Bewährung für Rhein-BergerMit massenhaftem Internet-Betrug Spielsucht finanziert
Bergisch Gladbach – Das Bensberger Schöffengericht hat einen dutzendfachen Ebay-Betrüger aus Rhein-Berg wegen Betruges in 29 Fällen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und ihm wegen seiner Spielsucht verminderte Schuldfähigkeit zugesprochen. 49 weitere Anklagevorwürfe gegen den 34-jährigen dreifachen Familienvater stellte das Gericht ein. Immer wieder hatte der im ländlichen Teil des Rheinisch-Bergischen Kreises wohnende Mann via Internet Fernseher, Playstations und Handys verkauft, aber nicht geliefert.
Obwohl der Angeklagte Klaus B. (Namen geändert) einschlägig vorbestraft war, räumte das Gericht ihm in einem womöglich wegweisenden Urteil eine letzte Chance ein, sich in Freiheit zu bewähren. Es gab ihm auf, eine spezielle Spielsucht-Therapie wieder aufzunehmen.
Mutter seiner Kinder wusste nichts vom Betrug
Lebensgefährtin Claudia K. (32), deren Konten Klaus B. genutzt hatte, um sich seine Beute, Beträge meist um die 300 Euro, überweisen zu lassen, wurde freigesprochen. Richterin Birgit Brandes und die Schöffen glaubten der dreifachen Mutter und dem Angeklagten, dass die Frau vom Betrug nichts gewusst habe.
Für die gutachterlich bescheinigte verminderte Schulfähigkeit hatte sich vor allem Strafverteidiger Udo Klemt stark gemacht. Er sprach von einer überfälligen Weiterentwicklung der Rechtsprechung. Anders als in den insgesamt vier verhandelten Anklageschriften beschrieben habe Klaus B., der wegen erheblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe und von Hartz 4 lebe, das Geld nicht zur Finanzierung des Lebensunterhaltes genutzt, sondern für seine Spielsucht. Ähnlich einem Quartalssäufer sei der Mann ein „Quartalsspieler“, bei dem sich Phasen der Enthaltsamkeit und des exzessiven Spiels abwechselten.
Ergaunertes Geld als Kredit betrachtet
Die Betrügereien habe der Mann dazu genutzt, seine Einsätze an Automaten und im Internet zu finanzieren. Seine Ebay-Kunden habe er nicht betrügen wollen, sondern ihre Zahlungen quasi als „Kredit“ genutzt. Klaus B. sagte, er habe ähnlich einem klassischen Schneeballsystem neue Geldgewinne dazu genutzt, alte „Schulden“ zurückzuzahlen, aber irgendwann den Überblick verloren.
Gutachter Dr. Kurt Herold beleuchtete auch die Lebensgeschichte des Angeklagten. Dieser sei mit seinen Geschwistern zusammen in der Gastwirtschaft der Eltern aufgewachsen. Die Kinder seien bis tief in der Nacht in der Kneipe dabei gewesen. Später hätten sich die Eltern getrennt. Der Vater, selbst spielsüchtig, habe Klaus mit in die Spielhalle genommen und dem Sohn beim Spielen kleine „Aufgaben“ wie die Bedienung der Stop-Taste übertragen.
Gutachter: Spielsucht greift immer mehr um sich
Der psychiatrische Gutachter wies aber auch darauf hin, dass es in Deutschland noch nicht Standard sei, der Spielsucht denselben Stellenwert einzuräumen wie stofflichen Süchten nach Alkohol oder illegalen Drogen. Seit Jahren werde daran gearbeitet, in den USA sei man da weiter. Das Problem werde sich in Zukunft ausweiten, die Zahl der Spielsüchtigen wachse und Suchtgefährdete würden permanent mit teils absurden Wettmöglichkeiten bei Sportereignissen im TV („In den nächsten zwei Minuten gibt es eine Ecke“) konfrontiert. Suchtgefährdete sollten Sport-Sendungen am besten ganz meiden. Das gelte mittlerweile sogar für die „Sportschau“.
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Klaus B. bat im Prozess um Entschuldigung für seine Taten. Das hatte er zuvor auch schon per Whatsapp bei einem seiner zahlreichen Opfer in ganz Deutschland getan. Um an Geld zu kommen, war er sehr einfallseich gewesen: Neben den falschen Warenverkäufen bestellte er auch unter falschem Namen und falscher Adresse Eintrittskarten für Bon Jovi oder "Rock am Ring" und leerte die entsprechenden Briefkästen, wenn die Post kam. In einem weiteren Fall gab er sich als Prostituierte aus und kassierte für dann ebenfalls nicht erbrachte sexuelle Dienstleistungen.
Neue Chancen durch "Tiktok"?
Mittlerweile hat er trotz seiner gravierenden körperlichen Handicaps und trotz fehlenden Schulabschlusses womöglich wieder eine Perspektive: In der Internet-App „Tiktok“ stellt er gemeinsam mit seiner ältesten Tochter kleine lustige Videos ein. Damit hat er laut Verteidiger schon fast zehn Millionen Likes und 400 000 Follower gesammelt. Finanziell habe sich das allerdings noch nicht ausgezahlt, sagte er auf eine entsprechende Frage im Prozess.