Wipperfürth und LindlarHomeoffice wird in immer mehr Unternehmen zum Normalfall
Wipperfürth/Lindlar – Wenn der Briefträger am Lindlarer Schmiedeweg durch ist, hat Marius Lubetzki den einzigen realen Menschen in seinem derzeitigen Arbeitsalltag gesehen. Seit dem Frühjahr brütet der Geschäftsführer der Medienagentur „Neuland“ alleine auf 200 Quadratmetern über neue Werbekonzepte – sämtliche Kollegen sind im Homeoffice.
„Ich brauche dieses Gefühl: In der Firma brennt Licht, also geht es weiter“, beschreibt der Lindlarer den Eindruck allein zwischen den Monitoren. An ihnen werkelten früher sieben Programmierer, Web-Designer und Marketingexperten – bis Corona kam. „Technisch war die Umstellung auf die Arbeit von zu Hause für uns gar kein Problem“, berichtet Mit-Geschäftsführer Marcel Hönerbach. Die Daten und Entwürfe lagerten bereits im Frühjahr in der Cloud und waren für die Kollegen von überall auf der Welt abrufbar.
Bei S+C ist Homeoffice nur die Ausnahme
Das „Büro zuhause“ ist derzeit in aller Munde. Zwei Drittel der Unternehmen im Kölner Raum ermöglichten zumindest einem Teil ihrer Belegschaft die Erledigung des Jobs in den eigenen vier Wänden, so eine Mitteilung der Industrie- und Handelskammer zu Köln (IHK). In der Industrie seien es 30 Prozent der Betriebe. Wie hoch der Anteil der Heimarbeiter an der Gesamtbelegschaft ist, beantwortet die Mitteilung allerdings nicht.
Ein Blick durch die Region zeigt, dass die Arbeitgeber mit dem Homeoffice ganz unterschiedlich umgehen. Beim Lindlarer Edelstahlunternehmen Schmidt+Clemens gibt es grundsätzlich die Möglichkeit, an zwei Tagen pro Monat mobil zu arbeiten. Mit Blick auf Corona wird im Einzelfall entschieden, zum Beispiel, wenn es Probleme bei der Kinderbetreuung gibt oder der Arbeitnehmer zur Risikogruppe gehört.
Neue Regeln
Eine neue Homeoffice-Verordnung, die zunächst bis 15. März befristet ist, hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch dem Bundeskabinett vorgelegt. Danach sind Unternehmen verpflichtet, den Beschäftigten einen Arbeitsplatz zuhause anzubieten, „soweit dies nach den betrieblichen Gegebenheiten möglich ist“. Die Verordnung ist Teil der Maßnahmen, die Bund und Ländern beschlossen haben.
Damit seien Arbeitgeber rechtlich verpflichtet, zu schauen, wo Homeoffice möglich sei, und müssten dies ihren Beschäftigten anbieten. so Heil.
Unternehmerverbände halten die Regeln dagegen für „unnötig“. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) spricht von einem „Bürokratiemonster“. (dpa)
„So ist es per Betriebsvereinbarung geregelt“, erklärt Unternehmenssprecher Lars Niemczewski. Von der Idee, die komplette Verwaltung nach Hause zu schicken, hält man bei S+C wenig. Zum einen stelle das sämtliche Betriebsabläufe auf den Kopf, so Niemczewski. Erfahrungen aus dem ersten Lockdown hätten zudem gezeigt, dass gar nicht alle Beschäftigten ins Homeoffice wollten. „Weil sich dann dort Privates und die Arbeit miteinander vermischen“, so Niemczewski. Falls Heimarbeit angeordnet werde, sei S+C technisch vorbereitet.
Die Volksbank Berg hat inzwischen die Hälfte ihrer Arbeitsplätze fit für das Homeoffice gemacht. „Diese Möglichkeit wird von den Kollegen rege genutzt und es ist auch erwünscht, dass sie wahrgenommen wird“, berichtet Marketingleiterin Tanja Paas. Schon im Frühjahr habe die Bank Menschen aus der gleichen Abteilung auf verschiedene Geschäftsstellen aufgeteilt, damit im Quarantäne-Fall nicht ganze Zweige auf Eis liegen. Für die Kollegen am Schalter mache das Homeoffice natürlich keinen Sinn, so Paas.
Schon vor Corona Erfahrungen mit heimischen Arbeitsplatz
Schon vor Corona hat das Amtsgericht Wipperfürth Erfahrung mit dem heimischen Arbeitsplatz gesammelt. „Bei Richtern und Rechtspflegern ist das seit langem möglich, unabhängig von der Pandemie“, erklärt Gerichtsdirektor Andreas Türpe. Für Servicekräfte bestehe diese Möglichkeit noch nicht flächendeckend, befinde sich aber im Aufbau. Zugute komme dem Gericht dabei sicher, dass es als Pilotgericht zum Test der elektronischen Akte ausgewählt worden sei, so Türpe.
Im Handwerk sieht man eine Verschärfung der Homeoffice-Regeln dagegen kritisch. „Ich mache mit meinen Männern an jedem Morgen eine Einweisung in die speziellen Gefahren der anstehenden Baustelle, das muss ich persönlich machen, das geht nicht per Videokonferenz“, betont Achim Büscher vom Gerüstbauer Sonntag.
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Marius Lubetzki und Marcel Hönerbach räumen ein, dass ihre Branche die Verlagerung des Arbeitsplatzes sicher leichter umsetzen könne als andere. „Trotzdem: Viele Vorbehalte sind grundlos. Die Produktivität unserer Mitarbeiter zu Hause ist ganz sicher gestiegen“, hat Lubetzki beobachtet. Ein Dauerzustand soll das Homeoffice aber auch bei „Neuland“ nicht sein.
Die Chefs berichten von Kollegen, die allein leben und den Büroalltag besonders vermissen. „Denen ist erst das Fitnessstudio weggebrochen, dann das Treffen mit Freunden und jetzt sehen sie selbst bei der Arbeit niemanden mehr“, beschreibt Lubetzki. Als Arbeitgeber trage man auch eine soziale Verantwortung. „Und das Gespräch über den Schreibtisch fehlt uns allen“, so Hönerbach.