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„Zanders, das ist meine Familie“Für die insolvente Gladbacher Fabrik endet eine Ära

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Ein Großteil des Zanders-Areals wurde von der Papierfabrik genutzt.

Bergisch Gladbach – Die Schicht von Pförtner Rainer Klein begann am Freitagmorgen um fünf. Da war die Welt zwar nicht in Ordnung, aber Klein hatte noch Hoffnung. Irgendwie. „Ich hatte zwei Tage Urlaub und natürlich gehört, dass es jetzt wirklich ernst wird.“ Aber dann, irgendwann nach acht Uhr, wurde die Welt des Zandrianers aus den Angeln gehoben. „Da war es dann klar, dass es vorbei ist.“ Wenn er von dem Tod eines Verwandten oder Freundes gesprochen hätte, dann hätte sich das wohl kaum anders angehört. Zanders ist tot.

Vom Pförtner geht es zum Büro des Betriebsrates. Taner Durdu und Alexander von Heldreich sitzen in Sesseln. Sie halten Abstand wegen Corona. „Ich bin einfach nur leer“, sagt Durdu. Von Heldreich beantwortet Nachrichten auf seinem Smartphone. Die beiden sitzen seit dem frühen Morgen zusammen. Durdu sagt, dass er gestern Abend die letzte Hoffnung aufgegeben habe.

Das Ende der Papierfabrik wurde am Freitagmorgen verkündet

Er, der in der Vergangenheit lautstark alle Beteiligten angegriffen hatte, um das Werk zu retten, spricht leise. „Wir fragen uns die ganz Zeit, was wir hätten besser machen können. Wo haben wir Fehler gemacht?“ „Wir haben keine Fehler gemacht“, sagt von Heldreich. Ohne die Arbeit des Betriebsrates würde es Zanders doch schon lange nicht mehr geben. Durdu und von Heldreich rufen einen Kollegen, der durch das leere Werk führen soll. Das Ende der Papierfabrik wurde am Freitagmorgen offiziell verkündet. Aber die Maschinen laufen schon seit Tagen nicht mehr. Es ist gespenstisch ruhig auf dem Weg zur PM3, der Wundermaschine aus dem Jahr 1986. Mit ihr sollte die Zukunft des Werkes gesichert werden.

Stadt verspricht den Beschäftigten Hilfe

Bürgermeister Frank Stein reagiert erschüttert: „Das ist ein schwarzer Tag für Bergisch Gladbach.“ Das Ende der Papierproduktion sei tragisch. Die Zandrianer hätten mit viel Herzblut und auch mit finanziellem Verzicht alles ihnen Mögliche getan, um die Krise zu überwinden: „Ich zolle jedem einzelnen Mitarbeiter und dem Betriebsrat meinen großen Respekt.“

Bei Zanders zu arbeiten, habe über fast zwei Jahrhunderte für viele Bergisch Gladbacher berufliche Sicherheit und ein gutes Einkommen bedeutet. Die Stadt hätte sich ohne diese bedeutende Firma niemals in der Form entwickeln können, wie es sie heute gibt, betont Stein. Was die Insolvenz langfristig für die Stadt bedeute, dazu sagt Stein nichts. Jetzt gehe es in erster Linie darum, den Betroffenen konkret zu helfen:„Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“

Der Bürgermeister kündigt an, dass sich die Stadt dafür einsetzen werde, den Beschäftigten eine berufliche Perspektive zu verschaffen. Vorstellbar seien Jobbörsen, Qualifizierungs- und Vermittlungsprogramme oder die Gründung einer Transfergesellschaft. „Wir werden kurzfristig alle an einen Tisch bringen, die uns dabei helfen können“, verspricht Stein. (ub)

Wenn die Maschine läuft, dann ist es in der Halle laut und heiß. Riesige Papierrollen werden von Kränen durch die Luft gehoben. Jetzt ist es kalt in der Halle. Mit einem Fahrrad fährt eine Putzkraft an der PM3 vorbei. Der Boden glänzt vor Sauberkeit.

Und dann tauchen doch noch Zandrianer auf. Sie sind gekommen, zu einer Schicht, in der es nichts mehr zu tun gibt. Frank Detering arbeitet seit 42 Jahren im Werk. Hat sich hochgearbeitet zum Maschinenführer. „Zanders, das ist meine Familie“, sagt er. „Mit unseren Kollegen habe wir mehr Zeit verbracht als mit unseren Frauen“. Eine Steilvorlage für einen Witz. „Manche arbeiten deshalb doch hier“, kommt es dann auch prompt. Und dann wird gelacht.

Die wenigen, die noch im Werk sind, versammeln sich ein letztes Mal. „Ich glaube nicht das es vorbei ist“, sagt einer. Die PM3 sei wegen ihrer Vielfältigkeit die beste Maschine der Welt. Keiner der Männer weiß, wie es weitergeht; 360 Mitarbeiter sind insgesamt betroffen. „Arbeitslos, was sonst“, sagt Detering. Die Männer in der Runde sind alle über 50, Anfang sechzig. Einige ihrer früheren Kollegen haben Arbeit bei anderen Unternehmen gefunden. „Aber wir sind alle zu alt. Uns will keiner mehr.“ Auf dem Rückweg zum Hauptgebäude dann ein jüngerer Mann. Und zum ersten Mal spricht ein Zandrianer mit Wut im Bauch: „Verarscht haben sie uns, richtig verarscht.“ Wer das gewesen sein soll, ist nicht so recht klar.

„Hier und heute endet die Geschichte der Papierfabrik Zanders.“

Von der PM3 zum Hauptgebäude ist es für Werksfremde ein Gang durch ein undurchsichtiges Labyrinth. Zanders ist über die Jahrzehnte gewachsen. Es wurde an- und umgebaut. Im Zanderswerk kennen sich nur Zandrianer aus. In einem verwinkelten Gang hängt eine stehengebliebene Uhr. Sie zeigt sieben vor acht an. Um diese Zeit etwa hat der Insolvenzverwalter Mark Boddenberg das Ende der Fabrik offiziell verkündet. Aber wahrscheinlich steht die Uhr schon sehr lange. In einer großen Halle liegen alte Maschinenteile. Ordentlich sortiert. Keiner wird sie mehr brauchen. Sie werden, wie so vieles in dem Werk, verschrottet.

Eine Sammlung von Maschinenteilen.

Das Büro des Betriebsrats liegt im Hauptgebäude. Dort hat es früher eine Kantine gegeben. Schon lange geschlossen. Die herrschaftlichen Büros der früheren Geschäftsführer werden nicht mehr gebraucht. In einem Trakt hat der Betriebsrat seine Räume. Durdu und von Heldreich überlegen, was noch zu tun ist. Nicht mehr für die Rettung des Werkes, sondern für die Abwicklung. Die Nachricht kommt herein, dass die Stadt Bergisch Gladbach zusammen mit dem Arbeitsamt eine Veranstaltung im Bergischen Löwen abhalten will. Und dann kommt Insolvenzverwalter Mark Boddenberg dazu. Den Bericht über die immer noch hoffenden Zandrianer kommentiert er kopfschüttelnd: „Hier und heute endet die Geschichte der Papierfabrik Zanders. Es gibt keine Wiederauferstehung.“

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Boddenberg hat zwei Monate versucht, das Ruder herumzureißen. Letztlich erfolglos. „Aber Zanders hätte ein Zukunft gehabt.“ Die Mannschaft sei einfach unglaublich. „Ich mache das jetzt seit 19 Jahren, aber noch nie habe ich erlebt, dass eine Belegschaft wirklich bis zum letzten Tag alles gegeben hat.“ Das Ende der Fabrik habe etwas „tragisches“. Boddenberg muss auch die Kasse des Betriebsrates sichern. Da sind nur ein paar Euro drin. Aber Ordnung muss sein, es ist so vorgeschrieben.