Der Heimat- und Geschichtsverein veröffentlicht die Memoiren von Leo Diepgen, verwandt mit dem Berliner Politiker Eberhard Diepgen
Geschichten aus der GeschichteWas Berlins Ex-Bürgermeister Diepgen mit Wipperfürth verbindet
Eberhard Diepgen war von 1984 bis 1989 und von 1991 bis 2001 Regierender Bürgermeister von Berlin. Vorfahren von ihm haben im Bergischen gelebt, genauer gesagt in Lindlar und Wipperfürth. In seiner jüngsten Ausgabe der „Wipperfürther Vierteljahresblätter“, Nr. 172, hat der Heimat- und Geschichtsverein Wipperfürth (HGV) einen Auszug aus den Jugenderinnerungen von Leo Diepgen veröffentlicht, dem Großonkel des bekannten Berliner Politikers.
Leo Diepgen schildert dort auf humorvolle Art die Zeit, die er in den 1880er und 90er Jahren regelmäßig bei seinen Großeltern verbrachte, der Wipperfürther Fabrikantenfamilie Ewald und Therese Hamm, geborene Drecker. Erich Kahl, der Vorsitzende des Vereins, hat diesen Beitrag mit zahlreichen historischen Fotos der Familie und der Stadt Wipperfürth versehen und dazu eine gründlich recherchierte Einleitung geschrieben.
Der Aufsatz, der über die Internetseite des HGV abgerufen werden kann, ist ein zeithistorisches Dokument über das Leben in Wipperfürth. Auch heute, mehr als 100 Jahre nach der Niederschrift, sind die Erinnerungen amüsant zu lesen. Ewald Hamm, geboren 1814 in Lindlar, gründete 1837 zusammen mit seinem älteren Bruder Constantin die Textilfabrik C. & E. Hamm, seit 1850 war die Fabrik an der „Ersten Mühle“ in Wipperfürth ansässig.
Sein Enkel Leo Diepgen (1877 – 1955) hat zusammen mit seiner Mutter Maria Diepgen, geborene Hamm, und seinen Geschwistern als Kind und Jugendlicher regelmäßig die Wipperfürther Großeltern besucht. Er beschreibt Ewald Hamm wie folgt: „Bis in seine letzten Jahre ging er glattrasiert. Er rasierte sich selbst; wir Enkel sahen teilnahmsvoll zu. Sein schneeweißes Haupthaar stand gut zu seinem frischen Gesicht. Jahraus, jahrein trug er einen schwarzen Knierock aus feinem Tuch, den er mit einem aufgerollten Tuchstreifen aufs peinlichste sauber hielt. Nur an heißen Sommertagen gestattete er sich ein kurzes, schwarzes Lüsterröckchen. Weißes Stärkehemd und Seidenbinde gehörten zum Anzug.“
Leo Diepgen erinnert sich, dass er seinen Großvater Ewald Hamm regelmäßig zum Kegelabenden begleitete. „Beim Kegeln war er mit Leib und Seele dabei; noch mit 80 Jahren warf er einmal alle Neune. An einem Schoppen Moselwein zu 50 oder 60 Pfennig trank er zwei Kegelabende; er versüßte ihn durch reichlichen Zucker. Wir Enkel wurden zu einem Schnittchen Schweizerkäse eingeladen, das 10 Pfennig kostete.“ Die Großmutter Therese scheint eine zierliche, aber sehr energische Person gewesen zu sein, die ihren Mann beherrschte. Ihr größtes Vergnügen war das Skatspiel.
Haus der Großeltern war sehr einfach eingerichtet
Das Haus der Großeltern, so erinnert sich Leo Diepgen, war sehr einfach eingerichtet. Elektrisches Licht und Zentralheizung waren noch unbekannt, Trinkwasser wurde aus einem öffentlichen Brunnen geschöpft. Das Essen war sehr einfach: „Sonntags gab es regelmäßig Fleischbrühe, Suppenfleisch mit Gürkchen und Kartoffeln mit Rahm- und Zwiebeltunke sowie eine Eiercreme oder ,Budäng, wie Großmutter sprach.“ Als Nachtisch gab es für alle zusammen eine Apfelsine. Leo Diepgen besuchte in Wipperfürth zeitweise auch die Schule. „Als ganz kleiner Junge von fünf Jahren ging ich in die Knaben- und Mädchenschule von Frl. Schatz. Sie war in ihrer Jugendzeit Dienstmädchen im Hause der Großeltern gewesen. Wir mussten die Worte so aussprechen, wie sie geschrieben wurden, also: Frühling=g, Jung=ge.
Der Stock spielte im Unterricht eine große Rolle. Die Jungen mussten seine Gaben knieend und mit aufgestützten Ellenbogen entgegennehmen, die Mädchen wurden vor der Klassentüre abgestraft.“ Sehr viel schöner waren die Ferien. Die Kinder spielten stundenlang am Ufer der Wupper, warfen mit flachen Steinen, fingen kleine Fische und kamen abends mit nassen Füßen nach Hause. Gute Erinnerungen hatte Leo Diepgen an seinen Onkel Robert Hamm und dessen Tochter Hedwig, im gleichen Alter wie Leo und für alle Streiche zu haben. Der Onkel wohnte herrschaftlich in der heute noch sogenannten „Villa Hamm“ an der Lenneper Straße, dort, wo heute das Wipperfürther Notariat seinen Sitz hat.
Wanderungen bis zur Müngstener Brücke
Als Teenager unternahmen Leo und sein Bruder Paul mit Robert Hamm ausgedehnte Wanderungen, etwa nach Burg an der Wupper oder zu der gerade im Bau befindlichen Müngsterner Brücke, aber auch nach Gimborn und zur Dynamitfabrik in Gogarten. Auch Sport wurde allmählich populär, „etwa 1893 kam das Tennisspiel nach Wip, anfänglich als Zeichen wilder Emanzipation mit scheelen Augen angesehen; auch daran beteiligten wir uns mit Eifer“, erinnerte sich Leo Diepgen. „Der Aufenthalt in dem rauen Wipperfürther Klima war für uns jedes Mal eine Erfrischung, Abhärtung und ein Wachstum für Leib und Seele.“