Hans Peter Müller erzählt die Geschichte eines Stadtteils, der seine Bevölkerungszahl seit Kriegsende verfünffachte.
Chronik eines WandelsWie aus dem beschaulichen Dorf Refrath ein urbanes Zentrum wurde
Refrath hat viele Gesichter: ein modernes und urbanes, daneben ein altes, gewachsenes – und dazu auch viele Narben. Die brachte vor allem die rasante Bevölkerungsentwicklung seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit sich. Die Einwohnerzahl von Refrath, die sich seit 1945 bis heute verfünffachte, wirkte wie ein Beschleuniger auf die städtebauliche Entwicklung.
Wiesen wurden zu neuen Wohnsiedlungen, damals teils als Mustersiedlungen für die ganze Bundesrepublik geplant und umgesetzt, wie etwa Kippekausen. Neue Straßen frästen sich durch den Ort, um den zunehmenden Verkehr aufzunehmen. Daneben behaupteten sich, wie kleine Inseln, Reste des alten Refraths, so an der Steinbreche oder an der Alten Kirche.
Refrath im Zeitraffer seit 1945
Wie im Zeitraffer hat Hans Peter Müller die Entwicklung „seines“ Ortsteils zusammengefasst: „Zuhause in Refrath (1945 bis 2020)“ lautet das Buch, das der Lokalhistoriker nun vorlegt. Dabei konnte er auf ein reichhaltiges privates Archiv zurückgreifen, das Texte, aber auch viele historische Fotografien umfasst, und führte Gespräche mit etlichen Zeitzeugen. Das sei gar nicht so einfach gewesen, meint der 82 Jahre alte Autor lächelnd: „Ich musste Menschen finden, die älter sind als ich.“
Dabei herausgekommen sind 75 Jahre Nachkriegsgeschichte eines Ortsteils, der seit 1947 zur Stadt Bensberg gehörte und erst ab 1975 Ortsteil von Bergisch Gladbach wurde. „Ich würde es Chronik nennen“, sagt Müller, der seit Jahrzehnten Historisches über Refrath sammelt und bearbeitet. „Ich wollte die Archivalien zwischen Buchdeckel pressen und so für die Öffentlichkeit zugänglich machen“, erklärt er. Die Corona-Pandemie gab ihm die Zeit dazu.
Die Nachkriegsjahre waren geprägt von Hunger und Wohnungsnot
Schnell stellte sich heraus, dass die rasante Entwicklung von Refrath nicht ohne die nationalen und internationalen Rahmenbedingungen der Zeit zu erklären ist. „So weiteten sich nicht nur mein Blick, sondern auch meine Texte“, so der Autor.
Sein Buch lässt er mit einem Ende beginnen, als im Oktober 1944 Bomben auch auf Refrath fielen, das lange verschont geblieben war. Nun gab es auch hier im Ort Opfer, Tote und Verschüttete. Die ersten Nachkriegsjahre waren geprägt von Hunger und Wohnungsnot, verschärft durch die Ströme von Geflüchteten und Vertriebenen aus dem Osten, und von den Regeln der britischen, dann der belgischen Besatzung.
Der Bauboom brachte auch Bausünden hervor
Doch schon 1949 begann in Refrath der Ausbau und die Verbesserung des Straßennetzes. „Das war unbedingt notwendig, sowohl was den Zustand vieler Straßen betraf, die diesen Namen nach heutigen Maßstäben gar nicht verdienten, als auch aufgrund einsetzenden Wohnungsbaus wegen des starken Bevölkerungszuzuges“, meint Müller. Bis heute profitiere die Stadt auch von der Bensberger Stadtplanung, die an der Saaler Mühle keine Wohnbebauung vorsah.
Doch es sei auch zu vielen vermeidbaren Bausünden gekommen, kritisiert der Autor und belegt dies mit zahlreichen Fotos. So sei die historische Sichtachse auf die Alte Kirche zugebaut und die alte Vikarie noch 1991 abgerissen worden. „Alt Refrath ist nicht mehr alt, sondern zugestellt mit klotzigen Neubauten“, sagt Müller. Und so legt das Buch den Finger in manche Wunde, zeigt aber auch beim Gang durch die Viertel, was in 75 ereignisreichen Jahren hinübergerettet werden konnte, in das Refrath von heute.
Hans Peter Müller: Zuhause in Refrath. 1945 – 2020, Eigenverlag 2023, für 24,50 Euro erhältlich in der St. Johannis-Apotheke, Siebenmorgen 18, Refrath.