Wars’-Filmen.“
In erster Linie geht es darum, Spuren zu sehen und zu sichern
Technik, die Hanke begeistert, die er aber an den oberbergischen Unfallorten so ohnehin nur selten braucht. Wenn er dort ankommt, gehören andere Gegenstände zu seinem Handwerkszeug – Sprühkreide zum Beispiel, in den verschiedensten Farben, oder Hütchen mit Zahlen, sogenannte Spurentafeln die einzelne Spuren markieren. „In erster Linie geht es darum, Spuren zu sehen und zu sichern, damit später der Unfallhergang auch vor Gericht rekonstruiert werden kann.“
Für solche Spuren haben Hanke und seine Kollegen aufgrund ihrer regelmäßigen Schulungen einen besonderen Blick. So sehen und sichern sie zum Beispiel nicht nur Brems- oder Schleuderspuren der Reifen, sondern auch Schlagspuren im Asphalt: „Die sind ein untrügliches Zeichen für einen Frontalzusammenstoß. Denn dadurch entsteht eine so starke Energie, dass sich die Karosserie auch in den Straßenbelag drückt.“
Genau deshalb ist das „Einfrieren“ der Unfallstelle auch so wichtig. Zum Beispiel in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr: „Wenn die Ölbindemittel verwenden würden, um ausgelaufenes Benzin einzufangen, kann so ein Unfallort schon mal aussehen wie ein paniertes Schnitzel.“ Aufgrund des engen Kontaktes gebe es dafür bei den Einsatzkräften aber auch das notwendige Bewusstsein: „Da wird dann zum Beispiel auch mal extra eine Ölsperre eingerichtet.“
Weniger Sorgen macht Hanke der Straßenverkehr, den er mit der Unfallaufnahme aufhält: „Dass eine Straße gesperrt ist und Autofahrer warten müssen, während ich meine Arbeit mache, darf für mich keine Rolle spielen. Sonst mache ich Fehler.“ Denn dabei geht es eben nicht mehr nur um eine Beweissicherung für ein mögliches Strafverfahren. Flüchtigkeitsfehler können teuer werden – vor allem für die Beteiligten, die nachher vielleicht auch vor einem Zivilgericht darüber streiten, wer wie viel Schuld trägt.