Im Schauspielstudio Oberberg wird runder Geburtstag gefeiert. Raimund Binder, Leiter der Wiehler Amateurbühne, schaut zurück und nach vorn.
30 Jahre SchauspielstudioRaimund Binder spricht über Me too und die Freiheit des Regisseurs
Das Schauspielstudio Oberberg feiert einen runden Geburtstag: Vor drei Jahrzehnten hatten die Wiehler Amateurbühne und ihr Leiter Raimund Binder ihre erste Aufführung unter diesem Namen. Zu sehen war Kleists „Zerbrochner Krug“. Am Freitag hat eine ganz neue, moderne Interpretation des Klassikers Premiere. Reiner Thies sprach darüber mit dem Regisseur.
Herr Binder, wie geht es Ihnen?
Raimund Binder: Danke, ich kann nicht klagen, ich bin am 4. Januar gut in mein 80. Lebensjahr gestartet. Meine Krebserkrankung habe ich ja überwunden und mache längst wieder neue Inszenierungen als Gastregisseur des Schauspielstudios. Ich habe auch¬ wieder mit dem Schauspieltraining angefangen. Die Möglichkeit, auf diese Weise neue Leute heranzuziehen, erweist sich immer wieder als segensreich für den Verein. Im neuen Jahr haben vier Leute neu angefangen, die ganz begeistert sind von den Übungen. Es geht um Atemtechnik, Sprache, Charakteranalyse. Der ganze Mensch wird einbezogen. Das Motto lautet: Ich bin mein eigenes Instrument.
Kommt es vor, dass Sie Neulinge wegen Talentlosigkeit abweisen?
Das Theater sollte ein realistisches Abbild der Gesellschaft sein. Daher kann eigentlich jeder auf die Bühne. Man muss nur die richtige Rolle für ihn finden, und manche sind belastbarer als andere. Eine wirkliche Begabung ist ohnehin selten. Und wenn die Begabung nur oberflächlich ist, sind Aufmerksamkeit und Fleiß wichtiger. Das Handwerk ist das Entscheidende. Meine Arbeit profitiert von meiner soliden Ausbildung als Schauspieler, Regisseur und Schauspiellehrer.
Diese haben Sie noch in Rumänien bekommen.
Als ich mit 35 Jahren ausgewandert bin, war ich etabliert. Aber die geistigen Grenzen waren in Rumänien sehr eng. Als Künstler immer „Hurra“ schreien zu müssen, heißt zu lügen, und das hält man nicht lange aus. In Deutschland lernte ich, was das Theater leistet in einer funktionierenden Gesellschaft. Aber ich musste auch feststellen, dass der Schauspieler hier noch immer zum fahrenden Volk gezählt wird. Alle meine Diplome galten nichts mehr, ich wurde vom hohen Ross heruntergezwungen.
Ich bin einmal der großen Schauspielerin Ellen Schwiers begegnet, die sagte mir: „Natürlich muss ich zwischen den Engagements stempeln gehen.“ Mir kamen als freier Regisseur meine handwerklichen Qualitäten zugute. Ich konnte mein Bühnenbild selbst bauen, was den Theatern eine Menge Geld sparte.
Wie kamen Sie dann zum oberbergischen Amateurtheater?
Ich hatte am Karlsruher Sandkorn-Theater gesehen, dass man auch in der Zusammenarbeit mit Laien professionelle Ergebnisse erzielen kann. 1989 habe ich mit oberbergischen Amateurtheatermachern die „Lysistrata“ von Aristophanes inszeniert. Als Nachfolger von Michael Labs führte ich schließlich eine regelmäßige Schauspielausbildung ein und sorgte dafür, dass die Stücke mindestens 15 Mal aufgeführt wurden, damit sich der Aufwand auszahlt. 1993 gab es dann die erste Aufführung unter dem Namen „Schauspielstudio Oberberg“. Es war „Der zerbrochene Krug“ mit Labs in der Hauptrolle. Und nun, nach 30 Jahren, inszenieren wir das Stück wieder.
Was ist anders als damals?
Ich bin nicht mehr der gleiche Regisseur, und die Zeiten haben sich geändert. Schon beim „Nathan“ im vergangenen Jahr habe ich das Stück neu denken müssen, nämlich vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs. Beim „Krug“ musste ich nun auf die Me-too-Diskussion reagieren und die übergriffige Frauenfeindlichkeit des Richters Adam herausstellen. Damals war es eine recht klassische Inszenierung, auch beim Bühnenbild und den Kostümen.
Diesmal treten die Figuren in moderner Kleidung auf, die Szene des Gerichtssaals ist ein vernachlässigter Raum und spiegelt den desolaten Zustand der Justitia wider. Es ist eine schöne Zufallsidee aus der Besetzungsnot heraus, dass der Gerichtsrat Walter, vor dem sich der Dorfrichter verantworten muss, bei uns eine Frau ist. Angela Harrock spielt die Rolle. Der Richter wird von Michael Albrecht als Lump decouvriert, als Chamäleon, das keine Sympathie erringen kann, als Machtmensch in Panik. Gabi Bülter, die einzige, die neben mir auch von Anfang an dabei ist, spielt Frau Brigitte.
Ist es überhaupt noch ein Lustspiel, was Sie auf die Bühne bringen? Sie sind doch eigentlich nicht als Regisseur bekannt, der die Klassiker respektlos behandelt. Welche Freiheiten nehmen Sie sich bei der Inszenierung?
Man würde dem Text Unrecht tun, wenn man ihm seine Vieldeutigkeit nimmt und nur auf die Pointe inszeniert. Ich glaube an die Fabel des Regisseurs. Solange diese eine innere Logik hat und nachvollziehbar ist, darf sie sich so weit vom Ursprungstext entfernen, wie es notwendig ist. Dafür kann es keine Vorschriften geben. Der Text verdient keinen Schutz. Man darf die Klassiker auch zertrümmern. Das habe ich schon vor 30 Jahren so gesehen. Wir arbeiten aber nicht gegen den Text, sondern aus ihm heraus. Den Gerichtsrat als Frau zu besetzen, ist sicher ein Eingriff, aber aus heutiger Sicht legitim.
Auch das Theater hatte seine „Me too“-Diskussion, legendäre Regisseure wurden für ihren toxischen Führungsstil kritisiert. Wie furchteinflößend wirkt der Regisseur Raimund Binder auf sein Ensemble?
Ich kann mich schlecht beherrschen. Ich will immer einen Schritt weitergehen. Es hört in der Kunst nie auf. So kommt es vor, dass ich die Menschen bei den abendlichen Proben überfordere, bis sie mir sagen: „Wir können nicht mehr, wir kommen von der Arbeit.“ Wir hatten einmal eine große Krise im Ensemble, nachdem ich eine eigenwillige Schauspielerin zusammengestaucht hatte. Ich sagte den anderen: „Ich möchte den Anspruch halten, sonst bin ich draußen.“
Am Ende hat der Verein entschieden, dass es nach der Pfeife vom Binder geht. Das Leben hat mich aber inzwischen gelehrt, konzilianter zu sein. Ich verpacke die Kritik besser. Ich möchte, dass die Darsteller das, was ich ihnen sage, mit einer Selbstüberzeugung machen, die das überschreitet, was ich von ihnen will. Manchmal sind meine Anweisungen auch widersprüchlich, weil es mal ums Lieben und mal ums Zanken geht. Und manchmal sage ich dann: „Gestern war ich dumm.“
Auch ihr einstiger Schüler Til Schweiger stand kürzlich in der Kritik wegen seines Auftretens auf dem Filmset.
Ich habe ihn als absolut sympathische Person kennengelernt. Die Sonne ging auf, wenn er auf die Bühne kam. Dass er jetzt als Despot verschrien ist, hat die Arbeit aus ihm gemacht. Man darf nicht vergessen, dass er für einen Millionenetat verantwortlich ist. Der Beruf verändert die Persönlichkeit.
„Der zerbrochene Krug“ hat Premiere am Freitag, 19. Januar, 20 Uhr. Die nächsten Vorstellungen sind am Samstag und Sonntag, danach läuft das Stück noch bis Mitte Februar. Karten gibt es bei Wiehl-Ticket, (0 22 62) 99-285
Zur Person
Raimund Binder wurde 1945 im siebenbürgischen Schäßburg geboren. Er absolvierte ein Schauspielstudium an der Hochschule für Theater- und Filmkunst in Bukarest und arbeitete am Deutschen Staatstheater in Temeswar. 1980 wanderte er aus Rumänien aus und folgte seiner Ehefrau Hiltrud nach Wiehl.
In Deutschland arbeitete er als Schauspieler an den Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld-Mönchengladbach, danach als Regisseur und Schauspiellehrer am Kölner Theater der Keller und am Theater der Altstadt in Stuttgart. Das Sanddorn-Theater in Karlsruhe zeigte ihm, wie fruchtbar die Arbeit mit Amateuren sein kann, so gehörte er 1993 zu den Gründern des Schauspielstudios Oberberg.