Eine 73-jährige Gladbacherin muss sich als Stalkerin vor Gericht verantworten. Taxifahrer, Altenpfleger und eine Tankwartin belasten sie.
Gutachten nötig73-jährige Gladbacherin soll Taxifahrer und Altenpflegerinnen gestalked haben
Bei „Stalkern“ denkt man gewöhnlich an jüngere Männer oder Frauen, die eine Abfuhr nicht verkraften und dem Objekt ihre Begierde oder Träume immer wieder nachstellen. 73-jährige alte Damen mit Hut kommen einem eher nicht in den Sinn. Die Bergisch Gladbacherin Erna N. ist 73, und sie trägt ihren Hut auch vor Gericht, wo sie sich wegen Nachstellung, Beleidigung, Nötigung, Verleumdung und Hausfriedensbruchs verantworten muss.
Sehr lang dauert die Verhandlung an diesem frühen Freitagnachmittag bei Strafrichterin Pauline Willberg nicht. Es ist quasi ein erstes Beschnuppern. Dann ist klar, dass Erna N., die in Wirklichkeit anders heißt, psychiatrisch begutachtet werden muss. Wie steht es um ihre Schuldfähigkeit?
Denn auch dem Gericht gibt die ledige Angeklagte permanent Kostproben ihres Sozialverhaltens: Sie fragt die Richterin, ob sie ihr mitgebrachtes Plastiktütensammelsurium auf dem Gerichtsflur stehen lassen könne: „Hier wird dort nicht geklaut, oder?“ Sie verkündet, dass sie jetzt eine Beruhigungstablette „einwerfe“ werde und wenig später, dass ihr Bus in ein paar Minuten fahre.
Immer wieder fällt sie der jungen Richterin und dem erfahrenen Staatsanwalt ins Wort, wohingegen sie ihren Strafverteidiger keines Blickes würdigt – möglicherweise, weil ein anderer Jurist aus dessen Anwaltskanzlei den Vermieter der Angeklagten in einer Räumungsklage gegen sie vertritt.
Angeklagte soll Altenpflegerinnen beleidigt und am Fahren gehindert haben
Zwischendurch zeigt Erna N. mit dem Zeigefinger auf den Verfasser dieser Zeilen, den einzigen Zuschauer im Raum, und fragt ihn mit schneidender Stimme, ob er der Psychiater Dr. K. sei. Dessen Untersuchungsbemühungen im Vorfeld hatte sie bereits telefonisch zu blockieren versucht.
Die Anklage, die der Staatsanwalt umständehalber in mehreren Etappen verliest, wirft der Frau vor, zwischen Dezember 2021 und September 2023 einer ganzen Reihe von Mitmenschen ganz erheblich zur Last gefallen zu sein. Gegenüber Mitarbeitenden eines ambulanten Pflegedienstes, die ihre mittlerweile verstorbene Mutter in deren Wohnung versorgt hätten („zu Tode gepflegt“, kommentiert die Angeklagte im Prozess), sei sie mehrfach ausfallend geworden.
Sie habe die Notfallnummer des Pflegedienstes angerufen und die Leitung blockiert, um Beleidigungen wie „Drecksladen“ oder „Drecksweib“ auszustoßen. Auch habe sie Pflegerinnen im Straßenverkehr aufgelauert, sich vor deren Fahrzeuge gestellt und sie so am Wegfahren gehindert.
Zwei Bergisch Gladbacher Taxifahrer beklagen Nachstellung
Immer wieder gestalked habe Erna N. aber auch einen Bergisch Gladbacher Taxifahrer. Dem habe sie am Halteplatz in der Innenstadt aufgelauert, ihn angerufen oder sei um sein Wohnhaus geschlichen. Aufgrund der psychischen Belastung habe der Mann schließlich aufgegeben, sein Unternehmen verkauft und sei in Pension gegangen. Einen weiteren Taxifahrer habe sie ebenfalls mehrfach behelligt.
Und schließlich habe sie trotz Hausverbots eine Bergisch Gladbacher Tankstelle aufgesucht, eine Mitarbeiterin als „fette Sau“ und „fette Hure“ beschimpft und mit einer Handbewegung angedeutet, sie werde ihr den Kopf abtrennen.
Angeklagte sagt, sie sei zum Gespräch mit Psychiater bereit
Nach nicht einmal einer halben Stunde ist der erste Prozesstermin vorbei. Die Angeklagte will sich zu den Vorwürfen nicht äußern, außer, dass sie einmal nur einen Witz gemacht habe und einer der Taxifahrer seinerseits eine obszöne Bemerkung ihr gegenüber.
Zu einem Gespräch mit einem Psychiater sei sie grundsätzlich bereit, wenn es denn nicht der Dr. K. sei. Wenn dieses Gespräch erfolgt ist, wird es einen neuen Gerichtstermin geben, und dann werden wohl auch die sieben Zeugen der Anklage geladen.
Offen bleibt allerdings, was am Ende des Prozesses herauskommen kann. Im Extremfall könnte Erna N. wegen der bei ihr vermuteten psychischen Störung – etwa einer schizophrenen oder schizoaffektiven Psychose – gar nicht schuldfähig sein. Andererseits sind die ihr vorgeworfenen Taten womöglich nicht so gravierend, dass eine im Grundsatz mögliche Einweisung in einer psychiatrischen Klinik unverhältnismäßig wäre (siehe „Im Wortlaut“).
In diesem Fall wäre dann tatsächlich am Ende außer Spesen nichts gewesen.
Im Wortlaut: Paragraf 63 StGB
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist ...