Bewegend und schwierig zugleich: Die Matinee zum Tag der Befreiung von Auschwitz im Gladbacher Kreishaus hätte fast einen Eklat erlebt.
AntisemitismusNur beinahe ein Eklat beim Gedenken im Gladbacher Kreishaus
79 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz sind der NS-Völkermord und der weiterhin in Deutschland bestehende Antisemitismus Themen, bei denen es selbst einem gestandenen Verwaltungsprofi und Politiker wie Stephan Santelmann die Stimme verschlagen kann. Beim Grußwort zur Matinee anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar im Kreishaus macht der Landrat am Donnerstagmorgen eine Sprechpause, die viel zu lang ist, um nur rhetorisch zu sein — und bittet um Nachsicht: „Mir geht das Thema sehr nahe.“
Ausstellung über alltäglichen Antisemitismus in Deutschland
Die Matinee ist zugleich die offizielle Eröffnung der Ausstellung „Du Jude! – Alltäglicher Antisemitismus in Deutschland“ der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die Kreiskulturreferentin Charlotte Loesch ins Kreishaus geholt hat.
Es gibt Werke der Komponisten Ernest Bloch und Felix Mendelssohn Bartholdy, vorgetragen durch Julia Vaisberg und Lev Gordin, Beiträge von Schülerinnen und Schülern des Berufskollegs Kaufmännische Schulen in Bergisch Gladbach und eine Einführung in die Ausstellung.
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Die Schau im Kreishaus-Foyer gibt auf großen Schautafeln Einblick in die Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus. Zentral für den Antisemitismus sei der christliche Antijudaismus gewesen. Die Ausstellung beleuchtet die NS-Herrschaft, die anschließende „Abwehr von Schuld und Erinnerung“, Formen des Antisemitismus in der Gegenwart und Handlungsmöglichkeiten: „Jeder Mensch sollte in seinem Alltag antisemitischen Äußerungen widersprechen, gleich ob diese ihm in der Bahn, am Arbeitsplatz, in der Familie oder im Freundeskreis begegnen.“
In seinem Einführungsvortrag widmet sich Referent Sebastian Werner ausführlich der aktuellen Lage nach dem Terrorangriff der Hamas. An diesem Tag habe der Staat Israel sein Versprechen, Rettungsanker zu sein, nicht wahr machen könne, sagt er. Immer noch befänden sich 130 Geiseln in den Händen der Hamas. Werner: „Der 7. Oktober kann erst enden, wenn alle Geiseln befreit wurden.“
Und zur Kritik an der israelischen Reaktion sagt er: „Was soll schon eine angemessene Reaktion sein auf die Ermordung von Menschen, die ermordet wurden, weil sie für Juden gehalten wurden oder das Pech hatten, an dem Tag in Israel zu sein?“ Für einige der Schülerinnen und Schüler scheint das zu viel zu sein: Sechs von ihnen verlassen den Raum, ein Lehrer kann sie wieder zurückholen.
Geräuschloser Protest ist womöglich ein Missverständnis
Grund für den geräuschlosen Protest ist womöglich ein Missverständnis: Werner hat nicht nur den Antisemitismus gegeißelt, sondern auch den konservativen Autor Jan Fleischhauer kritisiert. Antisemitismus solle man nicht mit Rassismus entgegentreten, hat Werner gesagt und dabei das Fleischhauer-Wort „Aggro-Araber“ angeprangert.
Bei den Schülern sei nur das böse Wort angekommen, nicht die Kritik daran, heißt es. Doch das Programm geht weiter, die jungen Leute tragen ihre Gedanken vor. Sie haben sich mit dem Buch „Nicht ohne meine Kippa!“ des aus Westfalen stammenden jüdischen Autors Levi Israel Ufferfilge auseinandergesetzt.
Eine junge Frau, die sich mit einem schwarzen Kopftuch als Muslima bekennt, sagt über Ufferfilge: „Wir wünschen ihm und allen Juden, dass sie ihre Kippa offen tragen können.“ Junge Frauen wie sie hatte die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel 2018 im Bundestag als „Kopftuchmädchen“ verächtlich gemacht.
Schulleiterin Nicole Schuffert bittet das Publikum, darunter auch Dezernentin Aggi Thieme sowie Kreistagsabgeordnete und Overaths Bürgermeister Christoph Nicodemus, den Kreis derer, denen gegen Diskriminierung beigestanden werden müsse, nicht zu eng zu fassen. Lehrerin Antonella Zaccheddu-Hargarten schließlich plädiert: „Es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass in Deutschland nie, nie, nie wieder Deportationen stattfinden!“