Mit Wichtelgeschenken von Bergisch Gladbacherinnen und Gladbachern hat sich eine Hilfskonvoi auf den Weg nach Butscha gemacht. Unser Redakteur Guido Wagner war dabei.
Wichteln für ButschaHilfskonvoi aus Bergisch Gladbach an ukrainischer Grenze ausgebremst
Es ist fast wie ein kleines (Vor-)Weihnachtswunder, als der mit Maschinenpistole bewaffnete Grenzsoldat gegen 1 Uhr in der Nacht das schwere Gittertor öffnet und der erste Wagen unseres Hilfskonvois in die Ukraine rollt. Nach 16 Stunden Wartezeit vor und in der Grenze hat es Fahrzeug Nummer 5 endlich geschafft. Jetzt sind es „nur“ noch 650 Kilometer bis in Gladbachs neue Partnerstadt Butscha.
Dort werden nicht nur die mehr als 1200 von Bergisch Gladbacherinnen und Bergisch Gladbachern gepackten Weihnachtspäckchen sehnlich erwartet, sondern auch ein Winterdienstfahrzeug, warme Kleidung und Hilfsgüter wie Heizlüfter in zwei Lastzügen des Konvoi. Doch bis dahin soll noch einiges anders kommen als geplant.
Ab der Grenze nur noch Funk
Während Feuerwehrmann Jesse Jungbluth und ich das Feuerwehrfahrzeug mit ersten Geschenken und einem gespendeten Auto auf dem Anhänger aus dem Grenzareal auf einen Parkplatz steuern, wo uns bald deutlich werden soll, dass wir uns in einem Land befinden, in dem Krieg herrscht, stehen die anderen noch in den Kontrollen von EU-Außengrenze und ukrainischen Grenzbehörden. Der letzte Hilfskonvoi-Lastzug wird am Ende mehr als 20 Stunden benötigen, um in die Ukraine zu kommen und nochmal mehr als zehn, um sie wieder zu verlassen.
Am Mittwochabend hat sich der Hilfskonvoi mit zwei Sattelzügen, einem Kleinlaster, dem mittlerweile elften Linienbus der Bergisch Gladbacher Hilfsaktion „Busse für Butscha“ und unserem Feuerwehrgespann auf den Weg gemacht.
Gedanken schießen einem durch den Kopf: Werden wir gerade mit den verpackten Geschenken an der Grenze durchkommen? Wie wird es diesmal sein in der Ukraine, in der sich die Verhältnisse in den vergangenen zehn Kriegsmonaten manchmal täglich änderten? Und wird die Übergabe an die Partner aus Butscha irgendwo im Nirgendwo der ukrainischen Weiten funktionieren?
Risiko nach Butscha zu fahren zu hoch
„Wir können diesmal noch nicht das Risiko eingehen, bis nach Butscha durchzufahren“, hat Gladbachs Feuerwehrchef Jörg Köhler den zehn Fahrern bei der Vorbesprechung erklärt. Deshalb haben er, Krisenmanagerin Nicole Haag, Partnerschaftsvereinsvorsitzender Frank Haag und Christian Fischer vom Vorbereitungsteam des mittlerweile vierten Gladbacher Hilfskonvois nach Butscha, einen Treffpunkt im Westen der Ukraine ausgemacht. Wir wechseln uns beim Fahren ab.
Keine 24 Stunden später ist die ukrainische Grenze erreicht. Nach einer Übernachtung im Hotel wollen wir in der Frühe zur Grenze. Doch als angemeldeter Hilfskonvoi einfach an der Schlange der teils Tage hier wartenden Lkw vorbeizufahren, funktioniert nicht mehr wie noch beim Hilfskonvoi im Mai. Der Grenzsoldat am Tor zur Grenzabfertigung erklärt uns freundlich, aber bestimmt mit umgehängter Maschinenpistole, dass auch wir uns auf dem Parkplatz 16 Kilometer vor der Grenze nochmals registrieren müssen.
Auf riesigen Leuchttafeln warten dort bereits Hunderte Lkw-Fahrer, dass sie zur Grenze vorgelassen werden. Wir haben zwar als Hilfskonvoi Priorität, bekommen aber trotzdem erst am Abend grünes Licht, verbringen die Nacht mit endlosen Stopps zwischen immer neuen Pass- und Ladekontrollen, Zolldeklaration und Schichtwechseln des Grenzpersonals. „Ein Glück, dass niemand wollte, dass wir alle Wichtelpäckchen aufmachen“, sagt Lkw-Fahrer Niklas Habers. Galgenhumor.
Mit Blaulicht ans Ziel
Weil wir in der Ukraine kein Handynetz mehr haben, wechseln wir auf mitgebrachte Funkgeräte, helfen uns so gegenseitig durchs Labyrinth der Kontrollen. Auch Simon Groß und Justin Lütz schaffen’s mit dem vom Rheinisch-Bergischen Kreis gestifteten Bauhofkleinlaster, obwohl Lkw unter 7,5 Tonnen eigentlich nur an einem Grenzübergang 30 Kilometer südlich abgefertigt werden. Hinter unserem Feuerwehrfahrzeug haben wir immerhin noch ein vom Ratsmitglied Frank Samirae gestifteten Ford Escort auf dem Anhänger. Zusammen „fast sieben Tonnen“, findet die Zöllnerin und drückt ein Auge zu.
Als um 7 Uhr endlich alle Konvoifahrzeuge in der Ukraine sind, ist an Schlafen nicht mehr zu denken. Ein Kaffee, ein Stück Pizza aus der Tankstelle, Zähneputzen, dann gehts zum Abladen. Oleksii Martyniuk aus Butscha ist mit seinem Team zur Grenze gekommen und fährt vor. Mit der Übermittlung von Adressen ist man vorsichtig in einem Land, in dem Krieg herrscht. Nach 40 Minuten auf teils abenteuerlichen Sandpisten haben wir eine Futtermittelfabrik erreicht, in der die Hilfsgüter umgeladen und die Fahrer aus Butscha auf die gespendeten Fahrzeuge eingewiesen werden. Noch ein Foto, dann geht’s zurück.
Ein Glück: Als wir die asphaltierte Landstraße erreichen, kommt ein Konvoi mit Polizeieskorte vorbei. Wir reihen uns ein, schalten Blaulicht am Feuerwehrfahrzeug ein und fahren an der mehr als 20 Kilometer langen Schlange wartender Lkw vorbei. Am Grenzzaun allerdings, in dem sich für die Lkw des Konvois ein Tor öffnet, ist für uns Schluss. Später erfahren wir, dass der Blaulicht-Konvoi kein gewöhnlicher war. Die Lkw haben Munition und Waffen in die Ukraine gebracht. So schnell kommt sonst niemand durch die Grenze.
Für uns heißt’s derweil nochmal stundenlang anstehen, bevor wir die 1400 Kilometer zurück nach Bergisch Gladbach antreten. Der hereinbrechende Winter tut ein Übriges, dass der letzte Lastzug erst am Sonntagabend um 20.15 Uhr wieder aufs Zandersgelände rollt. Die Fahrer sind fertig, aber glücklich – und haben bereits einige Ideen für den nächsten Hilfskonvoi . . .
Alltag in der Ukraine: Stromausfall und Luftalarm
Kaum haben wir uns auf der ukrainischen Seite der Grenze durch die wartenden Lkw, Autos und Menschen auf der Autobahn zu einem Parkplatz vorgekämpft, da ist mit einem Mal alles Dunkel: Straßenlaternen, Wechselstube und die Tankstelle, neben der ich noch Platz für unser Hilfskonvoiigespann gefunden habe: Stromausfall.
Aus der Ferne ist eine Sirene zu hören. Luftalarm? Wir wissen es nicht. Am Morgen wird uns ein deutscher Unternehmer, der im 75 Kilometer entfernten Lviv lebt, Videos auf seinem Handy zeigen: Rauchwolken steigen über der Stadt auf. „Von meinem Balkon aus gefilmt“, sagt er, „da haben die Russen die Stromversorgung mit Raketen zerstört. Ist aber schon ein paar Tage her.“
Gespenstisch liegt auch in dieser Nacht das geschäftige Treiben an der Grenze nach dem Stromausfall plötzlich im Dunkeln. Nur von Ferne ist Lichtschein auf polnischer Seite zu sehen. Für die Einheimischen scheint kein Grund zur Unruhe zu sein. Die Frau im Geldwechselhäuschen sitzt mit einem Buch und einer Taschenlampe hinter ihrem Tresen und liest – mehr kann sie im Moment eh nicht tun. Wer soll schon den Weg an ihren Schalter finden!?
Auch in der Tankstelle sind Lichtkegel von Taschenlampen zu sehen. Zwei Männer kommen heraus, gehen zu einem Stromaggregat am Parkplatzrand. Ein Dieselmotor brummt auf, einige Laternen leuchten auf und die Tankstelle. Nun wirft auch die Frau aus der Wechselstube einen kleinen Generator neben ihrem Holzhäuschen an und öffnet ihren Schalter wieder. Alltag in der Ukraine. (wg)
„Essen auf Rädern“ für Festsitzende
„Was aus einer kleinen Idee in ein paar Monaten geworden ist . . .“, staunt Bürgermeister Frank Stein selbst, als er am Mittwochabend den vierten Hilfskonvoi in Gladbachs neue Partnerstadt Butscha verabschiedet. Auch Kämmerer Thore Eggert und Feuerwehrchef Jörg Köhler wünschen den Fahrern, die für die Tour Urlaub genommen haben, alles Gute.
Einen abrupten Stopp erwartet das Feuerwehrfahrzeug mit Anhänger schon kurz hinter der polnischen Grenze: „Follow me“, leuchtet es aus dem Auto der polnischen Güterpolizei vor uns. Bei der Kontrolle stellt sich heraus, dass das gemeldete Kennzeichen in Polen nicht korrekt ins Mautsystem eingegeben worden ist. Glücklicherweise lässt sich das schnell lösen.
Während die übrigen Fahrzeuge des Gladbacher Hilfskonvois auf dem Registrierparkplatz vor der ukrainischen Grenze auf das Signal der Grenzbehörde zum Start in die Kontrollzone warten, ist das Feuerwehrfahrzeug nach der Registrierung wegen eines Tankstopps von der Autobahn abgefahren und versorgt nun über Feldwege die Konvoifahrer auf dem umzäunten Parkplatzgelände mit einer warmen Mahlzeit aus dem nächsten größeren Ort. (wg)