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InterviewBergisch Gladbachs Bürgermeister sorgt sich um die Demokratie

Lesezeit 6 Minuten
Bergisch Gladbachs Bürgermeister Frank Stein im Interview.

Bergisch Gladbachs Bürgermeister Frank Stein im Interview.

Im Interview zeigt sich Bergisch Gladbachs Bürgermeister Frank Stein selbstbewusst und blickt zufrieden auf seine Arbeit in 2023.

Im Büro von Bürgermeister Frank Stein (SPD) steht ein Tisch voller Fotos mit Familienmitgliedern. Bevor wir uns setzen und das eigentliche Interview beginnt, bleibt Stein vor dem Tisch stehen. Auch privat sei 2023 nicht unbedingt ein leichtes Jahr gewesen. Aber gut: Mit dem Marathon in New York habe er sich einen persönlichen Traum erfüllt. Und dann sitzen wir am ovalen Bürgermeistertisch.

Stein: Aber die eindrucksvollste Reise war nach Israel und ins Westjordanland. Wir in Gladbach haben ja mit unseren Partnerstädten Ganey Tikva in Israel und Beit Jala im Westjordanland eine ganz besondere Beziehung. Als ich dort war - also noch weit vor dem Überfall der Hamas auf Israel und dem Krieg in Gaza - habe ich die Lage im Westjordanland als wirklich deprimierend und perspektivlos empfunden. Aber auch unsere Freunde in Israel befanden sich in großen innenpolitischen Konflikten. Probleme über Probleme. Ich bin beeindruckt, aber auch bedrückt zurückgeflogen.

Sie waren auch in Butscha, Gladbachs Partnerstadt in der Ukraine.

Der Moment, in dem unser Konvoi nach zwei Tagen Fahrt in Butscha ankam, war unglaublich emotional. Wir haben mit den regelmäßigen Besuchen und Transporten von Hilfsgütern eine echte Brücke der Freundschaft gebaut. Es gibt viele sehr enge persönliche Kontakte und trotz des andauernden Krieges geht der Aufbau in Butscha mit beeindruckenden Erfolgen weiter. Ich kann die militärische Lage aus der Ferne nicht wirklich beurteilen, aber für die Ukraine gibt es aus meiner Wahrnehmung eine unverändert gute Perspektive – wenn der Westen seine Hilfe fortsetzt und nicht reduziert.

Das ist jetzt ein harter Bruch, aber zurück zur Situation in Bergisch Gladbach.

Die aber auch in vielerlei mit den Krisen der Welt verknüpft ist. Klimakrise, Mobilitätsumbau, demografische Veränderung - und wir sind in einem Stadium des exponentiell schnellen Zerfalls unserer Infrastruktur angekommen. Es war ein auf vielen Feldern forderndes Jahr 2023. Ich bin stolz darauf, wie wir mit den Krisen in Bergisch Gladbach umgegangen sind.

Aber ist es wirklich so …

Lassen Sie mich zunächst eine Sache ansprechen, die mich wirklich sehr bewegt. Ich sorge mich zum ersten Mal in meinem Leben ernsthaft um unsere Demokratie. Die Angst vor „Weimarer Verhältnissen“ hatte ich bisher nie wirklich. Aber jetzt bin ich besorgt. Ich bin seit fast vierzig Jahren Sozialdemokrat und das werde ich auch bleiben. Aber es fiel mir noch nie so schwer, mich mit dem zu identifizieren, was in Berlin derzeit passiert. Es fehlt mir an Struktur, Konsequenz und Perspektive. Und es gelingt nicht - das ist für mich das Wichtigste - den Menschen die Richtigkeit und Notwendigkeit des Regierungshandlens zu vermitteln.

Frank Stein fordert von allen Fraktionen im Rat, dass sie Verantwortung zeigen.

Frank Stein fordert von allen Fraktionen im Rat, dass sie Verantwortung zeigen.

Aber ist es wirklich so, dass Sie durchweg zufrieden mit den Entwicklungen in Bergisch Gladbach sind?

Selbstverständlich gibt es immer Dinge, die noch besser hätten laufen können. Aber schauen Sie doch an, wo wir 2017 gestanden haben. Für meine politischen Ziele war es notwendig, die Verwaltung neu aufzustellen. Zwei neue Beigeordnete wurden gewählt, fast alle Fachbereichsleiterstellen wurden seitdem neu besetzt. Es war mir klar, dass ich Zeit brauchen würde. Aber jetzt läuft es. Auch bei den Schulen. Allerdings: Ich hätte nicht geglaubt, wie dramatisch deren Bauzustand ist. Wir haben mittlerweile bauliche Steckbriefe für alle Schulen erstellt und werden sie im ersten Sitzungsturnus der Politik vorstellen, verbunden mit dem Vorschlag einer verbindlichen Schulbauplanung. Dann muss die Politik bei der notwendigen Priorisierung Farbe bekennen.

Sie haben noch als Kämmerer von Bergisch Gladbach die Grundlage dafür geschaffen, dass die Stadt in den vergangenen Jahren sehr viel Geld investieren konnte. Ich habe aber das Gefühl, dass nun wirklich alle Reserven verbraucht sind, die Party vorbei ist.

Ganz eindeutig nein. Wir halten alle unsere Versprechen, die wir gegeben haben. Dafür ist der Doppelhaushalt 2024/2025 der Beleg.

Und trotzdem ist die Stimmung in der Stadt nicht gut.

Ich teile diese Einschätzung nicht. Ich erfahre viel positiven Zuspruch aus der Stadtgesellschaft. Und investiere viel darin, die Menschen in dieser Verwaltung - immerhin 1500 Kolleginnen und Kolleginnen - bei dem notwendigen „Change Management“ mitzunehmen. Die Stimmung ist nicht schlecht.

Beim Thema Verkehr hagelt es doch heftige Kritik aus der Bevölkerung.

Verkehr ist nicht nur Laurentiusstraße – und auch da bin ich mit der letztlich auf meinen Vorschlag hin getroffenen Entscheidung der Politik absolut einverstanden. In Schildgen wehren sich vor allem Geschäftsleute gegen den Wegfall der Parkplätze. Da habe ich die Wahrnehmung, dass wir uns in einer intensiven, aber auch guten Diskussion befinden. Am Ende wird es auch dort eine gute Lösung geben. Aber schon jetzt überwiegen die positiven Beispiele. Paffrather Straße, Dellbrücker Straße, Alte Wipperfürther Straße, Odenthaler Straße und auch das Projekt „Rad macht Schule“. Übrigens sind die Beschwerden über Baustellen auch ein guter Indikator. Nur wenn gebaut wird, können Baustellen für Ärger sorgen. Bergisch Gladbach ist 2023 ganz eindeutig in eine Umsetzungsphase gekommen. Erst haben wir sorgfältig geplant, jetzt wird gebaut. Wir schauen dem Verfall unserer Infrastruktur nicht mehr tatenlos zu.

Und wie sieht es bei dem für die Stadt wichtigsten Infrastrukturprojekt, bei Zanders, aus?

Ich bin sehr zufrieden, was wir 2023 erreicht haben. Wir haben uns auf wichtige Kennzahlen festgelegt. Auf dem Zanders-Gelände sollen 3000 Menschen wohnen und 3000 arbeiten. Weiter hat die Politik einstimmig der Gründung einer Zanders-Projektgesellschaft zugestimmt und wir werden über einen Personaldienstleister einen Projektmanager suchen. Er wird das Gesicht für die Zanders-Konversion sein. Und vor Ostern 2024 werden uns nach dem jetzigen Plan die letzten Zanders-Hallen vom Insolvenzverwalter übergeben. 2024 werden wir das Gelände zumindest für Wegeverbindungen öffnen können.

Bei der Haushaltseinbringung haben Sie eine lange Liste mit erfolgreichen Projekten eingebracht. Und doch ist eine politische Mehrheit nicht absehbar.

Zunächst ist es ja so, dass niemand im Rat ernsthaft behauptet, wir hätten nichts zustande gebracht. Wir können objektiv gute Ergebnisse vorweisen. Aber Fakt ist, dass es die Ampel nicht mehr gibt und Grün-Rot keine Mehrheit im Rat hat. Deshalb existiert auch keine Regierung oder Opposition.

Da haben Sie früher ganz anders argumentiert. Sie sahen sich als Teil einer „Gestaltungsmehrheit“ - also als Teil eines politischen Bündnisses. Jetzt, wo dieses Bündnis keine Mehrheit mehr hat, rufen Sie insbesondere die CDU dazu auf, Verantwortung zu zeigen.

Das ist doch kein Widerspruch. Die Situation hat sich seit dem Ende der Ampel geändert. Jetzt sind alle im Rat vertretenen Parteien gefordert, Verantwortung für die Stadt zu übernehmen. Ich sage mal so: Wenn die CDU einen Bürgermeister mit SPD-Parteibuch kritisiert, ist das Teil der politischen Folklore und für mich ein völlig normaler Teil des Geschäfts. Damit habe ich auch keine Probleme. Ich habe aber ein großes Problem damit, wenn politische Grabenkämpfe der Stadt schaden. Die gewählten Ratsvertreterinnen und Ratsvertreter dürfen sich nicht ihrer Verantwortung entziehen.

Konkret dem Haushalt nicht zustimmen oder gar aktiv eine Mehrheit gegen den Haushalt organisieren.

Angesichts der schlimmen Folgen einer haushaltslosen Zeit wäre das verantwortungslos. Es müssen alle Fraktionen ihre Positionen zum Haushalt definieren und in Verhandlungen untereinander zu einem Ausgleich bringen. Dafür wurden sie von den Menschen gewählt.

Herr Stein, werden Sie erneut als Bürgermeister kandidieren?

Diese Frage musste ja kommen. Ich werde mich im nächsten Jahr entscheiden.