Freude und SorgeUkrainerin erwartet das erste Kriegs-Baby in Bergisch Gladbach
Bergisch Gladbach – Als Yulia Zdzozhek mit Mutter, Schwester und Tante aus Odessa vor dem Krieg in der Ukraine flieht, ist sie hochschwanger. In ein paar Tagen kommt nun ihr Kind, das erste ukrainische Kriegs-Baby in Bergisch Gladbach, auf die Welt – fernab ihrer Heimat und ohne ihren Mann.
Die Freude auf das erste Kind ist groß. Immer wieder streicht Yulia (23) sanft über ihren Bauch. „Es wird ein Junge“, sagt sie, und es gibt schon einen Namen: „Maxim wird er heißen.“ Sie sei froh und dankbar, jetzt hier in Sicherheit zu sein. Aber ihr Herz sei trotzdem schwer. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Denn es gibt noch eine andere Realität, die in ihrer Heimat. Ihr Mann, ihr Vater: Sie sind immer noch in Odessa, in Gefahr.
Ihre Strategie, mit dieser schwierigen Situation umzugehen: „Wir telefonieren jeden Abend“, sagt die junge Frau. Sie möchte persönlich vor ihrem Mann erfahren, wie es um ihre Heimatstadt steht. Ihr Mann Sergey (25) helfe, die Hafenstadt zu schützen. Immer wieder gebe es Angriffe der russischen Streitkräfte, fast ständig Luftalarm. „Ich kann nur beten, dass alles bald vorbei ist. Dass die russischen Raketen nicht unsere Häuser und unsere Männer treffen. Das ist das einzige, was ich tun kann.“
Mann Sergey ist in Odessa im Krieg geblieben
Yulia und ihr Mann Sergey hatten ein gutes Leben. Beide sind Apotheker. Niemals hätten sie geplant, das Land zu verlassen. Gerade zwei Tage im Mutterschaftsurlaub, ist das Paar dabei, Tapeten für das Kinderzimmer auszusuchen. Dann beginnt der Krieg: „Ein sehr großes, schreckliches Flugzeug flog ganz nah über unser Haus.“ Die Lampen vibrieren. Einige Tage später sei eine Rakete in einem Nachbarhaus eingeschlagen.
Da ist Yulia zum Glück schon im Haus ihrer Eltern, das einen Keller hat. Dort suchen Mutter Irina, die jüngere Schwester Victoria (13), ihre Tante Elena und deren Sohn Bogdan (6) tagelang Schutz vor Explosionen. Bis ihr Mann und ihr Vater am 2. März beschließen: Es ist zu gefährlich, Frauen und Kinder müssen fliehen.
Unterstützung
ASB übernimmt Patenschaft
Der ASB Bergisch Land übernimmt eine offizielle Patenschaft für Maxim. Seine Mutter und ihre Familie gehörten zu den ersten, die Anfang März in die Erstaufnahme-Einrichtung an der Saaler Mühle eingezogen waren. „Von Beginn an hat sich eine herzliche Beziehung zwischen unseren Mitarbeitern und der Familie entwickelt. Daraus ist der Wunsch erwachsen, Maxims erste Schritte zu begleiten und den widrigen Umständen, unter denen der Junge nun ins Leben startet, ein klein wenig zu trotzen“, erklärt Geschäftsführerin Anne Paweldyk.Der ASB stelle eine Grundausstattung, bestehend aus Wickelkommode, Kinderwagen, Kleidung und vielem mehr, angeschafft aus Spendengeldern. Doch damit sei das Thema Patenschaft noch längst nicht komplett, betont Paweldyk. Denn auch die übrigen Mitarbeiter fragten nach, was gebraucht werde, berichtet ASB-Pressesprecher Marco Wehr. „Das zeigt, wir nehmen die Verantwortung für Maxim sehr ernst und wollen seine Entwicklung auch langfristig begleiten“, so Wehr. (ub)
Die Flucht ist lang und strapaziös. Sieben Tage ist die Familie unterwegs, über Moldawien und Rumänien bis nach Deutschland. Die Busse sind voll, das Sitzen für die Hochschwangere beschwerlich: „Ich habe die meiste Zeit auf dem Boden im Mittelgang gelegen.“ Am 8. März kommt Familie Zdzozhek völlig erschöpft in der vom Arbeiter-Samariter-Bund geführten Erstaufnahme-Unterkunft an der Saaler Mühle an. Yulia hat Schmerzen. Leiterin Karin Hindrichs kümmert sich sofort um einen Untersuchungstermin im Vinzenz-Pallotti-Hospital. Die Erleichterung bei allen ist riesengroß: Gott sei Dank, mit dem Baby ist alles in Ordnung.
Familie ist in ein Büro eines Autohändlers eingezogen
Das alles ist nun über einen Monat her. Die Familie hat es inzwischen mit Hilfe der Stadtverwaltung raus aus der Sammelunterkunft geschafft. Sie wohnt jetzt in einem leerstehenden Büro des Autohauses Hillenberg am Gudrunweg.
Yulia führt als erstes stolz das Kinderzimmer vor. Sie zeigt auf ein Schild mit der Aufschrift „Mercedes Benz“, das noch über der Tür klebt. „Nein, hier wohnt künftig Maxim“, sagt sie und lacht. Der ehrenamtliche Dolmetscher Paul Kruk fungiert als Übersetzer. Yulia hat in Deutschland nichts für ihren Sohn. Aber Gladbacher Helferkreise und vor allem der Arbeiter-Samariter-Bund (siehe Infobox) springen ein, tragen zusammen, was man für ein Baby braucht. Yulia steht überwältigt von so viel Hilfsbereitschaft vor dem Kinderbett. „Sehen Sie sich das an. So viele Kuscheltiere!“ Eins ist ein Eisbär. Den hat die Familie auf den Namen Paul getauft. „Weil Paul Kruk uns die ganze Zeit zur Seite steht und sich um uns kümmert“, sagt Mutter Irina Zdzozhek.
In Deutschland gefällt der 43-Jährigen vor allem eins: „Was zugesagt wird, wird auch gemacht.“ Alexander Schu-Schmitthüsen, Geschäftsführer und Inhaber des Autohauses, sorgt dafür, dass Anschlüsse für Spül- und Waschmaschine gelegt werden. Stellt einen Wagen zur Verfügung, damit die gespendete Waschmaschine transportiert werden kann. „Eigentlich hatten wir mit dem Gebäude etwas anderes vor“, erzählt Schu-Schmithüsen. Dann sei der Ukraine-Krieg dazwischen gekommen: „Da haben wir uns dazu entschlossen, mit Wohnraum vorübergehend zu helfen.“ Die Stadt zahle pro Person Pauschalen für die Unterkunft sowie die Nebenkosten.
Für alle stellt sich die Frage, wie es für sie weitergeht
In dem zur Wohnung umfunktionierten Büro fühle sich die Familie wohl. Wenn es dort auch noch sehr karg aussieht. Das erste, das an der Wand hängt, ist ein Spiegel. Kruk hat ihn organisiert: „So viele Frauen brauchen doch unbedingt einen Spiegel“, sagt er. Benötigt wird jetzt unbedingt noch ein Kleiderschrank, sagt Irina Zdzozhek. Und Plätze in der Schule für ihre jüngere Tochter und den Sohn ihrer Schwester.
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Für alle stellt sich immer wieder die Frage, wie es nun für sie weitergeht. Ob sie sich auf längere Zeit in Deutschland einrichten müssen? Im Moment haben sie darauf keine Antwort: „Das Wichtigste ist, dass das Kind gesund auf die Welt kommt. Und dass bald Frieden ist“, sagt Yulia. Ihr Mann Sergey wäre gerne bei der Geburt dabei gewesen. Stattdessen ist es nun ungewiss, wann sich Vater und Sohn zum ersten Mal begegnen werden.