Straßenfest in Bergisch GladbachSo war das erste Veedelsfest in Refrath
Bergisch-Gladbach-Refrath – Es ist meine alte Heimat, sozusagen das Veedel, in dem ich jroß jewode bin. Mit 56 Herzchen auf der Karte spaziere ich nun beim „Veedelsfest“ durch Refrath, das längst nicht mehr so aussieht wie in meinen Kindertagen. „Man muss mal wieder was wagen“, hatte mir Brigitta Opiela im Vorgespräch erzählt. Was im Fachjargon „Quartiersmanagement“ heißt und das soziale Stabilisieren von Stadtteilen meint, nahmen sie und ihre beiden Mitstreiterinnen Petra Müller-Nitsche und Dagmar Reitz zum Anlass, etwas Neues anzustoßen.
„Ich denke, wir müssen in Zukunft näher zusammenrücken“, sagt sie. „Und der erste Schritt dazu ist es, sich kennenzulernen.“ Und so begannen die drei Frauen, Refrather mit Refrathern zu verbinden. Jeder sollte mitmachen können, und es sollte nicht um kommerzielle Ziele gehen, sondern um Begegnung. Jedes Angebot erhielt ein Herz im Stadtplan.
Refrath: Kleine Gartenlesung
Auch rund um mein Elternhaus finde ich mehrere Herzchen im Plan. Auf dem Spielplatz, den es damals schon gab, haben „Daniela & Daniela“ zwischen Rutsche und Tischtennisplatte zwei Sessel und einen kleinen runden Tisch aufgestellt. Ihr Beitrag: Eine Lesung mit Gartengeschichten von Daniela Hepfer und praktische Tipps zu Kräutern und Heilpflanzen von Daniela Schmidt. Zu jeder halben Stunde. Und so sitze ich dort mit immerhin fünf weiteren Zuhörern im Schatten der Bäume, lausche der bezaubernden Geschichte und denke: Wie anders, wie schön, welch unvermutetes Geschenk.
Höchstens drei Fußminuten weiter stehe ich auf dem Hof-Flohmarkt von Heidi Stäger und „Bücher zu Bausteinen“. Schon lange sammelt die Initiative Bücher und finanziert damit Projekte in Afrika. „Aber selbst viele Nachbarn wissen noch nicht, dass es uns gibt“, sagt Stäger und nutzt das Veedelsfest, um dies zu ändern. Am Ende des Tages gibt es mehr wissende Nachbarn, und zudem mehr, die Heidi Stäger ab jetzt mit Namen statt mit Kopfnicken grüßen werden.
Refrather St.-Hubertus-Schützen organisierten Biathlon
Nochmal um die Ecke könnte ich in einem Privathaus Doppelkopf, Skat oder Fingertwist spielen – und dabei vermutlich länger verweilen. Doch ich ziehe erstmal aus dem ruhigen Wohnviertel in die lebhafte Einkaufsmeile, in der die Herzchen-Stellen inmitten des Samstagseinkaufs allerdings weniger auffallen.
Direkt am Kahnweiher jedoch bleiben viele am Schild „Hier Biathlon!“ verdutzt stehen. So war das gedacht von der Schützenbruderschaft St. Hubertus, denn die Sportschützen haben laut Aussage ihres 1. Brudermeisters Jürgen Honrath „schwer dran zu knabbern“, dass es zu wenig Nachwuchs gibt. Ein paar Stufen weiter unten stehe ich mit einer ganzen Reihe weiterer erstaunter Besucher in einem Vereinsraum mit Schießstand, welcher sich bis heute meiner Kenntnis entzogen hatte, obwohl er älter ist als ich. Eine Frau fragt nach, ob hier „auch geschossen oder nur gefeiert“ werde. Vorurteile werden zerstreut. Man lacht gemeinsam.
Fest in Refrath „total süße Idee“
Die Geschwister Vivica (22) und Nikolai Schmidt (19) stecken sich etwas mühsam ihre Startnummern 399 und 392 an die Brust, schießen dreimal mit dem Luftgewehr, laufen um den Weiher und schießen erneut dreimal. Biathlon im Veedel. „Ich finde, dieses Fest ist eine total süße Idee“, sagt Vivica. Ihr Bruder ist sogar extra dafür aus Aachen gekommen.Auf selbstgebastelten Stempelkarten dokumentieren die beiden ihre persönliche Herzchen-Tour durch die Nachbarschaft.
Ich finde inzwischen die Veedels-Idee grandios. Sie funktioniert. Sie geht ans Herz. Und weil ich noch im Ohr habe, dass der im Grunde einfache Gedanke der Begegnung auf eine ganze Reihe bürokratischer Herausforderungen stieß, steigt meine Hochachtung vor der „Man muss mal was wagen“-Mentalität der Organisatorinnen. Um es vorweg zu nehmen: Sie wollen es wiederholen. Eine gute Nachricht.
Refrather beklagt dichte Bebauung
Nun muss ich mich entscheiden: Stofftausch und Nähaktion, Gospel-Workshop, Alte Kinderspiele, Modenschau, Samba Open Air oder doch der Biodanza-Tanz im Privatgarten? Letztlich lande ich bei der Baumschule Becker; wieder etwas abseits vom Trubel und mit einer Rallye durch die Pflanzenbeete.
Beim Obst- und Gartenbauverein werde ich zum Pflaumenkuchen eingeladen. Wir erzählen über Refrath, und wie sich der Ortsteil verändert hat. Alles werde zugebaut, nicht immer bedarfsgerecht, nicht immer schön. Vielfältig sei es, aber auch immer anonymer. Der Vorsitzende Klemens Delgoff bringt seit Jahren Garten, Kinder und Senioren zusammen.
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Veedelsarbeit vom Feinsten. „Man kann sich nicht entspannt in den Sessel setzen und glauben, es passiert alles von selbst“, sagt er vor sich hin. Ich weiß nicht recht, wen er gerade damit meint, denke aber, dass dieser Satz eigentlich auf alle und alles zutrifft – und auch das Wesen des Veedelsfests gut beschreibt. Und als ich wieder im Auto nach Hause sitze, wünsche ich mir, viel häufiger Herzchen im Stadtplan zu finden.