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ÜberdosisSuchthilfe der Caritas Rhein-Berg berichtet über steigende Zahl von Drogentoten

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann setzt sich am 14.05.2011 in München (Bayern) eine Heroinspritze in den Arm. Foto: Frank Leonhardt/picture alliance/dpa

Am Sonntag (21. Juli) ist internationaler Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher und Drogengebraucherinnen

Anlässlich des Gedenktages für verstorbene Drogengebrauchende berichtet die Leiterin der Suchthilfe der Caritas Rhein-Berg über ihre Arbeit.

Ausgemergelt schleppt sich der junge Mann über das Parkdeck in der Bergisch Gladbacher Stadtmitte. Kokain, Crack, Amphetamine – was er wann in den letzten Tagen genommen hat, er weiß es gar nicht mehr genau. „Früher hieß es: Auf der Szene wird nicht gestorben“, sagt Sven Bange, leitender Arzt der Schlosspark-Klinik für abhängigkeitskranke Männer in Bergisch Gladbach-Paffrath. „Heute ist das anders . . .“

„Die Zahl der Drogentoten hat sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre verdoppelt“, weiß auch Lydia Heup, Leiterin der Suchthilfe der Caritas Rhein-Berg, aus ihrer Arbeit. Bundesweit hat sich die Zahl der jährlichen Todesfälle in Folge von Drogenkonsum in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.

„Und bei uns ist es ähnlich“, sagt Heup anlässlich des Internationalen Gedenktags für verstorbene Drogengebrauchende, der an diesem Sonntag (21. Juli) begangen wird. „Dabei beobachten wir ein hochriskantes Konsumverhalten“, so Heup. Zahlreiche Suchtkranke konsumierten mehrere unterschiedliche Drogen parallel. Und: „Mehr als ein Viertel der Toten hatten zudem Substitutionsmittel im Körper.“

Im gesamten Kreisgebiet gibt es nur noch drei von ehemals acht Praxen, die Substitutionstherapie anbieten
Lydia Heup, Leiterin Suchthilfe Caritas Rhein-Berg

Also Ersatzstoffe, die ursprünglich mal eingeführt wurden, um opiatabhängigen Patienten nach einem festgelegten Therapiekonzept den Ausstieg aus dem Drogenkonsum zu ermöglichen. „Jetzt werden sie oftmals genutzt, um mit den Drogen das Überleben zu sichern“, sagt Lydia Heup. Dabei fehlt es auch in Rhein-Berg zunehmend an Möglichkeiten, wohnortnah bei der Substitutionstherapie begleitet zu werden. „Im gesamten Kreisgebiet gibt es nur noch drei von ehemals acht Praxen, die Substitutionstherapie anbieten“, weiß Lydia Heup.

Zudem hätten sich chemisch weiterverarbeitete Produkte aus Kokain wie Crack oder Freebase auch in Rhein-Berg verbreitet. Mit starken Folgeschäden. „Wir beobachten das seit zwei bis drei Jahren in der Szene“, sagt Lydia Heup. „Konsum wie er noch vor 20 Jahren nur an Orten wie in Frankfurt anzutreffen war“, so Sven Bange von der Schlosspark-Klinik des Deutschen Ordens in Paffrath.

Pandemie hat vieles verändert

Eine starke Zäsur in der Entwicklung der vergangenen zehn Jahre war die Corona-Pandemie. „Die Märkte haben sich stark verändert“, sagt Sven Bange. „Es gab keinen Straßenmarkt mehr, vieles hat sich ins Internet verlagert und es gab durch die Einschränkungen Probleme, Substitutionstherapien fortzuführen.“ Ein Großteil der Szene in Rhein-Berg konzentriere sich in der Kreisstadt Bergisch Gladbach.

Immerhin gebe es hier ein beim Netzwerk Wohnungsnot der Diakonie angesiedeltes Straßensozialarbeitsprojekt (Streetwork – Präventive Hilfen für Menschen der „Straßenszene“) mit zwei halben Stellen einer Gesundheits- und Krankenpflegerin und einer Sozialpädagogin, das ebenso wie der am Rand des Parkdecks Schnabelsmühle eingerichtete Treffpunkt für Wohnungslose sehr gut angenommen werde, so Heup. „Die Streetworkerinnen suchen die Szenetreffpunkte auf, stellen Kontakt her und bieten Beziehung an.“ So übernähmen die Mitarbeiterinnen die Rolle eines „begleitenden Brückenbauers in das bestehende Hilfesystem“.

Kontakte zu den Betroffenen

Auf diese Weise sollen drohende Problemlagen abgewendet oder gemildert sowie eine Verschlechterung verhindert oder zeitlich nach hinten geschoben werden. Gleichzeitig gehe es darum, das Miteinander von „Straßenszene“ und Umwelt (Bürgerinnen und Bürger, Anwohnenden, Geschäftsleuten, Behörden etc.) „in Richtung einer befriedeten Koexistenz zu unterstützen“, erläutern die Verantwortlichen des Projekts, das im vergangenen Jahr von einem Pilotprojekt in die regelmäßige Finanzierung durch den Rheinisch-Bergischen Kreis und den Landschaftsverband Rheinland übergegangen ist.

„Durch dieses Projekt gelingt es, Kontakt auch zu den Menschen zu halten, die sonst keine Kontakte mehr haben“, sagt Lydia Heup von der Suchthilfe der Caritas. Der veränderte Drogenkonsum habe auch das Verhalten der Betroffenen verändert. Habe die Substitutionstherapie früher zumindest einen Tag Ruhe vom Verlangen nach dem Stoff ermöglicht, so sei durch das veränderte Konsumverhalten nach einem vergleichsweise kurzen Rausch von zehn Minuten schon wenig später wieder ein Verlangen nach neuem Konsum vorhanden, so Lydia Heup.

Neue Ansätze gefordert

„Außerdem hat sich dadurch der Gesundheitszustand der meisten verschlechtert“, weiß Mediziner Sven Bange. „Deshalb haben wir heute auch wieder ausgemergelte Gestalten wie vor 20 Jahren, als die Substitutionstherapie noch nicht so angelaufen war.“ Was es braucht, um die Situation zu verbessern: „Wir brauchen eine niederschwellige Substitutionsbehandlung mit einer entsprechenden psychosozialen Begleitbetreuung“, sagt Lydia Heup.

Wenn das nicht wieder bei mehr niedergelassenen Ärzten möglich sei, brauche es „eine Bewegung des Gesundheitsamts wie in Köln“, ergänzt Sven Bange. Dort bietet das Amt nicht nur eine Substitutionsambulanz an, es gebe auch Konsumräume, so Lydia Heup. „Aber natürlich ist das in einem Flächenkreis wie Rhein-Berg gar nicht so einfach“, räumt sie ein. „Aber so kann es nicht weitergehen.“